Hauptbild
Gennadi Roschdestwenski im Gespräch mit Michael Ernst. Foto: Helge Mirring
Gennadi Roschdestwenski im Gespräch mit Michael Ernst. Foto: Helge Mirring
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ganz einfach ein Mensch: Der Dirigent Gennadi Roschdestwenski ist gestorben – Ein Nachruf von Michael Ernst

Publikationsdatum
Body

Er wollte keine Ikone sein, sondern ein Mensch. Nun ist der Dirigent Gennadi Roschdestwenski verstorben. 87 Jahre und bis fast zuletzt im Dienste der Musik – die großen Meastri sterben aus.

Sein Vater Nikolaj Pawlowitsch Anossow war in den 1930er Jahren ein berühmter Dirigent. Grund genug für den am noch berühmteren Moskauer Konservatorium ausgebildeten Sohn Gennadi, der 1931 in eine klassische Musikerfamilie hineingeboren worden ist, die eigene Laufbahn mit dem Mädchennamen seiner Mutter zu starten. Schlicht und einfach, weil er fürchtete, ansonsten in den Ruf der Vetternwirtschaft zu geraten. Völlig frei davon steht der Name Roschdestwenski heute für eine berühmte Musikerdynastie.

Gennadi Roschdestwenski hat diesen Künstlerkreis am 16. Juni verlassen. Nach langer und schwerer Krankheit legte er sein Erbe in die Hände von Viktoria Postnikowa und Sascha Roschdestwenski. Die berühmte Pianistin und der 1970 geborene Geiger trauern um den Gatten und Vater. Die internationale Musikwelt trauert um eine Ikone.

Just diesen Vergleich wollte der Moskauer Maestro für sich nicht gelten lassen, wie er im nmz-Interview vor zwei Jahren von sich gab: „Das klingt ja sehr schön, eine Ikone zu sein. Andererseits ist es sehr kompliziert, denn eine Ikone betet man an. Ich habe zumeist etwas mit einem Orchester zu tun. Und mit Musik. Ich bin also lieber ganz einfach ein Mensch.“

Das ist er tatsächlich zeitlebens gewesen, „ganz einfach ein Mensch.“ Um den man schon mehrfach den Atem anhielt. Sowieso in den Konzertpodien der Welt, wo mit ihm und diversen Spitzenorchestern mitgefiebert werden konnte, einmal aber auch im winterlichen Dresden, wo Roschdestwenski Ende Januar 2016 auf dem Weg vom Hotel zu einem Konzert mit der Philharmonie ausglitt, sich verletzte und das Konzert absagen lassen musste. Zwei Tage zuvor nahm er noch im nahen Gohrisch den Internationalen Schostakowitsch-Preis entgegen und schilderte frohgemut seine Begegnungen mit dem Komponisten. Der hat ihn geprägt wie kaum ein zweiter: „Die größte Freude für mich war, ihn selbst kennenzulernen. Er war nicht mein Lehrer, aber es ist so gekommen, dass er mein Lehrer ist.“

Sämtliche Orchesterkompositionen Schostakowitschs hat Roschdestwenski aufgenommen, von dem insgesamt fast 800 Platten- und CD-Einspielungen vorliegen („Ich wundere mich manchmal selbst, wann ich das alles gemacht haben soll.“). Sämtliche Sinfonien also, alle Konzerte, Ballette und Opern sowie die kompletten Filmmusiken.

Der Meister steht aber nicht nur für seinen Musikerfreund Dmitri Schostakowitsch, sondern kaum minder für Sergej Prokofjew sowie als furchtloser Wegbereiter etwa von Edison Denisow und Sofia Gubaidulina. Bereits lange zuvor war er der erste Dirigent, der Werke von Carl Orff, Paul Hindemith, Béla Bartók und Maurice Ravel in seiner sowjetischen Heimat aufführen durfte.

Keine Frage, Gennadi Roschdestwenski darf als Ausnahmekünstler bezeichnet werden. Er arbeitete schon frühzeitig mit namhaften Klangkörpern der Sowjetunion und wenig später im Ausland. Sein Debüt gab es als 20-Jähriger am Bolschoi-Theater mit Tschaikowskis Ballett „Der Nussknacker“. Von 1960 an leitete er 14 Jahre lang das Staatliche Rundfunk-Sinfonieorchester der UdSSR, später war er Chefdirigent am Bolschoi sowie an der Moskauer Kammeroper. In den 1980er Jahren wurde er für drei Jahre Chef der Wiener Symphoniker, arbeitete mit dem Londoner BBC Symphony Orchestra, übernahm nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Stockholmer Philharmonie. Die fruchtbare und enge Verbindung Roschdestwenskis mit ostdeutschen Klangkörpern wie der Dresdner Philharmonie und der Sächsischen Staatskapelle dürfte sich in besonderer Weise aus der gemeinsamen Vorliebe für ein Repertoire der klassischen Moderne gespeist haben.

Dass er mit seinem vielseitigen Schaffen durchaus das europäische Musikleben mitgeprägt hat, wies er noch mit Mitte 80 in einem Gespräch brüsk zurück: Das schmeichle ihm zwar, sei aber nie seine Absicht gewesen. „Ich habe viele Orchester dirigiert, ich komme und ich dirigiere, das war’s.“

Bis fast zuletzt ist der nun seiner Krankheit erlegene Dirigent unermüdlich tätig gewesen. Nach Querelen am Moskauer Bolschoi, wo er ab 2000 wieder als Künstlerischer Direktor tätig gewesen ist, wirkte er zuletzt noch am Tschakowski-Konservatorium. Während der Name seines Vaters heute beinahe vergessen ist, wird Gennadi Roschdestwenski einen festen Platz in der Musikwelt behalten.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!