Es war einer der großen Opernerfolge des 20. Jahrhunderts, Franz Schrekers „Der Schatzgräber“, eine der meistgespielten zeitgenössischen Opern der Weimarer Republik. Zwischen 1920, dem Jahr der Uraufführung, und 1932 sind 385 Aufführungen in 50 verschiedenen Städten nachgewiesen. Die Nazis brandmarkten die Musik Schrekers als „entartet“. Es dauerte bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, bevor das Werk wiederentdeckt wurde. Doch die damals einsetzende, hoffungsvolle „Schreker-Renaissance“ hielt nicht lange vor. Zuletzt sah man das Werk in Amsterdam und in Frankfurt am Main.
Die Oper ist an sich ein mittelalterliches Märchen, zu dem der Komponist selbst das Libretto geschrieben hat. Man befindet sich an einem Königshof, bei dem es im Schlafgemach zwischen Majestät und Gattin kriselt. Die Thronfolge ist noch immer nicht gesichert. Der Königin ist ein Schmuckstück abhandengekommen, das ihr als Aphrodisiakum gedient hat. Der alternde König, der die Gattin endlich schwanger wissen will, setzt (auf den Rat seines Narren hin) den fahrenden Sänger Elis als Sonderermittler ein. Er besitzt eine Wunderlaute, die nach Art einer Wünschelrute Schätze aufzuspüren vermag. Elis soll das Schmuckstück suchen. Doch kaum hat er es gefunden, händigt er es nicht etwa der Eigentümerin aus. Vielmehr bekommt es die Wirtstochter Els geschenkt, in die sich Elis verguckt hat. Von ihr wird er in mörderischen Intrigen verwickelt. Sie endet schließlich, Elis Liebe verlustig gegangen, als unglückliche Ehefrau des Narren und stirbt. Immerhin noch von Elis in den Todesschlaf gesungen. Dann verschwindet er, wie er kam. Soweit die Handlung.
Man muss kein Psychologe sein, um die „eigentlichen“ Preziosen, die wahren Schätze zu erkennen, nach denen in der Oper aus der Zeit des ersten Weltkriegs und der ersten Nachkriegsdepression gegraben wird. Es sind menschliche (speziell weibliche) Qualitäten. Das Märchen ist nur Metapher, das Libretto ist verrätselt. Es geht um die gesellschaftliche Gegenwart der Schreker-Zeit, um Kunst und Leben, Wirklichkeit und Utopie, Sexualität und Gefühl.
Im Verlauf der Handlung „bewegt sich die Kunst – Elis – auf das materielle, sinnliche, schmutzige Leben zu. Der Künstler verliert und verirrt sich in Egoismus, in Gier und erotische Sucht. Das radikale und verbrecherische Leben der Els aber bewegt sich, durch die Kunst angestoßen, zur Läuterung hin, zu Verzicht und Aufopferung. Elis und Els, Kunst und Leben, sehnsüchtig voneinander angezogen, treffen sich im ‚Schatzgräber‘ in einem kurzen, punktuellen Moment und verfehlen sich im Übrigen konsequent. Schreker formuliert die einander entgegengesetzten Positionen erbarmungslos gegen beide und leidenschaftlich für beide Seiten eintretend.“ (Philip Harnoncourt)
Christof Loy, der an der Deutschen Oper Berlin schon Erich Wolfgang Korngolds „Das Wunder der Heliane“ und Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini“ ausgrub, hat nun den lange vergessenen Opernschatz von Franz Schrekers „Der Schatzgräber“ gehoben.
Doch er hat ihn dem Zuschauer nicht aufgeschlüsselt und erklärt, sondern eher noch einmal zusätzlich zum Libretto verrätselt, indem er die Oper als mondänes, modernes Gesellschafts- und Salonstück zeigt, in schwarzmarmornem Saal, die Herren im Smoking, in Militärsuniform und Anzug, die wenigen Damen als in untergeordneten Funktionen, vornehmlich als Serviermädchen, ausgenommen die stumme Königin, die wie ein vornehmes Gespenst, als weiße Dame im Sissi-Habit durch die Bühne und über den Laufstegs-Tisch wandelt (Kostüme: Barbara Drosihn). Zeitweilig heftig verraucht von Bühnenqualm darf im nur wenig variierten Einheitsbühnenbild (Bühne: Johannes Leiacker) gebarmt und agiert werden, auch eine Orgie darf sein, nach dem Motto „jeder mit jedem“, auch derbe mannmännliche Sexualität mit halbnackten Kerlen nicht ausgeklammert, wenn ich richtig gesehen habe. Der nicht mit tieferem Werkverständnis vorbereitete Zuschauer dürfte angesichts der langatmigen und bildnerisch zwar luxuriösen, ästhetisch gediegenen, aber monotonen Inszenierung nicht verstehen, worum es da eigentlich geht.
„Der Schatzgräber steht genau in der Mitte von Schrekers Opernschaffen. Die Oper entstand nach dem Triumph der ‚Gezeichneten‘, unmittelbar vor seinem Weggang aus Wien nach Berlin, und bescherte Schreker den größten Bühnenerfolg überhaupt, der sich für einige Jahre sogar mit den Werken eines Richard Strauss messen konnte. Keine andere seiner Opern wurde zu Lebzeiten des Komponisten öfter gespielt, keine andere erreichte dieses Maß an Popularität. Das liegt vor allem an der für Schreker eher untypischen Verwendung von einprägsamen Motiven und weitgehend geschlossenen musikalischen Gedanken, die schon bei der Uraufführung Publikum und Kritiker begeisterten“ (Volkmar Putz).
Die vergleichsweise transparente Orchestersprache und die tonale, immer noch chromatische Harmonik versöhnte selbst die Konservativsten unter den Opernenthusiasten, die die klangliche Üppigkeit der „Gezeichneten“ kritisiert hatten, mit Schreker. Stilistisch ist die Oper vielleicht sein homogenstes Werk.
Zurecht bewunderte der führende Musikkritiker der Weimarer Republik, Paul Bekker in seinem faszinierenden Buch „Klang des Eros“ die Abwendung „von der kultmäßigen Auffassung des Musikdramas im Sinne Wagners, zurück zur Oper mit ihrem Rausch von Musik und Sinnenfreude, mit all ihrer unlogischen Unwirklichkeit, der spielerischen Phantastik ihres Geschehens, der Freude am bunten Wechsel der Bilder, des Verlaufs auf rein gefühlsmäßig musikalischem Boden. [...]Es ist zugleich der erste, starke, schöpferische Durchbruch durch den Bann der musikdramatischen Gesetzgebung Wagners.“
Freilich, manchem Heutigen kommt die auf und ab wogende, viskose wie opulente Musik Schrekers mit ihrem endlosen Fluss (der nur durch traditionelle Gesangsnummern unterbrochen wird) hypertroph und schwülstig vor.
Der Dirigent Marc Albrecht, dem die musikalische Leitung der Aufführung anvertraut wurde, und an der Deutschen Oper Berlin bereits Produktionen wie Messiaens „Saint François d'Assise“, Janáčeks „Die Sache Makropoulos“ und „Das Wunder der Heliane“ betreute, steht er nun auch bei Schrekers „Schatzgräber“ am Pult. Ein Glücksfall.
Marc Albrecht, schon seit seiner Amsterdamer Produktion vertraut mit dem Werk ist wie kaum jemand sonst, weiß den Spagat zwischen opulenter Klangsinnlichkeit und impressionistischer Lyrik sicher zu meistern.
Wie Frieder Reininghaus schon 2012 anlässlich der Amsterdamer Ausgrabung schrieb: „Marc Albrecht lässt mit energischer Zeichengebung das spättonale Gold funkeln und reiztönige Dissonanzen glitzern, ermöglicht insgesamt einen dynamischen Fluss und ein in den Klangfarbnuancen weit aufgefächertes Triebleben der Orchesterklänge.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielt ohne Fehl und Tadel. Die Chöre sind bei Jeremy Bines in guten Händen.
Leider sind die gesanglichen Leistungen der Aufführung nicht wirklich beglückend, jedenfalls für den, der Lautstärke und „Wagnerische Liebesbrüllerei“ (Hugo von Hofmannsthal) nicht als Maßstab der Gesangskunst ansieht.
Es wird durchweg zu laut und zu wortunverständlich gesungen. Vor allem Elisabet Strid bemüht sich als (darstellerisch unbeholfene und leider auch figürlich benachteiligte) Els oftmals gar nicht erst um mehr als Vokalisen im Trompetenformat. Der an sich fabelhafte Tenor Daniel Johansson, ein Bild von einem Mann, hat als Elis so seine Höhenprobleme und setzt ebenfalls im Verlauf des Abends zunehmend auf Phonstärke. Der König des eindrucksvollen Bassbaritons Tuomas Pursio überzeugt weit mehr als Thomas Johannes Mayer, der einen blässlichen Vogt gibt. Das sängerische Glanzlicht steckt zweifellos der Tenor Michael Laurenz der Aufführung auf. Sein Narr demonstriert beispielhafte Wortverständlichkeit mit großer Gesangskultur und markanter Stimme. Ansonsten gibt es im großen Sängerensemble viel Licht und Schatten.