„Die Schneekönigin“ von George Alexander Albrecht wurde am Deutschen Nationaltheater Weimar uraufgeführt! Unser Kritiker Roland H. Dippel hat sich ins Gestöber geworden und ist fündig geworden.
Das Erfolgsrezept dieser Uraufführung sei empfohlen zur Nachahmung: Der Komponist George Alexander Albrecht, der Textdichter Peter Truschner und der Regisseur Maximilian von Mayenburg nehmen Kinder als Publikum sehr ernst. Deshalb wurde „Die Schneekönigin“ kein auf Education-Konfektion getrimmtes Werk, sondern eine erfreulich echte Oper mit großem Orchester, die ihr junges Publikum für die Kunstform begeistern kann. In unterhaltsamen 80 Minuten. Wie für die Erwachsenen geht es um Gefühle, Gefahren, Bewährungen und den Glauben an das Gute. Ein Glücksmoment ist das auch insofern, weil Kinder nicht mit einem 100%-Happyend verschaukelt werden, sondern die Schneekönigin im Finale Entfremdung als heutige „conditio humana“ benennt.
Der 80jährige George Alexander Albrecht kennt durch seine GMD-Zeiten in Hannover und Weimar das große Musiktheater durch und durch. Nach seiner Dirigenten-Laufbahn widmete er sich wieder dem Komponieren. Auch Hans Christian Andersen, Dichter der Vorlage, stand ab 1844 in enger Beziehung zu Weimar und zum Erbgroßherzog Carl Alexander, dem er über die Entstehung dieses Märchens berichtete.
Geradlinig wird die Geschichte von Kay erzählt, der durch zwei Glassplitter – einen ins Auge, einen ins Herz – der Schneekönigin verfällt. Seine Freundin Gerda überwindet alle Attacken des bösen Kobolds und rettet Kay nach einer abenteuerlichen Reise durch die halbe Welt. Dabei gewinnt sie Freunde und wird erwachsen. Empfohlen ab sechs Jahren, gut geeignet für Ältere bis etwa 14, so etwa wie Endes „Die Unendliche Geschichte“.
Zu Beginn gibt es ein paar angeschrägte Töne, dann bleibt die Partitur mit abwechslungsreichen tonale Perioden und Gestenreichtum bis Ende in Spannung. Albrecht erfand für Kay und Gerda liedhafte Melodien. Den Kobold lässt er deklamieren wie Mime, die Schneekönigin führt er in irisierend hohe Lagen mit ausgezehrten Klängen. Für Raben und Räuber gibt es lustige Scherzi- und Genre-Flächen wie in einer guten Operette. Im Kontrapunkt rumoren, wenn nicht alles täuscht, auch „Walküre“-Motive. Doch stehen Humperdincks „Hänsel und Gretel“, denen Kay und Gerda als Mezzo- beziehungsweise Sopran-Besetzung entsprechen, ferner als Siegfried Wagners Grimm-Collage „An allem ist Hütchen schuld“, in der eine junge Frau ebenfalls ihren Mann sucht und ein gefährlicher Kobold Menschen foppt. Die Libretto-Verse riskieren im Metrum mitunter Monotonie und schaffen vor der Landung in banaler Reimbrecherei doch immer wieder den Aufschwung.
Die jungen Zuschauer saßen ohne Durchhänger, aufmerksam bis zum Schluss. Das zählt umso mehr, weil es weder Übertitel noch eine Inhaltsangabe im Programmheft gab. Albrecht fordert mit seiner Partitur die Hörer. Allenfalls mit Ausnahme der Blumenfrauen-Szene hat jede andere die genau richtige Dauer.
Das alles setzte Maximilian von Mayenburg, Regisseur des Bayreuther Kinder-„Ring“ 2011, um wie ein gewichtiges Repertoirestück. Vor allem für den Chor gibt es dankbare Aufgaben: Die Szenen der Raben und der Räuber mit der mehrschichtigen Figurencharakteristik ihrer Anführerin Ronja haben Witz. Vom Beginn in Kostümen wie zum Victorianischen Frühstück beim Leipziger Gothic-Treffen bis zum Schluss-Vaudeville klang das rund und differenziert (Leitung: Markus Oppeneiger). Thilo Reuthers Bühne und Kostüme liefern klare Spielflächen mit Holzmöbeln daheim und einem riesigen Zelt-Rock der Schneekönigin, unter dem Kay sitzt wie im Elfenbeinturm. Das gipfelt in Gerdas Rentier-Ritt mit entfesselten Projektionen von Sturm und Wetter, dazu mit sichtbarer Lufttrommel bewegter Bühnenschnee.
Der Kobold als Conférencier des Bösen holt die Schneekönigin (Lini Gong mit gekonnt heiß-kalten Koloraturen) mittels eines Kurbelzugs. Jörn Eichler macht ihn mit vokaler Geschmeidigkeit zum ebenbürtigen Gegner Gerdas. Steffi Lehmann gibt ihrem umfangreichen Part passend mehr Pamina-Substanz als Gretel-Naivität. Mit freudig-beglückter Würdigung seien hier Eleonora Vacchi (Kay), Rebecca Teem (Großmutter/Blumenfrau), Daeyoung Kim (Rabe) und Sayaka Shigeshima (Ronja) genannt. Ein spezieller Sympathieträger ist Alik Abdukayumov als Rentier, mit dem liebevoll gestalteten Kopf aus Holzlatten und braunglänzenden Kulleraugen ist er vokal-szenisch schier verwachsen. Dominik Beykirch schlug mit der Staatskapelle Weimar Funken, Farben und Feuer aus der Partitur und agierte präzisionsscharf mit der Szene.
- Termine: 2., 4., 6., 7., 9. Dezember 2015 (oft vormittags)