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Foto: Francois Croissant
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Frauenpower am Goetheanum: Wagners „Parsifal“ mit Eurhythmie und Denkanstößen

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In der Schweiz wird die Goetheanum-Produktion des Bühnenweihfestspiels „Parsifal“ als markanter Impuls zur Rezeption Richard Wagners im Land verstanden. Es gibt viele Aspekte, unter denen man die erste durchgängige Inszenierung des von Wagner exklusiv für das Bayreuther Festspielhaus geplante Opus summum mit anthroposophischer Eurhythmie betrachten kann. Fakt ist der sogar im Vergleich zu großen Opernhäusern außerordentlich lautstarke Jubel der Anthroposophie-Affinen und Wagner-Fans für dieses Großereignis. Die Inszenierung von Jasmin Solfaghari, die Eurhythmie-Regie von Stefan Hasler und die Ausstattung von Walter Schütze wirkten erstaunlich rund und lieferten sinnfällige Denkanstöße. Aus der Besetzung ragten Ivonne Fuchs als sensationelle Kundry und Alejandro Marco-Buhrmester als Amfortas heraus.

Was ist der Unterschied zwischen Dornach und Bayreuth? In Bayreuth wurde das Festspielhaus-Theater der Anstoß für die in den Wagner-Kult des ‘Dritten Reiches’ mündende Weltanschauung des Bayreuther Kreises, in Dornach wurde – umgekehrt – aus Weltanschauung der 1928 eröffnete Große (Theater-)Saal der Anthroposophie-Zentrale Goetheanum. Bayreuth war bis 1945 und auch später ein spirituelles Zentrum der Wagner-Gemeinde, Dornach ist das spirituell-wissenschaftliche Herz der Anthroposophie bis heute.

Die gegenseitige Beflügelung durch gut aufgestellte Profis aus dem Opern-Kerngeschäft mit dem Goetheanum-Eurhythmie-Ensemble und dem Else-Klink-Ensemble von Eurhythmeum Stuttgart reüssierte aus mehreren Gründen. Die anthroposophischen Kunstschaffenden erhielten durch die säkulare Inszenierung ordentlichen Kreativ-Input. Eine so kunstfertige Licht-Konzeption wie hier auf die von Adophe Appia inspirierten Quader und Stufenelemente hat es auf der Goetheanum-Bühne bisher wohl nie gegeben. Umgekehrt opponieren die Ideale der Anthroposophie gegen zentrale „Parsifal“-Probleme, was das beidseitige Weiterdenken für die nächsten Dornacher Vorstellungen 2024 und 2025 beflügeln wird.

Auch die kruden Schriften des alten Richard Wagner aus dem Entstehungsschatten von „Parsifal“ erschweren dessen Bühnenpräsentation gewaltig – egal ob man „Parsifal“ als pseudo-christliches Mysterienspiel oder Resultat einer globalen Apokalypse in Szene setzt. Die Auflösung der sich seit Jesu Kreuzigung als Verführerin und Dienerin durch die Jahrhunderte quälenden Kundry ist alles andere als ein Frauenideal für Zivilgesellschaften – erst recht nicht die angeschlagene Gralsritter-Männerbündelei mitsamt ihren frauen- und lustfeindlichen Denkhorizonten. Die goetheanischen Eurhythmie-Ensembles machten diese inhaltlichen Bürden erfreulicherweise zunichte. Zum ersten ist das ein „Parsifal“ ohne Kelch und Speer, also ohne die zentralen und gern als Teil der wagnerianischen Liturgie betrachteten Requisiten. Schon im Vorspiel schließen sich Frauengruppen zu Blütenkelchen aus Menschenleibern, wo in Wagners Textbuch doch erst ganz zum Schluss eine Frau erstmals den ideologisch anfechtbaren Gralstempel betreten darf. Ein Trio von Schicksalsfrauen schafft weitere Sinnbrücken zu Wagners ziemlich unverständlicher Kompilation aus dem mittelalterlichen „Parzival“-Epos des für die Anthroposophie sehr wichtigen Wolfram von Eschenbach. Weil für die Anthroposophie alles auf der Bühne symbolisch ist, sollte man die der Musik, aber nicht den dramatischen Akut-Impulsen folgende Eurhythmie-Choreographie Stefan Haslers mit psychologischer Deutung verwechseln. An vielen Stellen kommt es zu starken Theaterwirkungen.

Die Frauen-Emanzipation im fragwürdigen „Parsifal“-Kosmos erweist sich als unbestreitbarer Fortschritt der Wagner-Exegese durch mit Armenflügeln schlagenden Frauen und den mit ihnen oft synchron agierenden Männern der Eurhythmie-Ensembles. Ungewöhnlich ist auch Solfagharis Sicht auf Wagners pervertierte Gegenwelt zum Gral: Da, wo Wagner mit dem Streit der erotisch ausgelaugten Kundry und dem sich eigeninitiativ kastrierenden Klingsor ein zukunftsfähiges Strindberg-Dramolett setzte, prallen Thomas Jesatko als toxischer Fiesling mit intensiver Energie und die souveräne Ivonne Fuchs aufeinander. Sie ist die sängerische Entdeckung des Abends, hat alles für die monströse Kundry-Partie: Exaktheit bei Wagners unverschämten Intervallsprung-Zumutungen, weiche Glut in den Forte-Feuerwerken und als Gralsdienerin die passgenaue Energetik. Ein Vokalereignis ersten Ranges! Die Blumenmädchen-Szene gerät durch Solfaghari zur komödiantischen Attacke gegen Parsifal. Der „reine Tor“ hat ja keine Ahnung davon, dass es so etwas wie ‚Womanizer‘ gibt und er als ein solcher in Verruf geraten könnte. Roman Payer betont die lyrischen Flächen der Titelpartie und hat im gefürchteten „Amfortas!“-Solo die erforderlichen Kraftreserven. Walter Schützes Kostüm-Zitate spielen mit einem Bilderbuch-Mittelalter wie für Titurel (Wilhelm Schwinghammer) und Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts.

In der nicht ganz optimalen Goetheanum-Akustik tendiert Roland Fister mit der Philharmonie Baden-Baden und dem von Andreas Klippert prächtig eingebundenen Vokalwerk der Opernfestspiele Heidenheim zu einem breiten, offenen Gesamtklang. Wagners prä-impressionistische Farbpalette zählt wenig, die große Linie alles. Dabei ist Fister ein echter Könner für vertrackte Vokal-Zwickmühlen, wie es sie für Sänger bei Wagner oft gibt. Die Frauenchöre kommen von der Orgelempore. Anstelle der eigens für „Parsifal“ entwickelten tiefen Gralsglocken erklingen die helleren Glocken des Goetheanums. Das unterscheidet den Dornacher vom international üblichen Wagner-Klang. Bayreuth-erfahrene Sänger gibt es im Goetheanum: So den souveränen wie eindringlich gestaltenden Alejandro Marco-Buhrmester als leidender Gralskönig Amfortas. Andreas Hörl hat satte Kondition und starke Kantabilität für Gurnemanz, die längste Bass-Partie des 19. Jahrhunderts.

Nicht zuletzt funktioniert in Dornach das Fluidum zwischen Bühne und Publikum bestens. Denn hier wird das Auditorium nicht gegängelt. Die Aufführung ist kein Forum für Selbstlegitimation und es ist selbstverständlich, dass sich der „Parsifal“-Zentralgedanke einer menschlichen Besser-Entwicklung nicht nur an Christen im anthroposophisch-wagnerianischen Konfessionsspeckgürtel richtet, sondern an Anarchisten, Agnostiker und alle. Insofern ist dieser durch die Wagner-Rezeption des Anthroposophen Rudolf Steiner nahe gelegene, aber erst fast hundert nach dessen Eröffnung stattgefundene Switch ins Goetheanum ein gar nicht so unwesentlicher Diskurs-Anstoß über die Relevanz von (Musik-)Theater und die Zielgruppen der Zukunft. Publikumsschwund, wie von vielen Opernhäusern post pandemiam bejammert, gab es in Dornach nicht.


Richard Wagner: Parsifal – am Goetheanum Dornach – Besuchte Vorstellung: 7. April 2023, 16.00 Uhr – Premiere: 2. April – letzte Vorstellung: 9. April 2023

Musikalische Leitung: Roland Fister – Inszenierung: Jasmin Solfaghari – Regie Eurythmie: Stefan Hasler – Bühne, Kostüme, Video: Walter Schütze – Licht: Klaus Suppan – Chor: Andreas Klippert – Produzent: Alexander von Glenck – Philharmonie Baden-Baden – Vokalwerk der Opernfestspiele Heidenheim – Goetheanum-Eurythmie-Ensemble – Else-Klink-Ensemble, Eurythmeum Stuttgart – Gurnemanz: Andreas Hörl – Parsifal: Roman Payer – Amfortas: Alejandro Marco-Buhrmester – Kundry: Ivonne Fuchs – Titurel: Wilhelm Schwinghammer – Klingsor: Thomas Jesatko – Blumenmädchen / Stimme aus der Höhe / Knappen / Gralsritter: Taryn Knerr, Teaa An, Alina Behning, Rebecca Davis, Marion Ammann, Margaret Rose Koenn, Alexander Papandrea, Frieder Flesch, Grégoire Delamare, Paweł Jeka

 

 

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