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Hochkarätig besetzte Runde an Fachreferenten beim Gespräch im Abgeordnetenhaus. Foto: Franz-Michael Deimling
Hochkarätig besetzte Runde an Fachreferenten beim Gespräch im Abgeordnetenhaus. Foto: Franz-Michael Deimling
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Alle lieben die Musikalische Bildung, aber das reicht nicht

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Die Grünen initiierten ein Fachgespräch zum Thema Musikschulen im Berliner Paul-Löbe-Haus
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Die Situation der Musikschullehrer in Berlin ist mehr als besorgniserregend. Weniger als zehn Prozent sind fest angestellt, alle anderen arbeiten als Honorarlehrkräfte. Von „prekären Arbeitsverhältnissen“ ist allenthalben die Rede. Zugespitzt hat sich die Lage durch einen Vorstoß der Rentenversicherung, die die Arbeitsverhältnisse der Lehrkräfte auf Scheinselbstständigkeit prüfen will. Daraus soll aber kein Wechsel in die Festanstellung resultieren, es sieht vielmehr so aus, als würde sich die Situation der Lehrer durch neue Honorarverträge noch verschlechtern.

In diese Situation hinein initiierte Agnes Krumwiede, kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag, nun ein Fachgespräch im Abgeordnetenhaus zum Thema „Musikschulen nachhaltig stärken – Situation der Lehrkräfte verbessern“. Was nicht als direkte Reaktion auf die Berliner Verhältnisse gedacht war, sondern einem längerfristigen Engagement der gelernten Pianistin für die Belange der musikalischen Bildung entspringt, kam nun aber zum besten aller denkbaren Zeitpunkte. Entsprechend war der Zulauf, die Besucherplätze bis auf den letzten gefüllt. Ein Impulsreferat von Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats, führte ins Thema ein. Als Fachreferenten waren Ulrich Rademacher vom Verband deutscher Musikschulen, Stefan Gretsch, Vorsitzender der ver.di Fachgruppe Musik, Andrea Fink, Geschäftsführerin des Deutschen Tonkünstlerverbands Bayern, Michael Moch, 1. Vorsitzender des Verbands privater Musikschulen, sowie Beate Müller-Gemmeke als Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Grünen Bundestagsfraktion geladen. Ziel der Grünen sei es, so Krumwiede, eine parlamentarische Initiative zur Stärkung der Musikschullehrkräfte ins Leben zu rufen. 

„Alle haben uns lieb“: Christian Höppner verwies in seinem Beitrag auf das positive Image des Bereichs „Musikalische Bildung“, das aber bisher nicht zu entsprechenden Resultaten bei der konkreten Gestaltung der Rahmenbedingungen führe. Dass in Deutschland etwa 100.000 junge Menschen auf den Wartelisten der öffentlichen Musikschulen stehen, bezeichnet Höppner als gesellschaftspolitischen Skandal, der herrschende Fachkräftemangel sei auf eine „grandiose Fehlleistung“ zurückzuführen. Höppner brach auch eine Lanze für die öffentlichen Musikschulen: „Quicklebendig“ seien sie, Kern ihrer Aufgaben die Ensemblearbeit. „Wir brauchen öffentliche wie private Angebote“, so Höppner, warnte aber gleichzeitig davor, dass die Privaten als „Lückenfüller“ für Wartelisten benutzt werden. Bei der Frage nach Förderstrukturen für die Privaten setzte Höppner ein „deutliches Fragezeichen“. 

Der Kern in der Musikschularbeit sei noch gesund, findet Stefan Gretsch. Das liege aber vor allem am Hang zur Selbstausbeutung der Lehrer, die so dumm seien, mehr zu arbeiten, als sie bezahlt bekommen. Der Begriff der Zusammenhangstätigkeit spielt hier eine wesentliche Rolle: Arbeit, die Musikschullehrer außerhalb der Unterrichtsstunde leisten, wird der Honorarkraft nicht vergütet. Eine engagierte Lehrkraft verzichtet dennoch nicht darauf, den Unterricht vorzubereiten, Ensembles zu betreuen, ihre Schüler auf Vorspiele und Wettbewerbe vorzubereiten. Gretschs Forderungen: Musikschulen müssen vorwiegend mit Angestellten betrieben werden, Tarifverträge sollen auch für Honorarlehrkräfte abgeschlossen werden und die Finanzierung der Kommunen muss gestärkt werden. 

Letzteres wird von Ulrich Rademacher unterstützt: Die Länder könnten die Musikschulen nicht substanziell retten, hier seien die Kommunen gefragt. Rademacher ging auch auf den Fachkräftemangel ein: Derzeit werde in Deutschland „auf Pump“ gelebt: Arbeitslose Orchestermusiker und Musiker aus Ost-Europa täuschen über die Tatsache hinweg, dass in Zukunft keine qualifizierten Lehrkräfte mehr nachrücken, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht verändern. Fakt ist, dass immer weniger Studierende sich für die pädagogische Ausbildung entscheiden. 

Von den „Patchwork-Existenzen“ weiß Andrea Fink ein Lied zu singen: Kaum ein freiberuflicher Musiker kann sich heute noch allein durch eine einzelne Tätigkeit über Wasser halten. Üblich ist vielmehr eine Kombination aus verschiedenen Tätigkeiten; die Höhe des Einkommens dürfe aber die von Festangestellten nicht unterschreiten, forderte Fink und präsentierte das Zertifikat für den Privaten Musikunterricht des DTKV Bayern. Entwickelt in Abstimmung mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus dient es als Nachweis der musikpädagogischen Befähigung und erleichtert die Eigenwerbung als Musikpädagoge ebenso wie die kostengünstige Anmietung von Unterrichtsräumen. Michael Moch beschrieb im Anschluss die Situation der Lehrer an privaten Musikschulen, die noch deutlich schwieriger sei als die an kommunalen Einrichtungen. Daraus resultiert die Forderung, auch private Musikschulen müssten durch die öffentliche Hand gefördert werden. Der „vorauseilenden“ Absage an dieses Anliegen von Chris­tian Höppner (s.o.) schloss sich Ulrich Rademacher an: Eine kommunale Musikschule leiste eben mehr als guten Unterricht. Rademacher äußerte auch seine Skepsis gegenüber Zertifikaten. Die Zertifizierung qualitätvoller Musikpädagogen müsste durch die Hochschule geleistet werden. Zustimmung bei allen Referenten fand die Idee der Einrichtung eines runden Tisches im Rahmen der Kultusministerkonferenz. Zentrale Themen müssten dort unter anderem Festanstellungen für Musikschullehrkräfte sowie Mindestlöhne beziehungsweise Tarifverträge für Honorarlehrkräfte sein.

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