Eine Frau verliert alles. Ihre Mutter wird getötet, ihr Volk massakriert. Man deportiert sie aus der Heimat. Sie wird vergewaltigt und soll zwangsverheiratet werden. Aber sie wehrt sich – und aus der Erniedrigung erwächst ihre Rache. Am Ende gibt es noch mehr Gewalt, bis sie sich schließlich selbst mit einem Sturz von der Klippe das Leben nimmt. „Hulda“ heißt die 1885 vollendete, am 8. März 1894 in Monte Carlo uraufgeführte Oper von César Franck nach dem Drama „Halte-Hulda“ des norwegischen Schriftstellers Björnsterne Björnson.
Schon zwei Jahre später geriet die nach ihrer Protagonistin benannte Oper in Vergessenheit. Nun hat der Freiburger Generalmusikdirektor Fabrice Bollon das Werk entdeckt und nach dem Studium des Autographs herausgefunden, dass bei der Uraufführung einige Szenen gekürzt waren. Für die deutsche Erstaufführung der Oper in Freiburg wurde vom Pariser Verlag Editions Choudens extra eine neue, vollständige Partitur erstellt, so dass einige Passagen wie eine Vergewaltigungsszene zum ersten Mal überhaupt gespielt wurden.
César Francks Grand Opéra klingt aber nicht so martialisch, wie man nach der literarischen Vorlage denken könnte. Natürlich gibt es wuchtige Massenszenen, aber es ist auch viel Raum für lyrische Stimmungen und das große Melos, das vor allem die Liebesgeschichte zwischen Hulda und Eiolf in Klang setzt. Die melodischen Linien der Gesangssolisten werden vom Orchester übernommen und weiter gesponnen – und umgekehrt. Die Musik César Francks trägt elegische Züge und hat häufig einen melancholischen Grundton. Sie ist meist verbindlich und rhythmisch weich formuliert. Sie ist gekennzeichnet von Farbmischungen, nicht von radikalen Kontrasten.
Fabrice Bollon arbeitet gerade mit den Streichern diesen homogenen Klang gut heraus, der die Weite kennt und auch aus dem Nichts entstehen kann. Oboe und Klarinette stechen aus dieser pastosen Farbgebung etwas zu stark heraus. Das Blech dagegen wird gut im Gesamtklang integriert und an einzelnen, markanten Stellen geschärft, um Höhepunkte zu markieren. Leider ist von der Musik nicht immer viel zu hören, weil sie ständig durch Geräusche von der Bühne unter Beschuss gerät. Vom Türschlagen bis zum Maschinengewehrfeuer, vom notorischen Grölen der Saufbrüder bis zum Surren des eisernen Vorhangs nimmt Tilman Knabe in seiner Inszenierung keine Rücksicht auf die Musik. Da hätten sich Fabrice Bollon und das Philharmonische Orchester Freiburg ihre Bemühungen um Differenzierung auch sparen können.
Knabe transferiert die Geschichte, die im Norwegen des 11. Jahrhunderts spielt, mit Gewalt in das Afrika der Gegenwart. Ein Township im Kongo (Bühne: Kaspar Zwimpfer, Kostüme: Eva Mareike Uhlig) ist der Schauplatz des Geschehens. Es gibt Söldnertruppen und UNO-Blauhelmsoldaten. Ständig wird irgendwo jemand gequält oder getötet. Auch durch das Parkett werden zwei Frauen geschleift. Knabe möchte aufrütteln und anklagen. Immer wieder werden in bewusst gesetzten Unterbrechungen Texte eingeblendet, die belehren und auch mal den Imperialismus mit dem Holocaust vergleichen. Dass sich Joshua Kohl als Huldas Blauhelm-Liebhaber in den Proben am Arm verletzte und in der Premiere bei den Faust-Kämpfen mit einer Armschiene agieren muss, entfaltet dann fast schon eine unfreiwillige Komik. Der Pseudorealismus kommt schon bald an Grenzen, da die Figuren zu Schattenrissen werden und jegliche Zwischentöne, von denen die Musik erzählt, in der Inszenierung verloren gehen. Und wenn Morenike Fadayomi in der Titelpartie mitten im lyrischen Liebestaumel plötzlich hektisch und zunächst erfolglos an der Hose ihres Kollegen nestelt, kann man sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Die US-Amerikanerin bewältigt die vielfältigen darstellerischen Anforderungen der Titelpartie bis zum höhnischen Gelächter und Weinkrampf mit Bravour. Stimmlich kommt sie am Ende an ihre Grenzen, wenn ihr reicher dramatischer Sopran, der Hulda das notwendige Durchsetzungsvermögen gibt, flacher wird und kaum mehr Gestaltungsmöglichkeiten hat. Joshua Kohl verbindet als Huldas Liebhaber Eiolf große Strahlkraft mit leuchtenden Farben. Dass er doch zu seiner Ex-Geliebten Swanhilde (klangschön: Irina Jae Eun Park) zurückgeht und damit Huldas Eifersucht lodern lässt, wird durch die Regie nicht schlüssig erzählt – wie überhaupt die Beziehungen zwischen den Figuren im Kampfgetöse brutal vernachlässigt werden. Anja Jung als Huldas Mutter, Juan Orozco als Huldas verhasster Bräutigam Gudleik, Jin Seok Lee als brutaler Stammesvater Aslak mit Schickimicki-Gattin Gudrun (stark: Katerina Hebelková) und Katharina Ruckgaber in der Rolle der Stieftochter Thordis überzeugen.
Was Tilman Knabe mit seiner radikalen Inszenierung sicherlich gelingt, ist auf ein wichtiges Thema aufmerksam zu machen – die afrikanische Sicht auf den Kolonialismus und die Verbrechen, die mit ihm verbunden waren und sind. Künstlerisch kann diese Regiearbeit jedoch nicht überzeugen. Man darf gespannt auf die nächste Inszenierung von César Francks Oper „Hulda“, die dank des Freiburger Theaters wieder aus der Versenkung aufgetaucht ist.