Das Mecklenburgische Staatstheater ließ sich Zeit, die Opernspielzeit zu eröffnen. Dafür war das Ergebnis bei Giuseppe Verdis „Rigoletto“ umso spektakulärer (18. Oktober 2019). Nicht nur das Auge, auch das Ohr wurde üppig bedient, meint Arndt Voß in seiner Kritik.
Zu sehen
Zu sehen gab es in Alexandra Liedtkes Regie viel. An einer dreieckigen Traverskonstruktion in Deckenhöhe waren an zwei Seiten und am Boden insgesamt acht hochragende Spiegelflächen so befestigt, dass sie um ihre Achse rotieren konnten. Sie vervielfachten das Bühnengeschehen, machten an den Seiten den Bühnenhintergrund oder selbst den Zuschauerraum sichtbar (Ausstattung: Malte Lübben). Das bezog das Publikum zumindest optisch in die Handlung ein. Die Rückseiten der Elemente waren dunkel, so dass durch Drehen einzelner oder mehrerer sehr unterschiedliche Bereiche entstanden, rechteckige oder spitze, weite oder enge, selbst ein kleines Kabinett an der Spitze. In die Räume konnte seitlich oder frontal hingesehen werden, weil das Konstrukt insgesamt noch auf der Drehbühne herumgefahren wurde. Ein Zuviel war geschickt vermieden, obwohl diese wandelbaren, ständig in Bewegung sich befindenden Räume temporeich, dennoch differenziert bespielt wurden (Choreographie: Paul Blackman).
Anfangs war zum Fluchmotiv der Introduktion bei nur wenig geöffnetem Vorhang einzig Rigoletto zu sehen, der schon einmal sein gequältes Wesen zu erkennen gab. Die Maske hatte ihn mit grell rotem Mund in seinem kreideweißen Gesicht ausstaffiert. Dann blickte man hinein in den „Festsaal“ des Herzogs von Mantua, in dem eine enthemmte Männergesellschaft herumtollte, teils im Frack, teils als eine Art Sansculotten in Unterhosen, auch halbnackt mit Tutu oder Spitzenrock gekleidet, eine Szene teils schon jenseits von Frivolität. Golfschläger trugen einige in der Hand, andere Queues, die in ordinärer Anspielung auf das Stoßen auch Schwanz oder Penis genannt werden. Dies war eine reine Männerwelt. So hatten die Schweriner Chordamen an diesem Abend frei, wohl zum Bedauern des Herzogs, der sich mit „Questa o quella per me“ in seinem Triebleben anders bekannte. Einzig die Gräfin von Ceprano blieb. Auf sie war nicht zu verzichten. In einem knallig roten Kleid weckte sie die Begierde des Herzogs und förderte damit die dramatische Auseinandersetzung mit dem Grafen, die in dieser Konstellation noch sinnreicher wurde.
Die irreale Anfangsszene machte deutlich, dass es der Regie auf das Seelenleben ihrer Personen ankam. Die Handlung zu verorten oder zeitlich einzugrenzen war deshalb nicht nötig, die Bühnenarchitektur erreichte mehr. Wie intensiv das für den Zuschauer zu erleben war, zeigte Monterones Fluch von der Fürstenloge herab, die sich auf der Bühne spiegelte. Das verband sich effektiv mit Rigolettos Erschrecken. Auch andere Szenen profitierten von der Schlichtheit dieser Bühnenausstattung. Wenn sich der Fürstensaal schließt, erscheint wie durch eine Wand Sparafucile, was im Ergebnis seine Unheimlichkeit steigert. Schließlich sei noch auf Rigolettos erstes Duett mit Gilda verwiesen, das im engen Winkel von nur zwei Elementen stattfindet, während andere die Szene spiegeln und Rigolettos Qual aus mehreren Perspektiven sichtbar machen.
Zu hören
Vieles würde nicht funktionieren, hätte die Regie nicht so ausdrucksstark singende und spielende Sänger zur Verfügung, die zudem auch noch in ihrer Körperlichkeit der Rolle entsprachen. Das beginnt bei dem Herzog von Mantua, der in der Besetzungsliste den Anfang macht. Ihn sang ein Gast, der Brasilianer Matheus Pompeu, mit strahlend italienischem Timbre. Sein Tenor war sehr wendig, kraftvoll in allen Lagen. Sein agiles Spiel überzeugte ebenso, wurde zum dynamischen Mittelpunkt der wenig honetten Gesellschaft, leichtsinnig und skrupellos. Doch konnte er auch seine vermeintlich ehrliche Zuneigung stimmlich recht glaubhaft modulieren.
Die Titelrolle hatte man Yoontaek Rhim anvertraut, Ensemblemitglied seit 2017. Er ist ein wahrer Charakterbariton, mit einem dunkel gefärbten Timbre und viel Kraft in seiner Stimme. Sein Spiel war außerordentlich schattierend, macht damit den Rigoletto zu einem vielschichtigen Charakter, bösartig und zugleich verletzlich, seiner Tochter gegenüber krankhaft besorgt und doch an ihrem Schicksal schuldig. Das wurde durch das vielfältig veränderte Bühnenbild sinnfällig unterstützt, weil in etlichen Momenten die Intensität sich im Wortsinn „vielseitig“ zeigte. Ein Moment bleibt unvergesslich. Es ist die Quartettszene im dritten Akt. Wie dort der Bühnenraum in der Mitte getrennt wurde, links die rotschimmernde Spelunke mit Maddalena und Herzog, rechts der fahl erleuchtete Außenraum mit Gilda und Rigoletto, das war so simpel wie gescheit gelöst.
Ein besonderer Gewinn war das Engagement der erst 23 Jahre alten Anna Rabe, auch von der Erscheinung her eine wunderbare Gilda. Ihr Spiel machte die Wandlung von der unerfahrenen, gehorsamen Tochter zur kopflos Verliebten, schließlich bitter Enttäuschten und sich dann doch Aufopfernden in großer Art glaubhaft. Ihr Sopran ist ausdrucksfähig genug, nicht nur Lyrisches darzustellen und den Koloraturen Festigkeit zu geben, er bleibt selbst im Trotz ihrem Vater gegenüber charaktervoll.
Bei den Nebenrollen fiel Artem Kuscnetsow als Sparafucile auf. Es war nicht nur seine Körpergröße, mit der er alle überragte, auch sein kraftvoll tiefer und schwarzer Bass ließ seine Szenen, die auch wieder durch die Kulissenelemente verstärkt wurden, zu großen Momenten werden. Er hatte zudem in seiner Schwester Maddalena, gesungen und sehr unzweideutig dargeboten von Itziar Lesaka, eine passende Gehilfin. Eigenwillig bekleidet waren die beiden Höflinge Marullo und Borsa, überzeugten aber durch ihre Stimmen. Sie gehören dem beweglichen Bariton Cornelius Lewenberg und dem sicheren Tenor Paul Kroeger.
Eine weitere, brillante Leistung vollbrachte der durch etliche Sänger verstärkt Opernchor. Selten hat man ihn so sicher (Einstudierung: Friedemann Braun und Daniel Kirchmann) und spielfreudig erlebt wie hier. Die musikalische Leitung hatte Andrea Sanguineti, der die Mecklenburgische Staatskapelle mit großer Feinheit führte, auch den Sängern Zeit für das Atmen und Gestalten gab.
Das war ein begeisternder „Rigoletto“, mit einem nachvollziehbaren Interpretationsansatz und musikalisch mitreißend – eine große Leistung eines eher kleinen Hauses!