In der Inszenierung viel zu eindimensional gezeichnet, aber handwerklich präzise gearbeitet und mit einer Schaum spuckenden Toilette: Eine musikalisch ergiebige „Hochzeit des Figaro“ am Theater Freiburg sah unser Kritiker Georg Rudiger.
Rossinis „Barbier von Sevilla“ hatte Joan Anton Rechi zu Beginn seiner Karriere am Theater Freiburg im Jahr 2007 als aberwitzige Fernsehproduktion inszeniert, bei der die Handlung am Filmset hinter den Kulissen weiterging und sich die Beziehungen der Opernfiguren mit denen der Darsteller virtuos miteinander verzahnten. Nach etlichen weiteren Arbeiten wie Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ und Kurt Weills „Love Life“ kehrt der aus Andorra stammende Regisseur nun mit der Fortsetzungsgeschichte von Beaumarchais Komödie an das Haus zurück. Leider ist seine Inszenierung von Mozarts „Le Nozze di Figaro“ als Reality-Soap nach dem Vorbild der US-Fernsehproduktion „Say Yes to the Dress“ nicht annähernd so geistreich wie seine geniale Rossini-Adaption. Ein Brautmoden-Geschäft als Mittelpunkt von Figaros Hochzeit – mit viel Tüll und noch mehr Seide, mit einem tuntigen Basilio (schön komisch: Junbum Lee) und einer Schaum spuckenden Toilette (Bühne: Sebastian Ellrich).
Schon vor der Premiere können sich die Besucher im Foyer in Brautkleidern fotografieren lassen. Zur federnd musizierten Ouvertüre tänzelt die ganz in Weiß gekleidete Statisterie des Freiburger Theaters über die Bühne (Choreographie: Graham Smith). Rechis Humor ist zu spüren, wenn Figaro, dem Juan Oroczo viel Fundament verleiht, zu Beginn nicht das Zimmer ausmisst, sondern die Körpermaße der Braut abnimmt. Auch die Idee, Cherubino auf Inline Skates über die Bühne kurven zu lassen, hat Witz und durchaus auch eine dramaturgische Berechtigung, saust der Page doch von einem amourösen Abenteuer zum nächsten. Inga Schäfer bewegt sich nicht nur wie selbstverständlich auf den Rollen, sondern singt dazu noch mit feinem Sopran und heller Tongebung. Leider werden die Figuren vom Regisseur viel zu eindimensional gezeichnet. „Le Nozze di Figaro“ ist eben nicht nur ein großer Spaß, sondern auch eine Geschichte über Machtverhältnisse und den damit verbundenen Konflikten, über Täuschungen und Verletzungen. Diese Momente, wenn Mozart die Zeit anhält und für einen Moment tief in die Seele der Figuren blickt, sind in diesem auf Event getrimmten Setting nicht zu finden. Dafür gibt es Sahnetorten im Gesicht und Männer in Frauenkostümen. Es fehlt dieser handwerklich präzise gearbeiteten Satire der Biss und auch der Mehrwert. Durchgeknallt zu sein, reicht noch nicht für eine ausreichende Deutung des Stoffes.
Das ist schade, weil der Abend musikalisch vielschichtiger ist. Der neue erste Kapellmeister Ektoras Tartanis sorgt bei seinem Freiburger Operndebüt für einen rundum gelungenen Mozartabend mit flotten, aber nicht gehetzten Tempi, mit sprechender Artikulation und lyrischen Haltepunkten. Andrea Mele verbindet am Hammerflügel ganz natürlich die Arien mit den Rezitativen. Und zitiert auch mal Queens „Bohemian Rhapsody“ vor Cherubinos „Voi che sapete“, das mit Discokugel und Showbühne seltsam aufgepeppt wird. Michael Borth verleiht Graf Almaviva mit seinem warmen, beweglichen Bariton viel mehr Zwischentöne, als es sein rosa Anzug und die weiße Perücke vermuten lassen (Kostüme: Sandra Münchow). Sarah Traubel ist eine höhensichere Gräfin, deren lyrischen Momente ein wenig zu kurz kommen. Mit Katharina Ruckgaber (Susanna), Anja Jung (Marcellina) und Jin Seok Lee (Bartolo) ist die weitere Brautmoden-Crew ausgezeichnet besetzt. Auch der szenisch stark geforderte Chor (Leitung: Norbert Kleinschmidt) macht seine Sache gut. Das Freiburger Publikum nimmt den glänzend polierten, aber wenig tiefgründigen Abend mit großer Begeisterung auf. Und bejubelt neben der Regie auch den geglückten Einstand von Kapellmeister Ektoras Tartanis.