Hauptbild
Marie-Claude Chappuis (Marie-Claude C., Dramaturgin), Anna Prohaska (Anna P., Sopranistin). Foto: © Monika Rittershaus
Marie-Claude Chappuis (Marie-Claude C., Dramaturgin), Anna Prohaska (Anna P., Sopranistin). Foto: © Monika Rittershaus
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Shakespeare hübsch weggeputzt – Henry Purcells Semi-Opera „The Fairy-Queen” im Theater an der Wien

Publikationsdatum
Body

In der Mitte des 17.Jahrhunderts, während der Jahrzehnte der Puritaner-Herrschaft der Cromwells, blieben in England die Theater zwangsweise geschlossen. Aber auch nach 1660, als die mehr oder minder moralischen Anstalten wieder aktiv werden durften, hatte die italienische Oper in London einen schweren Stand – anders als im übrigen Europa, wo die Hofopern allüberall und durchweg das ganz auf Musik gestützte dramma per musica pflegten.

Die Gentlemen, die in der englischen Hauptstadt zu kulturellen Events strömten und für diese bezahlten, fühlten sich mental und emotional nicht ausgelastet, wenn da einen Abend lang nur in prächtiger Kulisse quinquiliert, gefiedelt und getutet wurde. Sie bevorzugten den Wechsel von gesprochenen und deftig inszenierten Dialogen mit Tanz und gesangsdominierter Musik. Daher bildete sich am Ende des blutigen Jahrhunderts eine britische Sonderform des Musiktheaters aus: Die Masque bzw. das, was dann später leicht verächtlich semi-opera genannt wurde.

The Fairy-Queen von Henry Purcell ist eine solche Masque oder „Halb-Oper“ (genauer gesagt: eine Folge von Masques). Uraufgeführt wurde sie am 2. Mai 1692 im Queen‘s Theatre, Dorset Garden in London. Das anonyme Libretto, das vom Theater-Pächter Thomas Betterton stammen dürfte, kürzte William Shakespeares Sommernachtstraum auf ein Drittel des Original-Textes ein. Zugeschnitten wurde das Arrangement auf die Feenkönigin Titania. Eingefügt wurden – mehr oder minder sinnhaltig – stimmungsvolle Musiktitel, die zum Teil mit der Handlung wenig oder nichts zu tun haben. So entstand mit der Fairy Queen ein inkonsistentes Produkt der englischen Restaurationsepoche, in dem Geister der Nacht, des Geheimnisses, der Verschwiegenheit und des Schlafs auftreten oder allegorische Figuren wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter von ihren Wetterlagen singen.

Die französische Regisseurin Mariame Clément hat die Mühe nicht gescheut, das disparate Musik-Theaterstück, das in verschiedenen Versionen überliefert ist, zusammen mit der aus London stammenden Journalistin Lucy Wadham sowie ihrer Bühnenbildnerin Julia Hansen für heutiges Klassik-Entertainment im Theater an der Wien aufzubereiten. Vor allem dadurch, dass sie die von William Shakespeare stammenden Textanteile kurzerhand ebenso eliminierte wie das Ballett (übrig geblieben sind lediglich ein Tänzer als Verkörperung Oberons und Shakespeares Schauspieler Bottom mit dem Eselskopf). Zur texttreu interpretierten Musik von 1692 ergab sich mit wenigen Worten, einigen eingeblendeten Hinweisen auf das Denken und Fühlen der Akteure und dank deutlicher Pantomime eine Handlung wie aus dem Theateralltag gegriffen. Gleichsam ein Heimspiel. Statt der bezaubernden Poesie des Shakespeareschen Sommernachtstraums offenbarten sich ziemlich schnöde Szenen zum Entstehen einer Musiktheater-Produktion: das Theater als Ort von Rivalitäten und Intrigen, als Krisengebiet und Paarungszone, aber eben auch als seliges Gefilde künstlerischer Glückserfüllung. Alle singenden Protagonisten behielten im Prinzip ihre Namen, wurden also z.B. nicht als Titania angekündigt, sondern als Anna P.(rohaska). Man sieht sie zunächst, zwischen First musick und Second musick, bei der Premierenfeier ihren Erfolg feiern. Auf die nachgeschaltete Ouverture und dann sukzessive folgt der Rückblick auf den Probenprozess. Erst auf der Probebühne, dann mit einem seitwärtigen Blick auf ein kleines Theater auf der Bühne. Das klingt komplizierter als es bühnenpraktisch ist – und funktioniert im Wesentlichen gut. Denn die Arien-Texte handeln in so allgemeiner Form von Liebe, Liebesverrat und Liebesleid, dass die Geschichte, die sich darum rankt, austauschbar ist. Austauschbar wie das von der Malerei des 17. Jahrhunderts inspirierte Bühnenbild.

Kurt S. – S. wie Streit – singt den ‚Regisseur‘, der nach der 50. Inszenierung an diesem kleinen Haus völlig ausgebrannt und perspektivlos erscheint, nobel und souverän. Florian Boesch, der ‚Bühnenbildner‘, hat ein Alkoholproblem, das ihn mit deftigen Suff-Arien begünstigt. Marie-Claude Chappuis meistert die Rolle der alternden und vom Liebesglück verlassenen Dramaturgin mit Verve. Zum Sternchen im Team avanciert Anna P., die von der Choristin zur Einspringerin in der Titelpartie aufsteigt – und auch beziehungsmäßig das Rennen macht: Keine große Stimme, aber eine Interpretation mit Anmut, Leidenschaft und Verstand. Christophe Rousset und Les Talens Lyriques lösen alles ein, was von historisch vollinformierter Musizierpraxis erwartet werden kann – mit gelegentlich leicht verbeultem Trompetenblech und sehr hart abgebrochenen Schlussakkorden. Sie erinnern an eine Zeit, in der auch in musikalischer Hinsicht nicht nur zartfühlend gesungen, sondern gerne auch deftig aufgespielt wurde. Das Team im Theater an der Wien hat die musikdramatische Montagekunst der englischen Restaurationsepoche entzückend aktualisiert – der Musik zuliebe.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!