Österreich tickt anders als Deutschland. Ganz anders. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kultur. Fortschreitender Pest-Werte zum Trotz wird das kulturelle Leben (noch) hochgehalten und geht es nicht nur um stadtfestige und weihnachtsmärktige Risikofaktoren à la Brot und Spiele, sondern um bestens abgesicherte Veranstaltungen, die – hier freilich im Hochpreisniveau – dem Publikum etwas bieten und den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern eine Spielfläche geben sollen.
Nach der kompletten Absage im vergangenen Jahr sind die diesjährigen Osterfestspiele Salzburg in den Herbst verlegt worden und am 1. November nach nur viertägiger Dauer mit Denis Matsuev in Edvard Griegs a-Moll-Klavierkonzert und der betörenden Tondichtung „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss festlich-musikalisch beendet worden. Wer da im Vorfeld geargwöhnt hatte, bei so kurzer Dauer könne eine Festspielatmosphäre gar nicht erst aufkommen, sah sich eines Besseren belehrt. Ausverkaufte Orchesterkonzerte des Residenzorchesters Sächsische Staatskapelle unter der Leitung ihres Chefdirigenten Christian Thielemann sowie mit Gastdirigent Daniele Gatti, ein treues, internationales Publikum, das auch im Herbst aus aller Welt an die Salzach geströmt ist, um Treue zu zeigen und Musik zu genießen, zeugten vom Glanz der Kultur in einer ansonsten sehr überschatteten Welt.
Was mit dem Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart begann, hätte kaum treffender konzipiert und umgesetzt werden können. Jenes bis heute legendenumwobene Opus, das vielleicht Mozarts persönlichste Auseinandersetzung mit seinem viel zu kurzen, aber unsteten Leben gewesen ist, hätte zu Ostern ebenso wie nun im Herbst zutiefst ins Innere der Menschen gezielt und das Publikum ergriffen. Nach überwältigenden Momenten, in denen die Musik quoll, strömte, flutete und den Saal im Großen Festspielhaus auch mit feinstem Orchester-Piano ausgefüllt hat, verharrten die Gäste wie in einem Stillstand aus Gefühl und Zeit. Es brauchte schier greifbare Augenblicke des wieder wach werdenden Nachsinnens, bis sich der Jubel über die Interpreten ergoss. Golda Schultz für ihren silbrigen Sopran und Christa Mayer für ihre honigwarmen Töne – zwei Herz und Himmel vereinende Sängerinnen. Sebastian Kohlhepp mit bronzenem und bis ins strahlende Gold fließenden Tenor sowie René Pape mit seinem irden grundierenden Bass – die Auswahl dieser Solisten war einfach nur ideal aufeinander abgestimmt und wurde von einem sich hingabevoll einfügenden Bachchor Salzburg ergänzt, den Christiane Büttig hervorragend einstudiert hatte. Thielemann nahm das Großwerk weniger opernhaft und schon gar nicht als liturgisches Glaubensbekenntnis denn als autobiografisches Abbild dieser unfassbaren Persönlichkeit Mozarts.
Deutlich näher ist ihm freilich das Werk von Richard Wagner. Da die Osterfestspiele im Oktober keinen Raum für eine szenische Opernproduktion zuließen, wurden im Herbstmonat flugs „Winterstürme“ ins Programm genommen, um Ausschnitte aus „Walküre“ und „Götterdämmerung“ zum konzertanten Großereignis aufwallen zu lassen. Es ergoss sich eine wohltemperierte Überwältigungsmusik, in der das Orchester ausreichend Raum bekam, seine solistischen, Stimmgruppen- und Tutti-Qualitäten herauszustellen, in der Thielemann den Grabenklang geradezu magisch auf die breite Bühne geholt und bestens koordiniert hat, um ihn von da aus ins Parkett sowie gegen die Ränge zu werfen, ihn auch mal so richtig wabern zu lassen, jedoch stets mit dem Kalkül des unausweichlichen In-Bann-Ziehens. Wenn Mozarts Requiem eine Totenmesse darstellt, dann ist dieser Wagner-Abend ein großartiges Fest der Sinne gewesen. Wesentlichen Anteil daran hatten im Ersten Aufzug der „Walküre“ Anja Kampe als hinreißende Sieglinde, Stephen Gould als Siegmund mit stimmlicher Funkelmacht und einmal mehr René Pape als wohldosiert wütiger Hunding.
Thielemanns Modellieren der „Götterdämmerung“ konnte dann nur noch als Krönung aufgefasst werden, so durchdacht und bezwingend gerieten die orchestralen Klangwolken von der Morgendämmerung bis hin zu Brünnhildes Schlussgesang, den Anja Kampe mit nicht nachlassender Kraft zelebrierte. In feinster Harmonie mit der Kapelle gelang ihr der Zauber vokaler Stärke in engster Verschränkung mit lyrischer Schönheit. Eben ein menschlicher Wagner, der von Publikum mit heftigem Jubel bedacht worden ist.
Gewaltigen Zuspruch erntete während dieser herbstlichen Osterfestspiele auch Daniele Gatti für ein Orchesterkonzert, das musikalisch ganz im Zeichen des Wassers gestanden hat. Der Italiener erwies sich als Meister des Andeutens, er hat mit Feinsinn und kleinstmöglicher Gestik gearbeitet, um daraus immense Wirkmacht zu zeugen. Zwischen „Meeresstille und glückliche Fahrt“ von Felix Mendelssohn Bartholdy der „Rheinischen“ Sinfonie von Robert Schumann stand Mozarts A-Dur-Violinkonzert KV 219 im Zentrum dieses Konzerts und wurde von der Geigerin Hillary Hahn mit Verve, Eigensinn und technischer Perfektion zum Leuchten gebracht. Die gefeierte Solistin, die nach einer selbstauferlegten Auszeit unfreiwillig ins pandemisch verlängerte Schweigen geriet, war überglücklich, nun endlich wieder vor Publikum auftreten zu können. Für ihre künstlerischen Verdienste ist sie mit dem Herbert-von-Karajan-Preis 2021 geehrt worden.
Die nächsten Osterfestspiele sollen dann hoffentlich wieder zu Ostern stattfinden können und sind in der Zeit vom 9. bis zum 18. April 2022 angesetzt. Es werden die letzten unter der Künstlerischen Leitung von Christian Thielemann sein, die letzten also auch mit der Sächsischen Staatskapelle als Residenzorchester. Eine politische Entscheidung, die auch eingedenk der diesjährigen Publikumsreaktionen gewiss noch bedauert werden mag.