Beim neuen „Fliegenden Holländer“ in Erfurt ist das Bühnenbild der Clou und gibt die Richtung von Guy Montavons Zugang deutlich vor. Hank Irwin Kittel hat ein Trockendock auf die Bühne gesetzt, das aber genauso gut ein imaginärer Innenraum sein könnte. Er folgt damit dem, was Harry Kupfer einst mit seiner Bayreuther Senta in die Rezeption eingeführt hat. Nämlich die ganze Geschichte als eine starke Wunschvorstellung beziehunsgsweise fixe Idee Sentas aufzufassen und sie sozusagen vor ihrem inneren Auge ablaufen zu lassen. Das geht natürlich bei der konkreten Umsetzung nicht völlig ohne gewisse Rempeleien mit dem Erzählfluss. Aber es hat einen gewissen, durchaus auch stringenten Reiz.
Ein Hauptvorzug dieses Bühnenbildes ist es, dass das geheimnisvoll aus dem Nichts auftauchende Holländerschiff mal nicht auf ein Segel mit Takelage oder einen dräuenden Bug reduziert oder als Projektion daherkommen muss. Hier kann der feuerrot leuchtende Schiffsrumpf ins Trockendock einschweben. Was ja selbst, wenn das Schiff von oben einschwebt (es kommt dann auch von hinten über die offene Seite), ein ziemlich technisch rationales Element in dieser ansonsten ja alles andere als rationalen Geschichte ist.
Auch das Meer spielt so selbst mit – es ist in der Öffnung des Docks nach hinten zu mit riesigen Videowellenbergen gegenwärtig. Senta ist ein einsames Kind, das verspielt träumend oder lesend zwischen ein paar Habseligkeiten sitzt, als wäre sie nicht ganz von dieser Welt. Oder sie fährt auch mal eine Runde mit dem Klappfahrrad. Den Boden hat sie vollgekritzelt. Überall. Mit Worten von Erik über Sünde bis Erlösung. Die Bühne wird schon während der Ouvertüre einmal kurz sichtbar.
Der Holländer, von dem sie träumt, taucht erst wie ein Seemann und dann bei der „offziellen“ Begegnung mit Senta im rotem Mantel (und einem Vollbart wie Marx) auf. Aber der Fokus von Guy Montavon bleibt immer auf Senta gerichtet, die sich am Ende folgerichtig dem Traum-Mann hinterher stürzt.
Im zweiten Aufzug gibt es weder Stube noch Spinnräder der Seemannsfrauen. Metaphorisch etwas kalauernd radelt Senta allein auf ihrem Fahrrad. Der Chor wird zu kriechenden Lemuren, die verheißenen Schätze des Seemanns hängen wie unwirklich schöne Kristalltropfen von der Decke. Einer wie Erik hat hier keine Chance (selbst wenn Tenor Eduard Martynyuk mit weniger Akzent singen würde). Auch sein letzter Versuch, Senta für sich zu gewinnen, scheitert. Wie soll der Biedermann auch gegen den Kapitän eines von innen glutrot leuchtenden Schiffes ankommen! Dem muss und wird Senta folgen. Koste es was es wolle.
Der chinesische Gast am Pult des durch Musiker der Thüringer Philharmonie Gotha-Eisenach verstärkten Philharmonischen Orchesters Xu Zhong setzt auf scharfe Kontur. Lässt es alsbald auch richtig stürmen. Die in Erfurt gut bekannte Kelly God hat als Senta damit natürlich kein Problem, auch wenn man ihr eine gelegentliche Angestrengtheit anmerkt. Zumal sie ihren Gesang mit einer von der Regie vorgegebenen infantilen Ausgelassenheit koordinieren muss. Todd Thomas ist ein solide überzeugender Holländer. Ebenso der Daland des am Haus neuen georgischen Basses Kakhaber Shavidze. Das klingt vielversprechend. Katja Bildt als Amme Mary und Richard Carlucci als Steuermann komplettieren das Ensemble. Der von Andreas Ketelhut einstudierte Chor haderte offenbar etwas mit seiner gelegentlichen Verbannung ins Unsichtbare. Für Erfurter Verhältnisse eine kühne szenische Sichtweise, die im September auch zweimal an der Oper in Shanghai zu sehen sein wird.