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Reihe 9 in der Kirche Aurdal (Norwegen). Foto: mku
Reihe 9 in der Kirche Aurdal (Norwegen). Foto: mku
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Reihe 9 (#75) – Winterreise 

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Sommerzeit ist Festivalzeit. So denkt man sich das jedenfalls, wenn man auf den hiesigen Konzertkalender schaut. Doch ein Festival im tiefen Winter mit Schnee und Temperaturen jenseits des Gefrierpunkts?

Nach wie vor kann ich mich dabei für besondere Orte und Formate begeistern, die den „Betrieb“ mehr oder weniger auf den Kopf stellen. Etwa ein Ope(r)n-Air, das auch schlechtes Wetter erträgt, musikalische Darbietungen samt Picknick auf einer Wiese, Musikfeste in noch als „echt“ wahrnehmbaren Kuhställen, eine Serenade auf dem Marktplatz oder im Innenhof eines Schlosses. Was mich eher langweilt, sind all jene Konzertveranstaltungen, bei denen Solist A mit dem Orchester B unter Leitung von C einmal mehr die altgedienten Schlachtrösser des Repertoires vorführt. Und nein: Beethovens Fünfte muss nicht unbedingt in einer lauen Sommernacht unterm Sternenzelt erklingen, das halte ich für ein dramaturgisches Missverständnis.

Dass es auch anders geht, zeigt seit nunmehr zehn Jahren im norwegischen Aurdal das Hemsing-Festival. Immer Ende Februar wird das beschaulich verschneite Nest fünf Tage lang zum Klingen gebracht – und das an ungewohnten Spielstätten: von der Kirche als Hauptspielort über den Frühstücksraum eines Hotels bis hin zum Iglu oder dem lichtdurchfluteten Saal einer seit über 500 Jahren in 14. Generation betriebenen Forellenfarm mit lokalen Delikatessen. Das wahrlich vielfältige und oftmals verblüffende Programm bot auch heuer nicht nur Musik von Grieg & Co., sondern bezog vielfach die traditionelle und auch von der jüngeren Generation aktiv gepflegte Musik der Hardangerfidel mit ein. Als zentrale Akteurinnen waren die beiden Hemsing-Schwestern Eldbjørg und Ragnhild unentwegt mit Auftritten in ihrem Heimatort gefordert, aber auch auswärtige Prominenz sorgte für Kurzweil, wie Anna Fedorova und Martin Stadtfeld (Klavier), Andreas Brantelid (Violoncello), Marja Mortensson (Gesang), das Goldmund Quartett sowie die Trondheim Soloists. Eine Spezialität stellten die aus Eis geschnitzten Instrumente von Terje Isungset dar – diese Art Musik lässt sich nur bei Frost realisieren…

Am faszinierendsten an dieser musikalischen Winterreise aber war die entspannte Stimmung auf der Bühne, beim Publikum und im improvisierten Festivalzentrum. Hier hat (gefühlt) der ganze Ort mitgewirkt und zum Gelingen beigetragen. Mich erinnerte das ein wenig an die Atmosphäre beim noch jungen Schleswig-Holstein Musikfestival in den 1980er-Jahren. Schöner, lebendiger und ursprünglicher kann ein Musikfest kaum sein.


Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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