Das Internet ist in diesen Zeiten zu einem wesentlichen Hauptmedium für die Verbreitung künstlerischer Inhalte geworden. Um unseren Leser*innen ein wenig Orientierung zu bieten, wo sich das Einschalten, Zuschauen und Zuhören besonders lohnt, starten wir eine wöchentliche Rubrik mit kommentierten Tipps unserer nmz-Autor*innen. Ausgabe Nummer 1 führt an die Theater Hagen und Halle, bringt Jazz mit dem Lorenz Kellhuber Trio, macht bekannt mit dem Tagebuch von Nico & The Navigators mit dem Kuss-Quartett sowie Alexander Schuberts KI-Projekt „Av3ry“, besucht Thomas Gansch und seine Gäste und lädt ein zum Konzert des Fauré Quartetts.
Seit 30. April
„Messa da Requiem“ – Inszenierung des Verdi-Requiems von Florian Lutz an der Oper Halle
Vom 30. April 2020 bis 7. Mai. 2020 verfügbar
Video-Aufzeichnung
Die Oper in Halle ist seit dem 14. April. 2020 mit einem digitalen Angebot im Netz. Den Kern bilden Produktionen, die in den letzten Spielzeiten Aufsehen erregt haben. Nach „Mein Staat als Freund und Geliebte“ und der Auftragsoper „Sacrifice“ folgt nun die postapokalyptische Version von Verdis „Messa da Requiem“ in der Inszenierung von Florian Lutz. Das Publikum erlebte dabei auf der Bühne, jenseits gewohnter Guckkastenoptik, Musiktheater mittendrin. Der packende Energiefluss, der in dieser Konstellation auf viele Zuschauer im Opernhaus überzuspringen vermochte, vermittelt sich auch in der bis 7. Mai zu sehenden Videostreamversion. (Rezension nmz Online vom 16.09.2018)
Anders als bei den beiden vorherigen Angeboten gibt es in diesem Falle dankenswerterweise auch eingeblendete Untertitel. Damit ist es besser möglich, die Spannung zwischen der Vorlage und der heutigen (oder übermorgigen?) Interpretation direkter nachzuvollziehen. [Joachim Lange]
1. Mai
Lorenz Kellhuber Trio: Samadhi
Freitag, 1. Mai 2020, 20:00 Uhr @ Blackbird Music Studio Berlin
Video-Live-Stream – Website
Lorenz Kellhuber (Piano), Felix Henkelhausen (Bass) und Moritz Baumgärtner (Schlagzeug) spielen bekannterweise freien Jazz in elastischem Gewebe musikalischer Dichtegrade, bei dem gerne auch mal viel Zeit vergehen kann. Das haben sie auf der aktuellen Platte „Samadhi“ exzellent ausgeführt. Das Blackbird Music Studio ist lange Zeit schon für sein technisches Equipment in Ton und Bild bekannt. Die Zuschauer wird eine hochwertige Produktion erwarten, deren Ergebnis niemand kennt. Spenden für die Künstler kann man vor Ort, also im Netz! [Martin Hufner]
Auf ein Wort … mit Chefdirigent Marek Janowski
Deutschlandfunk Kultur, 1. Mai 2020, 14.05 Uhr
Audio-Stream
Mit der Einstellung des Konzertbetriebs verlegt sich auch die Dresdner Philharmonie – vorerst – ins Netz und bietet ein virtuelles „Weiterhören“ an. Seit Ende April ist „Marek Janowski im Gespräch“, zunächst mit Moderator Stefan Lang von Deutschlandfunk Kultur, um „Appetit auf mehr“ zu machen. Schließlich war die Vorfreude auf einen konzertanten „Fidelio“ im Beethoven-Jahr – mit einer hochkarätigen Sängerbesetzung, dem MDR-Rundfunkchor und der Dresdner Philharmonie unter Leitung ihres Chefdirigenten – enorm. Im Gespräch verrät Marek Janowski, dass und warum „Fidelio“ für ihn eines der bedeutendsten Werke Beethovens ist. Der Maestro erklärt zudem, was für ihn ein Meisterwerk ist, warum er Rocco für die interessanteste Figur dieser Oper hält und welche Stelle ihn in diesem Werk am meisten berührt. Der Beethoven-Exkurs weckt Vorfreude auf eine besondere Sendung im Rundfunk: Am 1. Mai 2020 trifft Marek Janowski auf den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, um drei Stunden lang über Beethoven, dessen Werk und über Musik ganz allgemein zu reden. Es moderiert Stefan Lang: Deutschlandfunk Kultur, 1. Mai 2020, 14.05 Uhr. [Michael Ernst]
Bis 2. Mai
„Cardillac“ von Paul Hindemith –
Inszenierung von Jochen Biganzoli am Theater Hagen
Noch bis 2. Mai (!) 2020 verfügbar
Video-Aufzeichnung der Generalprobe
Das Theater Hagen bietet auf seiner Homepage die Rubrik: „Jetzt gucken“. Ein Höhepunkt ist dort die Aufzeichnung von Hindemiths Oper „Cardillac“ (Premiere 21. September 2019). Regisseur Jochen Biganzoli konzentriert sich auf den hinter der mörderischen Fassade der Geschichte liegenden Kunstdiskurs. Wolf Gutjahr (Bühne) und Katharina Weissenborn (Kostüme) schaffen ihm dafür den ästhetischen Freiraum einer reduzierten Bühnen-Nüchternheit. Sie lässt Raum für die Projektion von programmatischen Statements aus dem Bauhausumfeld, Futuristischem oder bundespräsidial Staatstragendem, die mit dem Geschehen korrespondieren, zugleich aber einen eigenen Gedankenpfad beschreiten. In diesem Fall ist es sogar ein Vorteil, dass es im Stream keine Untertitel gibt.
Der Mitschnitt der Generalprobe ist zwar aufnahme- und schnitttechnisch nicht bis ins Letzte ausgefeilt, vermittelt aber sehr wohl einen Eindruck von dem packenden Sog, den die Musik (Joseph Trafton leitet das Orchester) über pausenlose 100 Minuten erzeugt. Zu den Lehren, die jedes Opernhaus aus der aktuellen Krise ziehen müsste, sollte künftig ein Etatposten für eine professionelle Aufzeichnung lohnenswerter Neuproduktionen gehören. Man kann ja nie wissen… [Joachim Lange]
2. Mai
Gansch@home
Jeden Samstag um 20.15 Uhr, Nächster Gast, Samstag, 2. Mai: Radio String Quartet
Video-Live-Stream, anschließend im Archiv verfügbar
www.youtube.com/ThomasGanschOfficial
Was macht ein Jazztrompeter, der von heute auf morgen keine Auftritte mehr hat? Thomas Gansch möchte spielen, aber nicht digital vernetzt, sondern mit Freunden in seinem Wohnzimmer. Der Wiener Trompeter, Gründungsmitglied des kultigen Bläserseptetts „Mnozil Brass“, muss Geld verdienen. Deshalb fordert er in seinen einstündigen, lässig moderierten virtuellen Gigs charmant, aber mit Nachdruck zur Spende auf: „It is not a free show. It is art!“ Den Anfang machte das Trio Wieder, Gansch & Paul mit groovenden, durch lange Soli aufgepeppten Popsongs wie George Michaels „Faith“ oder einem in den Jazz mäandernden Kaiserwalzer. Der zweite Abend mit dem Kontrabassisten Georg Breinschmid vereinte Virtuosität mit Anarchie, skurriler Komik und ausgeprägter Beinarbeit. Die Takte ungerade, die Verse holpernd, die Läufe schnell – Gansch und Breinschmid boten auch musikalisch höchste Originalität. Inklusive eines Parforceritts durch die Musikgeschichte. [Georg Rudiger]
*** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG ***
Rund 70 Mal ist Beethoven umgezogen – zuletzt nach Fellbach. Glauben Sie nicht? Umzugshelfer Malte Arkona kann ein Lied davon singen! Ein interaktives Kinderkonzert mit dem SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Joseph Bastian. Sehen Sie den Livemitschnitt von nmzMedia im Auftrag des SWR aus der Fellbacher Schwabenlandhalle vom 5. Dezember 2019 hier.
*** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG *** WERBUNG ***
3. Mai
Kammerkonzert mit dem Fauré Quartett
(Gabriel Fauré: Klavierquartett Nr. 1 c-moll, op. 15 u.a.)
Sonntag, 3. Mai, 20:00 Uhr
Video-Live-Stream aus dem TELDEX Studio – Virtuelles Konzert-Ticket über die Website des Veranstalters (7,50 €) – danach Anmeldung.
Nichtmaterielle künstlerische Leistungen unterliegen ebenso den Regeln von Angebot und Vergütung wie materielle Produkte. Deshalb setze ich ein ‚Pay-Online-Konzert‘ als ersten Stream-Tipp. – Es wird spannend: Wie konkurrenzfähig sind einmalige Konzerte im visuellen Online-Format im Vergleich zu Spotify, Rundfunk und eigenen Tonträger-Sammlungen von Klassik-Enthusiast*innen? Stehen Angebot, organisatorisch-technischer Aufwand und Streamteilnehmer-Zahlen in einem angemessenen Verhältnis zueinander? Welche Auswirkungen entstehen für Marketing und Preisgestaltung der medialen Veranstaltungsformate?
Dieses Online-Konzert mit dem Fauré Quartett ist eine Alternative zu den wegen der Pandemie abgesagten Konzerten. Geplant sind eine große Herbsttournee zum 25-jährigen Jubiläum des Klavierquartetts und eine CD-Einspielung. [Roland H. Dippel]
Kontinuierliche Streams
Alexander Schuberts KI-Projekt „Av3ry“
Kontinuierlicher Live-Stream
https://www.youtube.com/watch?v=1j1wNTMCRrs
Alexander Schubert erforscht als Komponist, Performer und Klangkünstler intensiv die kommunikativen Strukturen und ästhetischen Potentiale virtueller Räume. Sein Projekt „Av3ry“ widmet sich interaktiv den Möglichkeiten (und Unmöglichkeiten?) musikalischer Künstlicher Intelligenz. „Av3ry“ ist ein Musik-Avatar, der in direktem Austausch mit User*innen Klang produziert und dabei mit individuellen Daten, Kriterien, Vorstellungen und Wünschen gefüttert werden kann.
Die Produktion von Av3ry wird präsentiert in einem 24-stündigen Live-Stream sowie in einer Datenbank mit über 10.000 Musikstücken. Ein erster bescheidener Selbstversuch via Facebook gestaltete sich allerdings ein wenig störrisch. [Dirk Wieschollek]
Force & Freedom – Muss es sein? Es muss sein!
Ein digitales Krisentagebuch im Beethoven-Jahr von Nico and the Navigators gemeinsam mit dem Kuss Quartett
Videoclips – kontinuierlich erweitertes Netztagebuch
https://tagebuch.navigators.de/
Mit kleinen, einminütigen Videoclips reflektieren das Kuss Quartett und Mitglieder der Musiktheatergruppe Nico and the Navigators den Lockdown und ihr abgesagtes gemeinsames Projekt für die Schwetzinger Festspiele. In den besten Momenten sind das unprätenziös alltagspoetische Lagebeschreibungen. Mit dabei: Elende Geigen, tanzende Kaffeebohnen und eine Metronom-geübte Katze. Die bis zum ursprünglichen Premierentermin am 1. Mai entstandenen Tagebuch-Einträge sollen sich schließlich in Form eines Memorys zusammenfügen lassen – mit Kartengewinnspiel für bessere Zeiten. [Juan Martin Koch]