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Jean Auguste Dominique Ingres: Porträt des Charles Gounod, 1841, Weicher Bleistift auf Velinpapier, 30 × 23 cm. Chicago (Illinois), The Art Institute, Department of Prints and Drawings
Jean Auguste Dominique Ingres: Porträt des Charles Gounod, 1841, Weicher Bleistift auf Velinpapier, 30 × 23 cm. Chicago (Illinois), The Art Institute, Department of Prints and Drawings
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Neuer Held Gounods zu entdecken – Mathias Vidal triumphiert in der Titelrolle von „Cinq-Mars“

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Es gibt diese Abende: da ist ein 22-jähriger Revolutionär mit seinen Plänen aufgeflogen, einen Machtmenschen zu beseitigen; er sitzt mit dem treuen Freund in der Zelle und erwartet die Hinrichtung; auch seine große Liebe scheint ihn verlassen zu haben und aus Staatsraison eine politische Ehe einzugehen; all das fließt in einer bewegenden Liebes- und Weltabschiedsklage zusammen …

… und wenn dann dieses existentielle Leid zu Tönen, zu Gesang wird, umschwebt von Harfenklängen, ein Künstler das einstige Glück beseelt aufblühen lassen und den Verlust in Tönen voller Tränen beklagen kann – dann versinkt selbst das Podium mit Mikrofonen und die Ursituation aller Orphik stellt sich ein: dass der singende Mensch über alle Realität hinaus humane Wahrheit beschwört …

Im Münchner Prinzregententheater begann nach einem langen Moment der Ergriffenheit erst die Starpartner-gewohnte Veronique Gens leise zu applaudieren, dann stimmten alle Solisten ein, der Chor des Bayerischen Rundfunks klatschte, Dirigent Ulf Schirmer verneigte sich vom Pult hinüber und dann toste ein Bravo-Sturm vom Parkett auf die Bühne. Der junge Mathias Vidal war am Freitag nach der Generalprobe und der Erkrankung seines Vorgängers kontaktiert worden. In Paris lud er sich die noch nicht gedruckt vorliegende kritische Partitur-Ausgabe und den Orchester-Probenmitschnitt via Internet herunter und begann die große, 4-Akte-Partie von Charles Gounods „Cinq-Mars“ zu studieren. Am Samstag hatte er in Mans noch in Offenbachs „Blaubart“ zu singen, stand dann am Sonntagabend auf dem Podium des Prinzregententheaters. Schon nach wenigen Phrasen war klar, dass da nicht nur ein schöner lyrischer Tenor Töne vom Blatt sang, sondern ein junger Künstler neben glänzender Textbehandlung jenen typisch französischen „lyrisme heroique“ beherrschte, schwärmerischen Elan mit jungmännlichem Feuer verschmelzen konnte und immer wieder „die Träne“ im glutvoll aufgeladenen Ton hatte – grauhaarige Opernfreunde fühlten sich an den jungen Fritz Wunderlich mit Lenskis todesverschatteten Duell-Liebesabschied „Wohin, wohin bist du entschwunden“ erinnert…

So wurde der erste Abend einer reizvollen Zusammenarbeit zu einem Triumph: die Stiftung „Palazzetto Bru Zane“ wird ihre Ausgrabung vergessener Werke der französischen Opernromantik mit dem Bayerischen Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer fortsetzen und hat nun mit dem 1877 uraufgeführten „Cinq-Mars“ bereits einen Edelstein zum Leuchten gebracht. Gounods Oper verschmilzt die Adels-Verschwörung des Marquis de Cinq-Mars gegen Kardinal Richelieu von 1642 mit einer romantisch verklärten Liebeshandlung und belebt den damals längst verstorbenen „politischen Priester“ Pater Joseph als tödlichen Drahtzieher: auf ihn wurde damals der Begriff „graue Eminenz“ gemünzt.

Parallelen zu Verdis „Don Carlos“ sind erkennbar: im Freundschafts- und Todesduett von Cinq-Mars mit dem adeligen Freund De Thou, den Tassis Christoyannis mit fülligem Posa-Bariton gestaltete; der Titelheld und die geliebte Prinzessin Marie de Gonzague sind von Gounod mit schwelgerischen Melodien und Duetten bedacht, der mephistofelische Pater Joseph (Andrew Foster-Williams) musikdramatisch überzeugend charakterisiert; ein höfisches Schäferspiel bietet – wie auch von Wagner und Verdi in Paris gefordert – dem Ballet Raum; Chöre von Jägern und der politisch gespaltenen Adeligen liefern Kolorit und dramatischen Hintergrund. Insgesamt eine Ausgrabung, die einen „weißen Fleck“ der Opernlexika, erst recht des Repertoires farbig tilgt. Das feierte stürmischer Jubel, der Veronique Gens (Marie), alle Solisten, den von Stellario Fagone einstudierten Chor, das Rundfunkorchester und Dirigent Schirmer einschloss – und sich für Mathias Vidal zu Ovationen steigerte. Bevor demnächst die edle Publikation in Buchform mit zwei CDs erscheint, kann „nachgehört“ werden: in der Mediathek von BR-Klassik ist der Mitschnitt eine Woche lang aufrufbar.

 

 

 

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