Der „Rosenkavalier“ ist ein funkelndes Opern-Schmuckstück. Und ein heikles obendrein. Für das Volle-pulle-Terzett, dass der Liebhaber der Orchester- und Stimmenopulenz Richard Strauss zu dem so lebensweisen wie fremd-charmanten Text Hugo von Hofmannsthals da in den dritten Akt komponiert hat, braucht man exzellente Protagonistinnen, damit das nicht zum Geschrei wird. Und es braucht einen Dirigenten, der das Orchester spätestens da so im Griff hat, damit es eine Chance gibt, etwas von dem, was man in den Übertiteln mitliest, auch wieder zu erkennen.
Wenn alle Beteiligten ihr Geschäft verstehen, dann erkennt man es auf jeden Fall emotional, dann hört man mit dem Herzen, wovon hier die Rede ist: Vom Verzicht auf Liebe, der für die Feldmarschallin nicht weniger schmerzlich ist, weil sie es kommen sah. Die Verblüffung ihres halb so alten Liebhabers Octavian über die Wandelbarkeit seines Herzens. Die bange Aussicht des jungen Mädchens Sophie, dem sie allesamt mit dem Baron Ochs auf Lerchenau gerade einen groben, für sie viel zu alten Kerl vom Leibe geschafft haben, auf ein Glück, das vielleicht nur ein Traum ist …
In Magdeburg ist das der vokale Höhepunkt einer Inszenierung, die diesem 1911 in Dresden uraufgeführten, erfundenen, besonders hermetischen Pseudorokoko mit einer Inszenierungsidee auf den Leib rückt, und trotzdem nicht scheitert. Weil es genau die richtige Idee ist. Und, weil Regisseurin Olivia Fuchs auch sonst nichts falsch macht und dem Stück gibt, was des Stückes ist. Die Frivolität der Liebesnacht einer verheirateten Fürstin in den Dreißigern mit ihrem 17-jährigen Cousin und die Melancholie einer Philosophie der Zeit; die Überreichung der Silberrose und die wie ein Blitz einschlagende Liebe auf den ersten Blick zwischen Octavian und Sophie und deren Übergang in die komödiantische Kollision von altem Land- und reichem Neuadel im Hause Faninal; schließlich die Verkleidungsmaskerade im Wirtshaus, bei der der Ochs am Ende zwar alt aussieht, aber doch auch Noblesse beweist, als er das Spiel durchschaut und bei der die Feldmarschallin einen großen Auftritt hat, aber am Ende ziemlich allein bleibt. Das ist alles als präzises Zusammenspiel aus der Musik entwickelt.
Der Raum ist ein Palais im matten Widerschein der Melancholie, der von Akt zu Akt immer desolater wird. In dem die Zeit, sprich der Uhrensand von der Decke rieselt, und dessen Wände zuweilen als Projektionsflächen werden. In Vorspiel, wenn die alt gewordene Marschallin sich zu erinnern beginnt, sind es Meereswogen, dann mal Blüten oder eine Eislandschaft. Schließlich sieht man auch Bilder, die auf den drei Jahre nach der Uraufführung ausbrechenden ersten Weltkrieg verweisen.
Das beschädigt dennoch nichts, weil die britische-deutsche Regisseurin und ihre Ausstatterin Niki Turner stets das rechte Maß wahren, Geschmack haben, Eleganz zelebrieren, die Komödie deftig werden, aber nie zum Klamauk um kippen lassen.
Wenn ganz am Ende im Trümmer-Palais (sprich Beisl) die Alte Frau (mit mimischen Grandezza: Gerda Haase!) einen Tee vom ihrem grau gewordenen schwarzen Diener serviert bekommt, hat das so viel Charme, dass man gerne verschmerzt, dass der berühmte letzte Griff nach dem Taschentuch nicht den Punkt aufs i setzen darf.
Weil die vier entscheidenden Rollen exzellent besetzt sind, ist es zu verschmerzen, dass Iago Ramos als Tenor wie in einer Casting-Show sehr eigenwillig losträllert, Roland Fenes mit seinem Faninal etwas Mühe hat oder man dem Intrigantenpärchen eine pointiertere Eloquenz gewünscht hätte. Doch so viel attraktive Eleganz zur blühenden und gut verständlich singenden Marschallin wie bei Noa Danon kriegt man nicht alle Tage geboten. Auch Lucia Cervoni ist ein etwas helltimbrierter, doch hinreißender Octavian, der in allen Uniformen gute Figur macht, Julie Martin du Theil eine glockenklare, jugendlich selbstbewusste Sophie und Manfred Hemm ein markanter, in seiner hier wohldosierten Grobheit außergewöhnlich sympathischer Ochs. Zugegeben, man merkt schon, dass der Magdeburgischen Philharmonie einiges zur Delikatesse eines Strauss-Orchesters fehlt. Das klingt am Anfang etwas arg pauschal, aber Kimbo Ishii steigert sich, und hat da, wo es drauf ankommt, das Heft in der Hand.
Kurzum: aus Magdeburg ist ein rundum gelungener „Rosenkavalier“ zu vermelden. Das fand auch das Premierenpublikum.