Er machte sich in den 1920er Jahren mit Einspielungen für die Deutschen Grammophon einen respektablen Namen als Dirigent und galt schon vor dem Ersten Weltkrieg als ein gefragter Anwalt der musikalischen Moderne. Doch auch als eigenständiger Komponist erlangte Oskar Fried (1871–1941) mit »Das trunkene Lied« (1903) einen glänzender Erfolg. Dass sein schöpferisches Œuvre erst heute wieder auf CD entdeckt wird, ist zwar sonderbar, aber keineswegs zu spät.
Obwohl einst zurecht von einem ganz speziellen »Fried-Stil« gesprochen wurde, hat man lange auf die gewichtigen Partituren warten müssen. Denn hier, wie auch bei vielen anderen Komponisten dieser Generation, war einfach das Material nicht greifbar. Für »Die Auswanderer« (1912) etwa lag zunächst nur ein Klavierauszug vor – bis im Staatlichen Archiv für Literatur und Kunst in Moskau das lange unter Verschluss gehaltene Autograph wieder zum Vorschein kam – Fried war 1934 nach Russland emigriert und stand verschiedenen Orchestern in Tiflis und Moskau vor.
Die Partitur der »Auswanderer« indes erschien auch später noch zu »gefährlich«, wegen der expressionistisch brennenden Verse des belgischen Dichters Émile Verhaeren, aber auch wegen ihrer engagierten, sozialkritischen wenn nicht gar politisch gestimmten Vertonung, die nicht ins ideologische Konzept passte (denn die Stadt wird hier zeittypisch als ein bedrohlicher, alles verschlingender Moloch gesehen). Fried verlieh dem Melodram mit dunklen Farben, harten Klängen und straffen Rhythmen eine geradezu bedrohliche Suggetivkraft. Wirklich schade nur, dass er schon bald nach der Uraufführung am 3. Januar 1913 das Komponieren weitgehend aufgab – Einflüsse dieses Werkes kann man allerdings in Hindemiths jugendlichen Orchesterliedern op. 9 (1917) ausmachen, für deren plakative Kraft nun ein Vorbild namhaft gemacht werden kann.
Nicht minder beeindruckend ist die Duett-Vertonung von Dehmels »Verklärter Nacht« (1901), auch wenn hier der Tonfall noch mehr einem inneren Wehen verpflichtet ist. Weitaus kühler geben sich Präludium und Fuge für Streichorchester op. 10, noch aus der Lehrzeit bei Engelbert Humperdinck stammt die Fantasie über »Hänsel und Gretel«.
Erneut empfiehlt sich das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester als bestens disponierter Anwalt für die Musik des frühen 20. Jahrhunderts; von den Solisten überzeugt vor allem Salome Kammer mit ihrer prägnanten Artikulation. So ist dem Label Capriccio einmal mehr ein wundervoller Coup gelungen – und man darf sich wundern, welch aufschlussreiche Entdeckungen noch immer möglich sind.