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Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße. Foto: Theater Gera
Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße. Foto: © Sabina Sabovic
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Schlag’ nach bei Wagner!

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Hans Sommers „Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße“ in Gera. Peter P. Pachl berichtet und beleuchtet das Verhältnis von Hans Sommer zu Richard Strauss.

Kurz vor Kriegsende, im Jahre 1945, entwarf Richard Strauss eine künftige Neuordnung des deutschen Opernspielplans, in dem selbstredend neben Wagner und Mozart keines seiner eigenen Werke fehlen sollte; dabei berücksichtigte er aber auch eine Oper, die schon einige Jahrzehnte lang nicht mehr erklungen war, „Rübezahl“ von seinem alten Mitstreiter Hans Sommer, auch Mitinitiator der AFMA (Vorläufergesellschaft der GEMA). Zwei der zehn Opern des Liszt-Schülers, der in Braunschweig den Patronats-Verein zugunsten der Bayreuther Festspiele gegründet hatte, brachte Richard Strauss in Berlin zur Aufführung; das 1904 in Braunschweig uraufgeführte Opus 36 „Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße“ allerdings radikal gekürzt. Mehr als 110 Jahre später hatte diese Oper nun in Gera Premiere, diesmal nahezu strichlos.

Der Rübezahl-Stoff ist wiederholt vertont worden. Auch Carl Maria von Weber hatte die Geschichte aus Johann August Apels „Gespensterbuch“ als Oper vertonen wollen, wovon noch die Ouvertüre „Beherrscher der Geister“ sowie einige weitere Nummern zeugen; doch dann hatte sich Weber für den „Freischütz“ aus derselben Stoffvorlage entschieden.

Den 1837 geborenen Hans Sommer reizten offenbar die zwei ganz unterschiedlichen Erscheinungsbilder der Sagengestalt aus dem Riesengebirge als kompositorische Gegensätze: gewaltsam ist Rübezahl nur in der freien Natur, in der Zivilisation ist er ein den Schabernack liebender, süffisant verschmitzter Freigeist.

In Eberhard Königs Libretto zu Sommers Künstleroper geht es wieder einmal um die Frage der Wirksamkeit von Kunst – auch anstelle von Religion, wie von Wagner postulierend vorgegeben. Das am Ende der „Rübezahl“-Handlung besungene Fazit lautet: „Liebe und Kunst“.

Liebe und Kunst

Im Bühnenbild von Duncan Hayler sind die diversen Schauplätze der Handlung abstrahiert. Sie spielen um, auf, über und unter einer kreisenden und sich hydraulisch hebenden und senkenden Malerpalette; der Pinsel, mal im Griffloch ruhend, mal drohend erigiert, ist zugleich eine Kletterstange zwischen den Welten.

Denn der Sympathieträger der im schlesischen Ort Neiße angesiedelten Handlung ist ein junger Maler: Wido liebt die Ziehtochter des Tyrannen Buko, und der Aufruf zum Freiheitskampf bringt den – gleich dem Vorbild der elternlosen Wagnerschen Helden – verwaisten Außenseiter in einen Zwiespalt Wagnerschen Ausmaßes. Die mörderische Tenorpartie, in der die des Tristan und die des Siegfried, obendrein in höherer Tessitura, potenziert erscheinen, meistert Hans-Georg Priese erstaunlich.

Regisseur Kay Kuntze geht mit der Spielvorlage frei um. Da Hans Sommer zunächst als Professor für Mathematik und Physik am Braunschweiger Polytechnikum tätig war, führen die von Wido mit Hilfe Rübezahls für den Aufstand zu Hilfe gerufenen Männer aus den Bergen in der Geraer Inszenierung – statt Waffen – Musik- und Recheninstrumente mit sich. Bei seiner Schlussansprache schwebt Rübezahl in einem Flugwerk zwischen Erde und Himmel. Der als Gegenfigur des Vogts Buko wiederholt besungene, vom Vogt inhaftierte, greise Theobald wird in der Schlussszene im Auditorium als kindlicher, bärtiger Hoffnungsträger beschienen, während das Liebespaar auf ein spitzig verfremdetes, leuchtendes Gottesauge zuschreitet.

Wenn Rübezahls Stimme als Elementargeist erklingt, dann wird sie in Gera dämonisch elektroakustisch verstärkt. Der singende Berggeist gemahnt an den Wotan der „Walküre“, aber auch schon an den Prometheus in Walter Braunfels’ Oper „Die Vögel“, die erst 15 Jahre nach Sommers Opus 36 komponiert wurde.

In der zivilisierten Welt schlüpft Rübezahl in die Rolle des Dudelsackpfeifers Ruprecht, der den Menschen zum Tanz aufspielt und so Konflikte beschwichtigt – sogar brennende soziale Aufstände. Das klingt dann bei Sommer in jener Walzer-Seligkeit, die Ludwig Thuille in „Lobetanz“ erfunden und Richard Strauss in seine „Feuersnot“ übernommen hatte, um sie später im „Rosenkavalier“ auszuweiten.

Aber wenn Rübezahl als Ruprecht über die Kunst philosophiert, dann gemahnt Sommers Melodieführung an die Belehrungen des Walther von Stolzing durch Hans Sachs in der Schusterstube der „Meistersinger von Nürnberg“.

Bis hin zum Nachtwächter (der in der Geraer Produktion in die Partie des Totengräbers subsumiert ist: Kai Wefer) stehen in „Rübezahl“ – genau wie in Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ – einer großen Riege männlicher Partien nur zwei weibliche Rollenträgerinnen gegenüber: außer Gertrud (hochdramatisch: Anne Preuß) ihre Betreuerin Brigitte (hier im Glitzerkostüm zu einer Überfigur stilisiert, eindrucksstark im Gesang: Merja Mäkelä). Unter den insgesamt überdurchschnittlichen Leistungen des von Holger Krause einstudierten Chores und der hauseigenen Solisten ragt der dramatische Tenor Jueun Jeon in der kleinen Partie des Bernhard Kraft hervor.

Vogt Buko, in Gera mit Hitlersträhne in Blond, tritt erst im dritten Akt auf, den er dann aber eine knappe Stunde lang großenteils allein gestaltet. Kraftvoll singend, suhlt sich Johannes Beck als Buko in den Eingeweiden eines von ihm im Gebirge erjagten Hirschs, welchen er – als Ersatzobjekt für die sich seinen Zwängen entwindende Ziehtochter Gertrud – schließlich auch besteigt.

Alle Facetten der Partie des Rübezahl alias Ruprecht vermag der junge Bassist Magnus Piontek stimmlich überzeugend umzusetzen. In Kuntzes Inszenierung ist der Pfeifer kein Musiker, sondern ein Pfeife-Raucher, der mit seiner wundersteinartig leuchtenden (E-Zigaretten-)Pfeife dem Dirigenten im Graben die Einsätze zu den heiter-skurrilen Momenten der Partitur gibt. „Je ärger die Enge, je lust‘ger der Spaß, je bunter die Menge, je toller ich blas’“, kommentiert der zum wandernden Menschen Ruprecht mutierte Elementargeist.

Vergleicht man die Partitur von Sommers phantastisch-romantischer Oper mit seinem zwanzig Jahre älteren Opus 6, den sechs Sappho-Gesängen, so zeigt sich erneut Sommers treffliche Beherrschung des Orchesters. Doch die in Opus 6 genialisch aufblitzende Persönlichkeit scheint in der Oper Wagnerschen Fahrwassers domestiziert und eingeengt durch die krude Dramaturgie des ihm kurioserweise von Strauss – und wie Sommer vermutet, nicht ohne böse Hintergedanken – empfohlenen Librettisten. Sommers Instrumentation ist prächtig, seine textbezogene Detailarbeit mit lautmalerischen Entsprechungen, insbesondere im Schlagwerk, exquisit. Die rund dreißig Motive, teilweise auf Liedgut beruhend, faszinieren in additiver Sequenzierung, wie in den Veränderungen ihrer Durchführung. Bei dem auf dem Friedhof spielenden Totentanz im vierten Akt operiert der Komponist mit Ganztonskalen, dabei dominiert der Einsatz des Xylophons als eine Art Knochen-Maschinerie.

GMD Laurent Wagner gelingt es, in der Fülle von Einfällen skurriler und komischer Reize den großen Bogen nicht außer Acht zu lassen. Die Bläser des Orchesters Theater&Philharmonie Thüringen sind zumeist besser disponiert als die Streicher. So gesehen ist es doppelt erfreulich, dass Deutschlandradio diesmal nicht die Opernpremiere übertragen hat, sondern in Kürze die gesamte Partitur drei Tage lang zu Studiobedingungen im Konzertsaal des Geraer Theaters produzieren wird. Deutschlandradio-Redakteur Stefan Lang hat die Wiederaufführung von Hans Sommers Oper beim Geraer Intendanten Kay Kuntze selbst initiiert, wofür er vom Premierenpublikum ebenso gefeiert wurde wie alle Mitwirkenden.

  • Weitere Aufführungen: 20., 26., 28. März, 15. April 2016
  • Ausstrahlung in Deutschlandradio Kultur: 9. April 2016.

 

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