Die Kunstfreiheit ist ein wertvolles, wenn auch verletzliches Lebenselexier der Demokratie. Ich möchte zunächst zwei Komponisten zu Wort kommen lassen. „Kunst ist Maßstab für Demokratiebewusstsein, ist Ort der Demokratie“, sagt Helmut Lachenmann. Sie sei Ausdruck unserer Geistesfähigkeit, unserer Reflexionsfähigkeit, unserer Öffnungsfähigkeit und unserer ästhetischen Abenteuerbereitschaft. Ohne die Impulse der Kunst würde eine Gesellschaft verdörren. Die Kunst ist frei und ist nicht abhängig von der Zustimmung der Mehrheit.
Die Kunstfreiheit ist immer bedroht
Auch das muss der demokratische Staat fördern, was nur eine Minderheit erreicht – und zwar mitunter mit hohem Kostenaufwand. Das ist Teil des Verfassungsauftrages des Kulturstaates. Gegen die Diktatur der „Quote“ wendet sich etwa Wolfgang Rihm und spricht damit die viel geübte Praxis etwa des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an. „Wir zahlen doch keine Gebühr für unsere Unterforderung“ hält er diesem entgegen. Nicht ohne Grund ist unter den Freiheitsrechten, die in einer Diktatur bedroht sind, die Kunstfreiheit eine der ersten, die vernichtet wird. Diktaturen fürchten sie. Die Kunst ist eine „Tochter der Freiheit“, wie Schiller gesagt hat.
Wir leben nicht in einer Diktatur. Dennoch war und ist die Kunstfreiheit immer wieder bedroht oder umstritten. Eine lange Liste von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts stellt das unter Beweis. Heute drohen aber ganz neue Gefahren – Gefahren durch die Rechtsextremisten. Und das in einer Dimension, die ich seit Gründung unserer Republik noch nicht erlebt habe. Nicht nur die Kunstfreiheit ist bedroht. Die ganze Demokratie ist es. Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen und die Umfragen zeigen, dass die Unterstützung einer rechtsextremistischen Partei, die außerhalb des demokratischen Konsenses steht, erschreckend zugenommen hat. In dieser Zustimmung nur ein Protestverhalten zu sehen, wäre eine schlimme Fehleinschätzung. Warum haben viele Wähler keinerlei Hemmung mehr, eine Partei mit verfassungswidriger Tendenz, die selbst aber zu Lösungen nichts beiträgt, zu wählen? Viele Untersuchungen – zuletzt eine Studie der Ebert Stiftung – zeigen, dass es eine wachsende Strömung der Demokratieverachtung hierzulande gibt.
Auch wenn ein Teil der Wähler keine rechtsextremistischen Ziele verfolgen sollte – die Gewählten der AfD in den Parlamenten tun es. Und sie haben ihre Position ausgebaut, in den Kommunalparlamenten und auch in den Länderparlamenten, also dort, wo auch über die Kulturförderung entschieden wird. Selbst, wenn sie sich (noch) nicht durchsetzen, haben sie Einfluss. Sie vermögen eine latente Stimmung gegen das Neue, das Experimentelle, das Weltoffene zu aktivieren, wie es die Nazis mit der Stigmatisierung „entartete Kunst“ erreicht hatten. Kunst also, die aus der Art schlägt. In den Wahlprogrammen der AfD für Bayern und Hessen wird gesagt, was gemeint ist. Feindbild sind „die Vertreter eines links-liberalen Kulturestablishments“. Wie bei allem, was die AfD propagiert, geht es also gegen unsere freiheitliche Gesellschaft. Feindbild ist das „System“. Die Systemverächter sind unterwegs. „Nationale Sinnstiftung“ wird gefordert. Die Bedingungen „für einen kulturellen Aufbruch“ sollen geschaffen werden, den unsere „geistig und kulturell erschütterte Nation“ dringend nötig habe. Also: Kunstförderung nach Maßgabe des eigenen Wahlprogramms – nicht weltoffen, sondern provinziell.
Kunst soll „völkischen Kriterien“ entsprechen, also nicht unser Grundgesetz ist der Maßstab, sondern das Wahlprogramm der AfD. Einem angeblichen „Lumpenproletariat von Möchtegern-Künstlern“ wird der Krieg erklärt. Und das sind nicht nur Absichtserklärungen. Dort, wo die AfD in den Parlamenten sitzt, hat sie schon vielfach versucht, ihre Vorstellungen umzusetzen. In unserem Grundgesetz hat die Kunstfreiheit eine hervorgehobene Stellung. Sie wird vorbehaltlos gewährt und kann nur eingeschränkt werden durch andere Grundrechte.
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