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Noa Danon, Anders Kampmann Foto: © Nilz Böhme
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Ritt durch die Revuegeschichte – Tobias Heyder macht in Magdeburg nicht nur dem Zigeunerbaron Beine

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Vor dem aktuellen November-Lockdown eine Operette. Das hat fast etwas von einem Tanz auf dem Vulkan. So hat man es jedenfalls am Sonntag in Magdeburg gehalten. Mit den eingeübten Abstandsregeln und gleichmäßig im Haus verteiltem regen Zuschauerzuspruch. Samt Pausenversorgung. In Magdeburg ging das. Spielt aber auch hier ab November alles keine Rolle mehr.

Für die Abschiedsvorstellung hatte man mit dem „Zigeunerbaron“, den Tobias Heyder gerade inszeniert hat und den Pawel Poplawski musikalisch auf Coronamaß herunter instrumentierte und dann am Pult des reduzierten Orchesters selbst leitete, genau das richtige Stück für diesen Anlass.

Musikalisch ist das eines der nachhaltig erfolgreichsten Stücke des Wiener Operettenkönigs Johann Strauß. Etliche der Musiknummern haben Wunschkonzertstatus. Vom Entrée-Couplet „Als flotter Geist“, das der Tenor Sándor Barinkay mit Chorunterstützung schmettert, über „Ja, das Schreiben und das Lesen“, mit dem der Schweinezüchter Kálmán Zsupán zugibt, dass genau das nie sein Fall war. Bis hin zu dem „Wer uns getraut“-Duett des Liebespaares. Aber auch das ganze Drumherum gehört zum Meisterlichen bei Strauß. Poplawski hat Garben und Bühne im Griff, meistens auch den von Philipp Schweizer und Martin Wagner einstudierten und unsichtbar platzierten Chor.

Die Dialogfassung hat der Regisseur gleich selbst beigesteuert. Da wird sogar der heute ausrangierte Begriff „Zigeuner“ hinterfragt. In ihrer markant und effektvoll gesprochenen Rolle als Conférencière (sie ist zugleich der Abgesandte der Wiener Obrigkeit Conte Carnero) macht Susi Wirth das geschickt platziert und mit Witz. Auch die Tücken der Abstandswahrung in Coronazeiten auf der Bühne werden einmal thematisiert. Was sich deshalb unaufdringlich machen lässt, weil der Plot wie eine Probe als Stück im Stück gespielt wird. Da kann das erste Paar glaubwürdig darüber lästern, dass man auf Abstand nur schwer Gefühl und Leidenschaft darstellen kann. Zumindest Anders Kampmann als Darsteller des Sándor Barinkay sagt das so. Während Noa Danon, die mit ihm gerade die Saffi probt, gut findet, mal nicht begrapscht zu werden.

Als Einheitsort des Geschehens hat Pascal Seibicke keine Pustafolklore auf die Bühne gesetzt, sondern einen „Club der Affen“ als Ort für eine Revuetheatertruppe. Das schafft die Distanz, die Platz für Ironie lässt, ohne die Musik zu desavouieren. Mit Bar auf der einen und einer Wendeltreppe auf der anderen Seite. Die Bühne auf der Bühne bietet dann sowohl eine steile Revuetreppe als auch den Platz für den Ritt auf der Kanone, wenn es in den Krieg geht. Diesen Teil des Handlungshintergrundes spart die auf Tempo und Esprit setzten Show keineswegs aus. Findet sogar drastische Bilder dafür. So kommt der gegen seinen Willen in den Krieg einberufene Ottokar (Benjamin Lee) mit lauter „erbeuteten“ Körperteilen der „Feinde“ zurück.

Eigentlich geht es um einen vergraben Schatz, auf den sie alle scharf sind. Und um den  heimkehrenden, begnadigten früheren Besitzer, auf dessen Land sich aber der Schweinezüchter breitgemacht hat und um dessen Bündnis mit den Zigeunern vor Ort  (daher der Titel der Operette). Dazu die zentrale Liebe-auf-den-ersten-Blick-Geschichte zur schönen Saffi, von der sich herausstellt, dass sie gar keine Zigeunerin, sondern eigentlich ein Fürstenkind ist. Dass auf dem Weg zum Happyend noch ein Kriegseinsatz nötig ist, der Barinkay zum echten Baron macht, ist dann mit Blick auf die politische Korrektheit von heute auch schon egal.

Dass die Magdeburger Haus Primadonna Noa Danon aus dem Auftritt von Saffi mit ihrem Charisma eine Show macht, war klar. Dazu trägt vor allem das von Kerstin Ried choreografierte fabelhaft auf der Treppe und über Tisch und Stühle tanzende Ballett bei. Jacqueline Krell, Melania Mazzaferro, Lisa Radl, Emmy Louise Thomsen, Adrian Sánchez Cancillo, Yael Shervashidze, Andrea Spartà, Lars Wandres haben hier im Grunde eine kollektive Hauptrolle, die jedes Abgleiten in eine irgendwie folkloristische Gemütlichkeit durch dezente ironische Übertreibungen verhindert. Das ist ein Ritt durch die Revuegeschichte, inklusive Männerstriptease oder Schwanseeparodie. Dazwischen immer wieder die drei Affen, die dem Club den Namen geben, über dessen Rückwand riesige Affenfinger sichtbar sind, als würde sich gleich King Kong daran hochziehen. Hat aber rotlackierte Fingernägel, ist also nur ein Gag. Besonderer Respekt gilt der Regie, weil sie eine Fallhöhe riskiert, ohne, dass das aufgesetzt wirkt. Der Conférencière verweist in einer Passage auf die echten Kriegsgreuel, über die die Musik sonst einfach nur drüber rauschen würde.

Heyder ist der Balanceakt gelungen, Operette ernst zu nehmen und doch den Charme des Genres nicht zu verraten. Dieser Zigeunerbaron ist weder Pustafolklore noch Wiener Schmäh, sondern Operette, wie sie heute sein kann. Leider ist es mit der Textverständlichkeit, selbst bei der wunderbaren Noa Danon nicht wirklich weit her. Andreas Kampmann kann als Barinkay ziemlich aufdrehen und auch Stephanos Tsirakoglou ist als Schweinezüchter auch ein stimmliches Schwergewicht.

Fazit: eine Operette für die Kategorie: Vormerken!

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