Seit der Spielzeit 2018/2019 ist Georg Heckel Intendant des Landestheaters Detmold – ein Mann, der das Theater „von der Pike auf“ kennt, selbst ausgebildeter Sänger ist und die Bühne in dem beschaulichen Städtchen in Ostwestfalen, die als Landestheater wichtige Aufgaben sowohl in der Region als auch über die Landesgrenzen hinaus wahrnimmt, nach vorn bringt. Jetzt stellt sich Georg Heckel als Regisseur am eigenen Haus vor.
Was passiert in Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“, dieser Oper, die auf einer Gothic Novel von Henry James beruht? Eine Gouvernante reist in ein einsames Landhaus, trifft auf zwei Kinder und eine Haushälterin. Dann betreten zwei tote Bedienstete die Szene und locken die Kinder zum Aufbegehren gegen die Gouvernante. Am Ende wird das Mädchen namens Flora gerettet, der Junge Miles dagegen stirbt. Wie kommt es dazu? Viel liegt – dies ein Merkmal der Gothic Novel wie auch Brittens Oper – im Ungesagten, Angedeuteten. Hat es einen Mord gegeben, psychische Störungen oder gar Pädophilie? Möglich auch, dass alles nur der Fantasie der Gouvernante entspringt.
Diese Ungewissheit prägt auch Georg Heckels Inszenierung. Er stellt Fragen, entscheidet sich aber nicht für eine dezidierte Deutung, erhöht so die Wirkung des indifferenten Grusels. Es ist das Licht, das die Szene bestimmt, dem Geschehen seinen Stempel aufdrückt. Blautöne sind es, die in tiefes Schwarz übergehen. Nichts ist klar voneinander abgegrenzt, verschwimmt und wird schemenhaft. Was ist wahr, was nicht? Was ist geschehen, was nicht? Ein helles Licht blitzt kurz und grell auf, verschwindet jedoch so schnell, wie es gekommen ist. Ein Irrlicht, das trügerisch eine falsche Fährte auslegt? Carsten-Alexander Lenauer leistet hier großartige Arbeit.
Drei große Holzkästen ohne Rückwände stehen auf der Bühne, für die Timo Dentler und Okarina Peter verantwortlich sind. Sie werden immer wieder verschoben, bilden unterschiedliche Räume – abstrakt, aber sehr zweckmäßig. Bei den Kostümen wird auf sachtes Gruseln gesetzt: die Geistergouvernante als hochschwangere Primaballerina und ein wie ein Pantomine auftretender untoter Diener Quint – beide weisen wieder direkt ins Surreale und weichen Anklänge an geerdete Wirklichkeit auf. Georg Heckel und sein Team zeigen eine Gothic Novel im besten Sinne.
Das bis in die Haarspitzen hinein motivierte Ensemble setzt Heckels Vorgaben perfekt um. Stephanie Hershaw als Flora spürt fein wie Engelshaar der Entwicklung nach, die sie immer stärker in die Abhängigkeit der Geister geraten lässt. Johann Kaßmann vom Gütersloher Knabenchor ist ein fast somnambuler Miles, der letztlich narkotisch eingelullt wird vom Werben Quints. Lotte Kortenhaus ist eine zutiefst verstörte tote Miss Jessel, gebeugt ob ihres tragischen Schicksals. Aktiv böse und lockend dagegen der Quint: Stephen Chambers buhlt um Miles‘ Gunst, gurrt, lockt und umgarnt den Jungen mit allen stimmlichen Finessen. Als gutherzige, aber letztlich hilflose Haushälterin Mrs. Grose überzeugt Monika Walerowicz auf ganzer Linie. Kraftvoll und satt ist ihre Stimme, die sie aber auch zweifelnd und ängstlich perfekt einzusetzen vermag.
Dreh- und Angelpunkt ist die Gouvernante. Emily Dorn gibt sie zutiefst menschlich, weiß Zuversicht, Freude, Liebe, Angst und Verzweiflung mit ihrer wandlungsfähigen Stimme auszudeuten.
Nicht mehr als vierzehn Musikerinnen und Musiker benötigt Benjamin Britten im Orchestergraben, doch diese schaffen einen intensiven Klangkosmos. György Mészáros, kommissarischer Generalmusikdirektor des Detmolder Landestheaters, gelingt es, das Feinnervige und die psychologischen Momente musikalisch punktgenau umzusetzen. Ein Opernerlebnis, das unter die Haut ging und vom Premierenpublikum gefeiert wurde.
- https://www.landestheater-detmold.de
- Weitere Termine: 8. und 10. April; 4. und 5. Mai; Gastspiel im Theater Hameln am 8. Juni