Mit dem Projekt „Over the Edge Club“ schuf das Musikmaschinenensemble Gamut Inc 2020 den ersten Teil einer Mensch-Maschine-Trilogie. Mit der Roboter-Oper „R.U.R.“ folgte nun im Berliner Theater im Delphi am Prenzlauer Berg der Mittelteil des Triptychons, der sich auf der Basis von Karel Čapeks gleichnamigem Theaterstück den Spannungsfeldern zwischen Mensch und Maschine widmet.
Obgleich es mit der literarischen Qualität von Karel Čapeks 1920 erschienenem und im Januar 1921 uraufgeführtem Theaterstück „R.U.R. – Rossum’s Universal Robots“ so eine Sache ist, hat es sich in der Folge als außerordentlich einflussreich erwiesen. Ursache ist die für das Stück erfundene Wortschöpfung „Roboter“, abgeleitet aus dem westslawischen Wort für Fronarbeit („robota“): Als Bezeichnung für künstlich erschaffene Menschen, deren massiver Einsatz als billige und rechtlose Arbeitskräfte die Weltwirtschaft tiefgreifend verändern kann, wird sie schon kurz darauf in zahlreiche Sprachen übernommen, während sich die damit verknüpfte Idee des künstlichen Wesens rasch ins kulturelle Gedächtnis einprägt. In der Tat reichen die Spuren jener Fragestellungen, die Čapek in Bezug auf die Spannungsfelder zwischen dem künstlichen, maschinenhaften Wesen namens „Roboter“ und dem Menschen aufgeworfen hat, von der Filmkunst über die Sciencefiction-Literatur bis hin zur Raumfahrttechnik und der aktuellen KI-Forschung.
Apokalypse und Evolution
Dass sich hinter dem von Čapek entworfenen Szenario, die Kunstmenschen könnten letzten Endes gegen ihre Schöpfer rebellieren und die Menschheit vernichten, zentrale moralische Fragestellungen verbergen, liegt auch dem Roboter-Oper-Projekt „R.U.R.“ des retro-futuristischen Musikmaschinenensembles Gamut Inc zugrunde, das am Donnerstagabend im Berliner Theater im Delphi am Prenzlauer Berg seine Premiere feierte. Das von Frank Witzel erstellte Libretto basiert auf dem letzten Teil von Čapeks Theaterstück und setzt nach der Vernichtung der Menschheit ein: Schauplatz ist das Labor des letzten Menschen Alquist (Patric Schott, Schauspieler), der den Robotern helfen soll, die während des Aufstands verlorengegangene, zur Reproduktion der Roboter-Technologie aber unbedingt nötigte Formel zu rekonstruieren. Hier begegnen wir Helena (Gina May Walter, Sopran) und Primus (Georg Bochow, Countertenor), zwei mittlerweile angeschlagenen, nach menschlichen Vorbildern entworfenen Robotern, die im Gespräch mit Alquist unterschiedlichste Gedanken und Konzepte zu Mensch, Maschine und Seele verhandeln.
Dass die beiden künstlichen Wesen über die Fähigkeit des Gesangs verfügen, während der Mensch sich lediglich der gesprochenen Sprache bedienen kann, ist eine Voraussetzung dafür, dass die verbalen Diskurse sich auf sehr unterschiedlichen Reflektionsebenen entfalten: Während Schott seinen Text meist sehr nüchtern deklamiert, werden die emotionalen Aspekte des Geschehens in den Singstimmen abgebildet. Als besonders glücklich erweist sich dabei die Entscheidung, mit Sopran und Countertenor zwei Stimmlagen zu verwenden, die sich denkbar wenig voneinander absetzen: Nicht nur die Ähnlichkeit der Stimmen trägt viel zur besonderen Gewichtung einer einheitlichen Roboter-Identität bei; unterstrichen wird dies darüber hinaus noch durch die ungemein geschmeidige Art, wie Walter und Bochow jeweils mit ihren Parts umgehen und sie dabei zu zwei Facetten einer übergreifenden Sache machen.
Vierte Gestalt auf der Bühne ist die namenlose, von einem Tänzer (Ruben Reniers) dargestellte Kreatur, deren wortloses und fließendes Agieren sich deutlich von den eher eckigen Roboter-Bewegungen einerseits und von der körperlichen Unbeweglichkeit des meist am Tisch sitzenden Menschen andererseits abhebt. Dass es sich bei dieser Kreatur möglicherweise um den nächsten Schritt in der Evolutionskette Gott-Mensch-Maschine handelt, wird dadurch nahegelegt, dass Helena sich in einer Schlüsselszene an deren flüssigeres Bewegungsrepertoire anzupassen beginnt, wodurch sich jene Wandlung anzukündigen scheint, die eine Lösung des Dilemmas beinhalten könnte: der Schritt in die Unsterblichkeit, der die Suche nach einer Reproduktionsformel – und damit auch den letzten Menschen – obsolet machen würde.
Elektronische Klänge und Chorzuspielung
Musikalisch vertieft wird das Bühnengeschehen durch zwei kontrastierende musikalische Elemente: So entfalten sich die Stimmen einmal vor dem Hintergrund sich wandelnder elektronischer Klänge, die, von Gamut Incs Musikmaschinenrepertoire produziert, bereits beim Betreten des Zuschauerraums präsent sind. Alternierend hierzu werden immer wieder Zuspielungen des RIAS-Kammerchors (Leitung: Ralf Sochaczewsky) eingesetzt, um alternative Wahrnehmungsräume zu gestalten. Dass die choralen Klangfelder auf denselben Kompositionsverfahren basieren, die auch die Erscheinungsweise der elektronischen Teile prägen – meist Übereinanderschichtungen, Repetitionen oder isorhythmisch miteinander verschränkte Phrasen –, lässt beide Klanghintergründe aufeinander bezogen erscheinen, auch wenn die Stimmzuspielungen ganz anders wirken. Dies hängt damit zusammen, dass die im Sinne von Kommentaren oder Mahnungen fungierenden Choreinschübe als Entfaltung der beiden Roboter-Stimmen in den lebendigen, vokalen Klanginnenraum erfahrbar sind oder umgekehrt die beiden Soloparts sich wie eine Fokussierung des Sprachkollektiv in einen individuellen Stimmklang hinein ausnehmen.
Unterstützt wird dies alles durch die schlüssige Bühnenrealisierung von Marion Wörle und Maciej Śledziecki: Ihr liegt die Arbeit mit stroboskopierenden Scheiben zugrunde, die von der Künstlerin Nina Rhode entworfen und für dieses Projekt zu einer Art mobilen Maschine geformt wurden. Zu Beginn noch hintereinander in der Bühnenmitte aufgestellt, werden sie in Verlauf der Aufführung verschoben und sorgen dadurch für unterschiedlichste Beleuchtungsverhältnisse, unter denen eine stahlblaue Farbgebung dominiert. Darüber hinaus werden jedoch immer wieder auch die Farben zugunsten kalten weißen Lichtes ausgesetzt, wodurch – ganz wesentlich bestimmt durch Projektionen wechselnder Ansichten der Chormitglieder auf die Bühnenrückwand – die Atmosphäre expressionistischen Stummfilmkinos heraufbeschworen wird. Insgesamt ist hier, trotz der für meinen Geschmack zu hohen Lautstärke, ein denkwürdiger Abend gelungen.