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Spirit Of Musicke. Gabriele Ruhland in der Mitte.
Spirit Of Musicke. Gabriele Ruhland, rechts im Bild.
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„Früher gab es keine Frauen“ – Gabriele Ruhland vom Ensemble „Spirit of Musicke“ über die Welt der Barockkomponistinnen

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Sonaten von vier Komponistinnen des 17. und 18. Jahrhunderts – Isabella Leonarda, Mrs. Philarmoica, Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre und Anna Bon di Venezia – werden vom Ensemble „Spirit of Musicke“ auf ihrer von BR-Klassik koproduzierten CD „Women 4 Baroque II“ (Spimus 113) (zum Teil in Ersteinspielungen) nuancenreich, ausdruckstark und mit viel Spielfreude zum Klingen gebracht. Eine der großen Überraschungen des Jahres. Gabriele Ruhland spielt Gambe und Barockcello in diesem Salzburger Originalklang-Ensemble. Kurz nach der Veröffentlichung stellte sie sich den Fragen von Marcus A. Woelfle.

Marcus A. Woelfle: Wie entstand das Ensemble „Spirit of Musicke“? War die Zielsetzung von Anfang an die Beschäftigung mit Barockkomponistinnen?

Gabriele Ruhland: Unser erstes Projekt war ein „Geburtstagskonzert“ zu Georg Philipp Telemanns 314.Geburtstag im März 1995. Wir waren begeistert davon, dass Telemann alle unsere Instrumente spielen konnte, dass er jedes auf seine Art gekonnt fordert, dass er Virtuosität, Humor und ganz viel Herz in seiner Musik anbietet, und dass seine Musik sowohl den Spielern als auch den Zuhörern sehr viel Spaß macht.

Für uns begann sich damals das Fenster zur historischen Aufführungspraxis erst zu öffnen, und unser musikalischer Allgemeinwissensschatz enthielt nicht einmal den Funken einer Ahnung davon, dass Barockkomponistinnen existiert haben. Wir kamen erst bei der Suche nach interessanten Konzertprogrammen auf den Gedanken, nach Komponistinnen zu suchen und waren sofort fasziniert von diesem Thema.

MW: Gab es Ensembles, die in dieser Hinsicht für Sie vorbildlich wirkten?

GR: Es waren weniger Ensembles als vielmehr Stätten der Auseinandersetzung und Forschung impulsgebend für uns, wie zum Beispiel die Konzertreihe „Unerhörtes entdecken – Komponistinnen und ihr Werk“ von Christel Nies, genauso wie der Kontakt zum Archiv Frau und Musik, damals noch in Kassel, heute in Frankfurt, und im Lauf der Jahre auch der direkte Austausch mit Musikwissenschaftlerinnen wie Elisabeth Schedensack, die über Isabella Leonarda veröffentlicht hat, und mit Danielle Roster, die einige Publikationen zu Komponistinnen herausgegeben hat und das Frauenmusikarchiv in Luxemburg führt. Das Lesen aller uns zugänglichen Aufsätze und Bücher über Komponistinnen hat mich, hat uns alle mehrfach erschüttert. Die Tatsache, dass die Musik von Barockkomponistinnen nur am Rande bis gar nicht wahrgenommen wird, fanden wir unverständlich und ungerecht. Gute Musik soll ihren Platz im Konzertleben bekommen.

MW: Wie hat die jahrzehntelange Beschäftigung mit Komponistinnen Ihren Blick auf die Musikgeschichte verändert?

GR: Unser Blick wurde geschärft in der Richtung, dass Musikgeschichtsschreibung doch sehr vom Blick des Schreibenden geprägt ist, und die Tatsache, dass Komponistinnen, die zu ihrer Zeit in den Schriften teilweise mehr Platz bekamen als die männlichen Kollegen, später in der Musikgeschichte nicht mehr erwähnt wurden, hat uns stutzig gemacht. Als anregende Lektüre möchte ich das kleine Buch „Das Problem mit den Frauen“ von Jacky Fleming empfehlen. Zitat: „Früher gab es keine Frauen, deswegen lernt ihr im Geschichtsunterricht auch nichts über sie.“ Sehr unterhaltsam und gut recherchiert mit vielen wahren und völlig absurden Aussagen bedeutender Persönlichkeiten.

MW: Wie kann man sich die Arbeitsweise und Arbeitsteilung von Spirit of Musicke vorstellen? Vertieft sich eine mehr in interpretatorische Fragen, während sich die andere eher um Engagements kümmert? Gibt es eine Leiterin oder wird alles im Team entschieden?

GR: Bei der musikalischen Arbeit kommt uns zugute, dass unsere Klangvorstellungen ziemlich ähnlich sind, dass wir alle eine hohe Bereitschaft haben, uns auf musikalische Ideen beim Spielen einzulassen, und dass wir alle einen ausgeprägten Sinn für klangliche Balance und für die Körpersprache der Anderen haben.

Unser Arbeitsstil hat sich so entwickelt, dass alle gleichwertig agieren, beim Proben genauso wie auf der Bühne, das lässt am meisten Energie in Fluss kommen.

Der größte Teil der Arbeit besteht darin, die richtige Rollenverteilung zu finden, dann wird die Musik plastisch, denn wenn zum Beispiel das Continuo die rhythmische Führung übernimmt, kann gleichzeitig eine Oberstimme Erzähler sein und die andere Oberstimme emotionale Farben dazugeben.

Maria Loos mit Blockflöten in fast jeder Stimmlage von Früh- bis Spätbarock, und ich mit Barockcello und Viola da Gamba sind Ensemblemitglieder der ersten Stunde. Veronika Braß spielt seit 2005 als Cembalistin im Ensemble. Als Kernensemble spielen wir zu dritt, und es erwies sich als vorteilhaft, in variabler Besetzung, mit Geige, oder mit Sängerin, oder auch nur zu dritt aufzutreten. Seit 2014 spielt Christine Busch, Barockvioline, mit uns, wann immer es möglich ist.

Organisatorisch teilen wir uns die Arbeit auf und besprechen regelmäßig, wer was macht, und dabei ergänzen wir uns gut, denn jede von uns hat andere Stärken.

MW: Wie fix bzw. veränderlich ist Eure Interpretation der Werke?

GR: Die Interpretation der Werke bekommt in der Probenarbeit eine grundsätzliche Ausrichtung. Die tatsächliche Ausführung im Konzert hat aber doch einigen Spielraum, sogar auch an spontanen Ideen. Wenn jedoch ein neuer Spieler dazukommt wie zum Beispiel in den Sonaten von Isabella Leonarda im Continuo, dann verschiebt sich die ganze Dynamik und die Rollenverteilung, so dass auf einmal eine ganz andere Interpretation möglich wird.

MW: Unter welchen Umständen lebten die Komponistinnen, deren Werke Sie für die CD ausgesucht haben? Wurden sie von zum Beispiel von Ihren Vätern besonders gefördert oder von ihren Männern unterdrückt? Konnten sie veröffentlichen? Profitierten sie von einem Sonderstatus (reiche Erbin)?

GR: Die Bedingungen für Frauen waren grundsätzlich schwierig, besonders in der Kunst und in der Wissenschaft. Vorherrschend war die Ansicht, dass Frauen zu keinen herausragenden Leistungen fähig seien, und verschiedene Päpste dieser Zeit haben versucht, die Frauen per Dekret auf die ihnen zugedachte Bestimmung zu beschränken. Das ging sogar so weit, dass allen Frauen im Kirchenstaat das Singen, sogar zu Hause, verboten wurde, und dass keine Musiklehrer zu ihnen kommen durften. Und der Kirchenstaat war groß um 1600 herum.

Trotzdem gab es für Frauen Orte der Musikausübung, Adelshöfe, Klöster und bürgerliche Musikkreise, und für die Komponistinnen, die auf unserer CD zu hören sind, kann man sagen, dass speziell sie gute Bedingungen und die Möglichkeit zur „Karriere“ hatten. Wie viele weitere sehr talentierte und außergewöhnliche Frauen an der Realität und den fehlenden Möglichkeiten gescheitert sind, ist natürlich nicht dokumentiert und bleibt unbekannt.

MW: Isabella Leonarda war hauptsächlich Vokalkomponistin und ließ 1693 als erste Komponistin Instrumentalmusik drucken. Kann man daraus auf eine verfeinerte Musizierpraxis in Klöstern schließen – und dies in einer Zeit, wo weltliche Auftritte von Frauen unerwünscht, im Kirchenstaat sogar verboten waren?

GR: In einigen der Solomotetten von Isabella Leonarda sind 2 Violinen vorgesehen, in späteren Werken zusätzlich auch ein Violone, und man kann davon ausgehen, dass diese Instrumente im Kloster gespielt wurden. Es gab sehr wahrscheinlich einen musikalischen Austausch zwischen den Klöstern und sogar auch zur Musikkapelle des Novareser Doms, denn Leonarda schrieb einige Solomotetten für Bass, und sie widmete eine Sammlung einer Nonne und Sängerin im Kloster von Como, die eine Verwandte des Papstes Innozenz XI. war. Dieser Papst erklärte 1686 in einem Edikt, dass die Ausübung der Musik den Frauen in höchstem Maß schade und sie deswegen keinen Musikunterricht erhalten dürfen und ihnen sogar zu Hause das Singen verboten sei. Seine Macht endete an den Grenzen des Kirchenstaates, Novara unterstand ihm nicht, ich glaube aber, dass diesem Papst das rege Musikleben in Norditalien ein Dorn im Auge gewesen sein muss, und dass er mit seinen Verboten durchaus auch in diese Richtung gezielt haben mag. Unter Isabella Leonarda erlebte das Ursulinenkloster in Novara eine lange musikalische Blütezeit. Widmungen verschiedener Komponisten an mehrere Nonnen in verschiedenen Klöstern Norditaliens lassen den Schluss zu, dass in diesen Klöstern Musik auf hohem Niveau betrieben wurde.

MW: Ihr leistet sehr wichtige Pionierarbeit! So habt ihr eine Komponistin ins Zentrum gerückt, von der man praktisch nichts weiß und die doch eine Meisterin ihres Fachs war: Mrs. Philarmonica. Ihr gehört mit sechs sehr hörenswerten Sonaten, die ihr erstmals eingespielt habt, der Löwenanteil der CD. Was für einen Grund kann es für die Wahl eines Pseudonyms geben?

GR: Ein Pseudonym schützt die Person, die sich dahinter verbirgt, vor unangemessenen und verletzenden Reaktionen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass 1906 Finnland als erstes europäisches Land den Frauen das Wahlrecht zugestand. 1791 gab es die erste „Erklärung der Rechte der Frauen und Bürgerinnen“ von der Französin Olympe de Gouges, aber die wurde aufgrund ihrer Aufmüpfigkeit öffentlich hingerichtet. Im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts gab es praktisch keine Rechte für Frauen und somit auch nicht den Status, vor dem Recht als Person gewertet zu werden. Es hing also von der Familie, vom Ehemann, von einflussreichen Personen der Umgebung ab, wie viel Freiraum einer Frau zugestanden wurde, was schicklich war für sie und was nicht. So ist anzunehmen, dass Mrs. Philarmonica aus einem Umfeld kam, in dem das Komponieren für sie nicht akzeptabel war. Man vermutet, dass eine Adlige dahintersteht.

Ich finde es interessant, dass sie ein weibliches Pseudonym gewählt hat. Es ging ihr darum, als Komponistin wahrgenommen zu werden und nicht primär um Erfolg, denn dann wäre ein männliches Pseudonym die bessere Wahl gewesen.

MW: Mit Anna Bon habt ihr eine Künstlerpersönlichkeit im Programm, die die Welt Vivaldis mit der Haydns verbindet…

GR: In Venedig im Ospedale della Pietà passierte etwas Ungewöhnliches: Mädchen wurden musikalisch ausgebildet und lernten, Instrumente zu spielen.

Ein Instrument zu spielen war damals nicht schicklich für Frauen, eine Sängerin war vorstellbar, eine Virtuosin nicht. Umso ungewöhnlicher, dass in diesem Waisenhaus Musikausbildung stattfand, ein hellsichtiges Projekt, das funktionierte, dem Haus einen guten Ruf einbrachte und zudem hervorragend ausgebildete Musikerinnen ins Leben entließ. Anna Bon war keine Waise, sie ging gegen Bezahlung dort zur Schule und wurde von einer Schülerin Vivaldis unterrichtet. Vivaldi war schon tot, als Anna als vierjährige ins Ospedale kam, und zu dieser Zeit war Nicola Porpora als Chorlehrer dort angestellt. 

Als Anna Bon mit knapp 16 Jahren zusammen mit ihren Eltern an den Hof von Bayreuth kam, kam sie in ein ähnlich ungewöhnliches Umfeld, das von der Markgräfin Wilhelmine, der älteren Schwester Friedrichs des Großen, geschaffen wurde. Wilhelmine wirkte dort als Komponistin, Intendantin, Korrepetitorin und sie lud die besten KomponistInnen und MusikerInnen ein, die Zusammenarbeit mit mehreren Komponistinnen ist belegt. Anna Bon erhielt am Hof von Bayreuth als 16-jährige den Titel „virtuosa di musica da camera“, also Kammervirtuosin, und sie veröffentlichte im gleichen Jahr ihr op.1, die 6 Flötensonaten mit B.c., ganz im „modernen“ galanten Stil gehalten. In den folgenden Jahren trat sie in mehreren Opernaufführungen in der näheren und ferneren Umgebung als Sängerin auf, und sie veröffentlichte Cembalosonaten und Divertimenti. Die Cembalosonaten wirken wie frühe Haydn-Klaviersonaten, jedoch sind ihre früher entstanden. Ab 1762 wirkte die ganze Familie Bon am Hof des Fürsten Esterhazy in Eisenstadt, und die Zusammenarbeit der Bons mit Haydn ist belegt. Mutter und Vater Bon hatten die Opernausstattung im Gepäck, denn sie waren Betreiber einer Wanderoper. Auffällig ist, dass Haydn die meisten seiner humoristischen Werke genau in der Zeit der Zusammenarbeit schrieb, wahrscheinlich brachten sie viel Humor nach Eisenstadt mit.

MW: Haben Sie ein persönliches Lieblingsstück auf der CD und warum ist es das?  

GR: Mich begeistern die vielen kurzen Sätze der Mrs. Philarmonica immer wieder aufs Neue, so viel komprimierte Musik auf engstem Raum, lauter kleine Juwelen. Und die langsamen Sätze der Violinsonate von Elisabeth Jacquet de la Guerre öffnen mir das Herz und ich liebe die emotionale Kraft dieser Musik.

MW: Wo und wie finden Sie Ihr Material?

GR: Anfänglich haben wir noch Kopien von Mikrofilmen in verschiedenen Bibliotheken bestellt, aber in der Zwischenzeit ist schon sehr viel Notenmaterial verlegt und auch vieles bei den digitalen Notenseiten abrufbar. Das Archiv Frau und Musik, erst in Kassel, jetzt in Frankfurt, hat uns viel geholfen, beim Furore-Verlag ist sehr viel Musik von Komponistinnen verlegt worden, im RISM finden sich die Bibliotheken, wo was liegt, und die Suche ist viel einfacher geworden.

MW: Das Ensemble ist in Salzburg. Da fragt man sich unwillkürlich, ob es im Umfeld der Familie Mozart Komponistinnen gab, die es zu entdecken gilt.

GR: Es gibt ein kleines Buch über österreichische Opernkomponistinnen: „Nicht nur Mozarts Rivalinnen“ von Clemens M. Gruber, das sehr stichhaltig offenlegt, warum zu fast allen Zeiten so wenige komponierende Frauen in Erscheinung treten im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen, und in dem der Autor die Lebenswege von 22 österreichischen Opernkomponistinnen nachzeichnet. Im Vergleich zu Italien, Deutschland und Luxemburg passiert in Österreich tatsächlich wenig im Hinblick auf die Frauenmusikforschung.

MW: Noch ein persönliches Statement: Wie sehen Sie das Ensemble, was macht Sie aus?

GR: Wir verstehen uns sehr gut, wir bringen Freude an der Musik und Liebe zu diesen Komponistinnen auf die Bühne mit, wir suchen die Nähe zu den Hörern, und durch unsere Moderation taucht auch das Publikum in die damalige Welt ein und lebt Empörung und Fassungslosigkeit genauso wie Freude und Begeisterung ungebremst mit.

MW: Wünsche für die Zukunft? Vor der CD ist nach der CD. Ist ein weiteres Projekt in Sicht?

GR: Der Fundus an Musik von Komponistinnen ist noch längst nicht ausgeschöpft, wir brennen darauf, uns neue Programme zu erspielen und dem Publikum vorzustellen, und wir haben schon wieder Lust auf eine neue CD. Wir lassen uns von der Gunst des Augenblicks leiten und gehen durch die offenen Türen...

MW: Ich danke für das Gespräch und wünsche „Spirit of Musicke“ viel Freude und Erfolg!

GR: Gerne, und vielen Dank im Namen von uns Allen!

Webseiten: www.spirit-of-musicke.com und facebook.com/spiritofmusicke angeben.

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