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Theo Geißler. Foto: Hufner
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Kurz-Schluss – Wie ich einmal aus gegebenem Anlass versuchte, einen halbwegs seriösen Beitrag für Politik & Kultur zu verfassen

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So: Es folgt an dieser Stelle ein teils ungewohnt sachlicher, nahezu informativer Text, offen gestanden nicht ohne die üblichen schrägen Quengeleien. Seit Monaten herrscht hierzulande gar grausig Gejaule über die politische Wackelpudding-Situation nach der Bundestagswahl. Angesichts zunehmend bräunlicher Färbung unserer moralischen Unterwäsche teils auch verständlich. Sorgen sollten wir uns auch über gewisse dynamisch-sozialpolitische Jusos machen, die versuchen, eine immerhin noch demokratisch getroffene Wahlentscheidung, die eine klare Regierungsmehrheit ermöglicht, durch ein Stürmchen in einem mittlerweile auf 16 Volumenprozent geschrumpften Partei-Flacon Marke SPD zu kippen. Ein interessantes Demokratieverständnis, sollten solche Grundrechen-Kunststücke künftig den demokratischen Zustand unseres Landes definieren. [Vorabdruck aus Politik & Kultur 2018/02]

Einen ganz anderen Weg wünschen sich fünf politisch engagierte »Um-die-Dreißiger« in unserem Konkurrenzblatt namens »Die Zeit« (Ausgabe 8, Seite 54): Yannick Haan (SPD, Ortsverein Berlin Alexanderplatz), Terry Reintke (für die Grünen im Europaparlament), Shaked Spier (Netzpolitiker bei der Linken), Ria Schröder (stellvertretende JuLi-Vorsitzende) und Diana Kinnert (CDU) haben gemeinsam keine Lust mehr auf den behäbigen Politikbetrieb. Was sie vorschlagen, wird Siegern der »Ochsentour« und strammen Parteisoldatinnen und -soldaten nicht gefallen: nämlich ein ideologie-übergreifendes, teils pragmatisches, teils wertebewusstes Denken und Arbeiten in den Parteien. Ein wenig Angst macht ihr Schlusssatz: »Es ist jetzt an der Zeit, auf uns zu hören… Völker hört die Signale?«

Soll noch jemand sagen, unsere Jugend sei politisch desinteressiert, wenn es auch den Anschein hat, ein paar Ältere könnten noch halbwegs hilfreich oder brauchbar sein. So merkt der Durchschnittsbürger im Moment doch gar nicht, dass wir »nur« eine geschäftsführende Regierung haben. Und bedauerlicherweise mag so manche(r) zu der Einschätzung kommen, ein engagierter Geschäftsführer, eine fleißige Geschäftsführerin sei möglicherweise nicht nur auf Dauer billiger, sondern auch effektiver als Scharen von Ministern, Vize- und sonstigen Würdenträgern, gar Kanzlerinnen.

Dabei baut sich das parlamentarische Polit-Personal – von der Masse her kräftig angeschwollen durch den AfD-Furunkel – längst schon wieder seine Schalt- und Walt-Zentralen auf: Die Fachausschüsse des künftigen Bundestages arbeiten. Dabei fällt auf, dass um die Besetzung der sogenannten »wichtigen« Ausschüsse (Wirtschaft, Finanzen) mächtiges öffentliches Gezeter ausbrach. Um die Kultur blieb es bezeichnenderweise ziemlich still. Wir haben den Chef unserer redaktionellen Recherche-Gemeinschaft der ConBrio-Gruppe tief in die geheimen Archive von Google und Wikipedia geschickt, um wenigstens die Persönlichkeiten des für unsere Arbeit besonders relevanten »Kulturausschusses« ihrer ungerechtfertigterweise meist etwas graumäusigen Anonymität zu entreißen. Etliche von ihnen leisten nämlich seit Jahren ganz vorzügliche Arbeit.

Dabei hat sich herausgestellt, dass quer durch alle im Kulturausschuss vertretenen Parteien eine derartige Vielfalt von beruflichen Qualifikationen, von ehrenamtlichen Engagements versammelt ist, dass eine jeder Persönlichkeit gerecht werdende Darstellung wenigstens zehn bis zwölf der großflächigen Seiten unserer Zeitschrift in Anspruch nähme.

Es finden sich Expertinnen und Experten im Agrarbereich, im Ingenieurswesen, in allen erdenklichen Facetten der Jurisprudenz. Nicht zu vergessen Sachbuch-Autorinnen und Autoren, Beamtinnen und Beamte, hauptamtliche Gewerkschaftsmitglieder, Mediziner, Medienvertreter, ein Philosoph – und sehr gelegentlich der eine oder andere praktizierende Künstler. Nun kann Distanz zum Gegenstand der Aufgabe ja nicht unbedingt von Nachteil sein. Ein gewisser Prozentsatz von konkreter Fachkompetenz aber auch nicht. Und so muss man die Frage stellen: Wo sind all die Musiker, die Regisseure, die Bildenden Künstler, die Schriftsteller, die Schauspieler – all die Kulturschaffenden eben – mit Nebenberuf »Bundestagsabgeordnete/Bundestagsabgeordneter«? Ist ihnen die »Ochsentour« durch die Partei-Hierarchien zu dämlich? Scheuen sie als feinsinnige Artisten die spitzen Ellenbogen, die heimtückischen Intrigen, die offenen Machtkämpfe in unseren politischen Systemen?

Dem soll künftig Abhilfe geschaffen werden. In Kooperation mit der nordkoreanischen Kung-Fu-Liga, der Bertelsmann-Stiftung, dem Haubitzenverein »Preußens Gloria« sowie ausgemusterten, aber schlitzohrigen Politiker- und Manager-Persönlichkeiten (de Maiziere, Stoiber, Hoeneß, Ackermann) wird in der Kleinstadt Unterleuten ein Schulungszentrum »Künstler in den Bundestag« gegründet. Zentrum ist eine Originalkopie des Paul-Löbe-Abgeordnetenhauses – in dem 2044 dann auch der Deutsche Kulturrat eine angemessene Heimat finden wird.

Wir hoffen auf die Bildung lautstarker, vielschichtiger kulturpolitischer Kompetenz. Auch für mich ist gut gesorgt. Ich werde als Pförtner und Hausmeister im Range eines Oberministerialrates verbeamtet. Auf Lebenszeit.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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