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Foto: Thomas Huntke
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Zeitreise in die Zwanziger – Das Metropolis Orchester Berlin lässt die Stummfilm-Ära aufleben

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Sie nennen sich „Europas einziges Kino-Orchester“. Die enthusiastischen Musiker um den Dirigenten Burkhard Götze machen nicht nur Stummfilm-Musik, sondern erwecken eine ganze Ausgeh-Kultur zu neuem Leben. Antje Rößler mit Einblicken.

2017 trat das Metropolis Orchester zum ersten Mal auf. Als Kino-Orchester ist es weit und breit das einzige seiner Art. Das Babelsberger Filmorchester stellt keine unmittelbare Konkurrenz dar, wirkt doch dessen Stummfilm-Aktivität gegenüber Crossover-Konzerten und aktuellen Filmmusikproduktionen nebensächlich.

Ursprünglich entstand das Metropolis Orchester als Eintagsfliege zum 90. Geburtstag von Fritz Langs „Metropolis“-Film. „Um die originale Filmmusik von Gottfried Huppertz aufzuführen, habe ich ein paar Musiker aus der Berliner Szene versammelt“, sagt Burkhard Götze, Gründer und Leiter des Ensembles. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Posaunist der Brandenburger Symphoniker.

Die Veranstaltung ging im Babylon über die Bühne, Berlins einzigem Kino, das seit Stummfilmzeiten ununterbrochen in Betrieb ist. Der historische Orchestergraben wurde aus diesem Anlass ebenso reaktiviert wie die Kinoorgel.

„Die Anfänge waren schwer“, erinnert sich Burkhard Götze. „Ich habe mich um alles selbst gekümmert; von der Saalmiete über die Filmrechte bis zum Crowdfunding.“ Am Ende war die ausverkaufte Veranstaltung aber ein großer Erfolg. „Uns hat das solchen Spaß gemacht, dass wir ein dauerhaftes Kino-Orchester gründen wollten“, fährt Götze fort.

Öffentliche Gelder bekommt das Ensemble, das als vierköpfige GbR firmiert, zwar noch nicht. Götze ist jedoch zuversichtlich, dass einer seiner Projektanträge mal positiv beschieden wird.

In der kurzen Zeit seines Bestehens hat Metropolis Orchester schon mehrere größere Projekte gestemmt. So rekonstruierte es Edmund Meisels Originalmusik von Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ und veranstaltete ein Festival mit Filmen von Friedrich Wilhelm Murnau im Berliner Babylon.

Als „composer in residence“ des Ensembles arbeitet der Stummfilmmusiker Richard Siedhoff, Jahrgang 1987. „Er versteht es meisterhaft, Stummfilme im Stil ihrer Entstehungszeit zu vertonen, ohne antiquiert zu wirken“, lobt Burkhard Götze. Siedhoffs neue Filmmusik zu dem frisch restaurierten Murnau-Frühwerk „Der Gang in die Nacht“ spielte das Metropolis Orchester für das Filmmuseum München auf DVD ein.

Um aufführungspraktisch korrekt vorzugehen, tauscht sich das Metropolis Orchester mit Historikern und Filmwissenschaftlern aus. Es tritt als Salonorchester mit 15 bis 20 Musikern auf. Bläser und Schlagzeug dominieren. Die solistisch besetzten Streicher werden vom Klavier unterstützt; hinzu kommen Harmonium oder Orgel. 

Nun präsentierte das Metropolis Orchester einen der letzten Höhepunkte der kurzen Stummfilm-Ära: „Die Büchse der Pandora“, gedreht 1929 von Georg Wilhelm Pabst. In dieser Bearbeitung von Frank Wedekinds „Lulu“-Stücken spielt die 22-jährige bubi-köpfige Louise Brooks die Hauptrolle der Femme fatale.

„Eine Originalmusik ist nicht bekannt“, erläutert Burkhard Götze. „Wir spielen die Filmmusik des Rainer-Werner-Fassbinder-Gefährten Peer Raben, die 1997 für eine Vorführung bei der Berlinale entstand.“

Rabens treffsichere, kongeniale Filmmusik vereint Anklänge an Weill, Hindemith und Mahler mit den Modetänzen der Zwanziger. Wenn Götze dirigiert, läuft der Film auf einem kleinen Monitor über der Partitur mit.

Auch diesmal fand man einen stimmungsvollen Saal: das einstige Stummfilmkino Delphi, das 1929 in Berlin-Weißensee seine Pforten öffnete. Bekannt wurde es durch die Serie „Babylon Berlin“, wo es das Tanzlokal „Moka Efti“ an der Friedrichstraße darstellt.

Burkhard Götze und seinen enthusiastischen Kollegen geht es nicht nur um die Filmmusiken. Vielmehr wollen sie, mit allem Drum und Dran, eine ganze Kinokultur zu neuem Leben erwecken. Deshalb gehen sie in authentische Säle und treten dort modisch stilsicher an: die Herren mit Fliege und Stehkragen, die Damen schulterfrei und paillettenbesetzt.

Damit das Publikum eine perfekte Zeitreise erlebt, engagiert das Orchester fürs Drumherum eine Event-Agentur, die Zwanziger-Jahre-Partys veranstaltet. Kleiderordnung und Handyverbot werden natürlich nicht streng durchgesetzt, doch viele Besucher halten sich gern daran.

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