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Am Handeln orientiert, am Diskutieren wenig interessiert

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Eindrücke vom 2. Bundeskongress Musikunterricht in Leipzig · Von Andreas Hauff
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Als musikpädagogische Zeitansage, nicht nur als Fortbildungsveranstaltung und innerfachliches Forum, haben sich die großen musikpädagogischen Kongresse von AfS und VDS immer verstanden. „Horizonte öffnen“ hieß nun das Motto beim 2. Bundeskongress in Leipzig. Dass damit auf die Neugründung des Bundesverbandes Musikunterricht (an Stelle der beiden Altverbände) angespielt wurde, lag auf der Hand. Doch was bedeutet „Horizonte öffnen“ im musikpädagogischen Alltag?

Mit dem „practical turn“ des Musikunterrichts ist auch die Diskussionsfreudigkeit der Musikpädagogen deutlich zurückgegangen. Veranstaltungen, in denen das lustvolle Musizieren – und sei es mit Plastikflaschen – im Vordergrund stand, waren einmal mehr überlaufen. Zum prominent besetzten Eröffnungspodium aber fanden kaum mehr als 30 Teilnehmer. Möglich, dass das Thema „Horizonte eröffnen“ zu pauschal und zu schwammig wirkte. Wer dennoch hinging, erlebte indessen eine ziemlich präzise Bestimmung des Spannungsfeldes, in dem sich der Musikunterricht heute bewegt: zwischen Tradition und Innovation, zwischen Inhalten und Methoden, zwischen Musikpraxis und Musiktheorie, zwischen Instrumentalpädagogik und allgemeiner Musikpädagogik, zwischen der Selbstbehauptung in der Schule und der Kooperation mit außerschulischen Partnern, zwischen Allgemeinwissen und –können und Spezialisierung, zwischen Fehlertoleranz und künstlerischem Anspruch, zwischen aufbauender Stringenz und künstlerischem Freiraum.

Agenda 2030 gefordert

Vieles ist in Bewegung, aber es fällt schwer, sich zu positionieren, zumal manche didaktische Position mit zweifelhaftem Absolutheitsanspruch vertreten wird. „Wir sind noch nicht so weit, dass wir Antworten geben können“, resümierte der VDS-Bundesvorsitzende Ortwin Nimczik. Seine Idee, eine „Agenda 2030“ für den Musikunterricht zu erarbeiten, verdient nachdrückliche Unterstützung. Sie wäre nicht nur der Selbstvergewisserung des Faches dienlich, sondern auch der Außenwirkung in einer Öffentlichkeit, in der das Image des Faches oft genug noch von trockener Theorie oder peinlichem Vorsingezwang bestimmt ist. Man wird auch das Berufs- und Selbstbild des Musiklehrenden einer realistischen Prüfung unterziehen müssen. Michael Pabst-Krüger, AfS-Bundesvorsitzender, fasste die Überforderungstendenzen im klassischen Bild der „eierlegenden Wollmilchsau“ zusammen.

Unter dem durchaus ambivalenten Motto „Lebenslänglich“ positionierte sich das „Junge Forum Musikunterricht“, ein zusammenhängender, vor allem für und durch Studierende und Lehramtsanwärter konzipierter Veranstaltungsblock, der allen Teilnehmern zugänglich war. Der musikpädagogische Nachwuchs präsentierte sich hier mit so vielen Ideen, so viel Engagement, Offenheit und Kompetenz, die über ein ganzes Berufsleben tragen könnten, dass einem um die Zukunft des Musikunterrichts nicht bange sein müsste. Und dennoch bleiben Zweifel, die nicht nur die prekäre Existenz des Faches an den allgemeinbildenden Schulen betreffen. „Ich weiß nicht, ob ich das ein Leben lang durchhalte“, formulierte ein junger Kollege. „In Hamburg arbeitet kaum ein Musiklehrer mehr in Vollzeit“, wurde beiläufig bemerkt.

Burnout-Vermeidung

Der Einführungsvortrag des Kölner Psychologen und Psychotherapeuten Jörg Fengler befasste sich mit dem Thema Burnout und Burnout-Vermeidung (bzw. Gesundbleiben). „Musik ist ein sehr sensibles Fach. Es lebt sehr stark von der Persönlichkeit.“ So formulierte in einem reizvollen Gespräch zwischen den Generationen der 85-jährige Ehrenvorsitzende des VDS Karl Heinrich Ehrenforth eine alte Erkenntnis, die seit Erscheinen der allgemein pädagogischen Hattie-Studie 2013 auch im musikpädagogischen Diskurs wieder auftaucht.

In keinem Schulfach, so hat Prof. Dr. Daniel Mark Eberhard von der Universität Augsburg herausgefunden, gibt es so viele Störungen wie im Musikunterricht, aber nirgends auch so viele verschiedene Ursachen dafür. In diesen Ursachen spiegelt sich aber nicht nur die Verschiedenheit der Schüler- und Lehrerpersönlichkeiten, der Erwartungen und Unterrichtssituationen, sondern auch die Vielfalt der Chancen, in der Schule freundliche und freudige Erfahrungen zu machen, Gemeinschaftserfahrung zu stiften und den Einzelnen mit seinem Entwicklungspotential weiterzubringen.

Was jetzt nottut, ist ein „Gesamtkonzept musikalischer Bildung“ (Ortwin Nimczik), das wirklich alle betroffenen Personen und Institutionen in den Blick nimmt. Mit dem „Tag der Erzieher“ am Samstag machte der Kongress bereits deutlich, dass die Musikerziehung nicht erst in der Grundschule beginnt. Als bislang größter musikpädagogischer Kongress in Deutschland (und vermutlich auch in Europa) war die Leipziger Veranstaltung eine logistische Meisterleistung der sächsischen Organisatoren. Es gelang ihnen, über fünf Tage 400 Einzelveranstaltungen für mehr als 1.500 Teilnehmer mit gut 180 Referentinnen und Refererenten an 19 verschiedenen Orten in der Leipziger Innenstadt zu platzieren, die voneinander nicht mehr als einen Fußweg entfernt waren. Jeder Teilnehmer erhielt dazu eine klug ausgetüftelte Übersicht im DIN-A 3-Format. Wie auch in Weimar bewährten sich die 60- bis 90-minütigen Pausen zwischen den einzelnen Zeitschienen. Anders als im hektischen Schulalltag blieb Zeit für Nachfragen und Gespräche, für eine Tasse Kaffee zwischendurch, für einen kurzen Gang in die Innenstadt oder über die Verlagsausstellung. (Allerdings dauerte es in dem taubenschlagartigen Leipziger Getriebe oft lange, bis man seinen Kaffee bekam.) Alle Teilnehmer fanden in ihren Kongressmappen die Einladung zur Gründungsversammlung des Bundesverbandes Musikunterricht am Samstagabend im Großen Saal der Hochschule für Musik und Theater. Die Sitzung dauerte zwar deutlich länger als geplant, dennoch war sie über weite Strecken von Übereinstimmung geprägt. Die über 130 Gründungsmitgliedern billigten die von den Altverbänden vorbereitete Satzung und das vorgeschlagene Personal-Tableau jeweils mit überwältigender Mehrheit; maximal gab es zwei Nein-Stimmen. Hier spielte sicher die Erleichterung mit, nach 14 Jahren mehr oder weniger intensiver Fusionsgespräche endlich am Ziel zu sein.
Doch im  Bestreben, die föderalistische Struktur des VDS und die zentrale Struktur des AfS zu einem Ausgleich zu bringen, entstand auch ein veritables Kunstwerk von Satzung, das bei sachgemäßer Anwendung tatsächlich „16 starke Landesverbände in einem starken Bundesvorstand“ (Nimczik) ermöglichen müsste. Die Liste der acht Kandidaten für den Bundesvorstand wirkte ebenfalls sorgsam austariert zwischen Verbandsherkunft, beruflicher Position, Lebensalter und Geschlecht. Am Ende fanden sich die bisherigen Verbandspräsidenten als „Doppelpack“ (Pabst-Krueger) wiedergewählt – eine ungewöhnliche Lösung, aber nicht ohne historische Vorbilder. Die altrömische Verfassung mit zwei Konsuln an der Spitze hat immerhin jahrhundertelang funktioniert ...

Stimmrecht und Singrecht

Dennoch ging die Sitzung nicht ganz ohne Schönheitsfehler ab. Wer sich als Teilnehmer eingeladen fühlte, wurde beim Betreten der Hochschule mit dem Ansinnen konfrontiert, den Jahresbeitrag von 50 Euro zu zahlen oder als Gast auf der Empore Platz zu nehmen. Das mag vereinsrechtlich korrekt sein, trotzdem wäre es guter Stil gewesen, diejenigen, die ihren Jahresbeitrag im Altverband bereits entrichtet hatten, vorher auf diese zusätzliche Abgabe hinzuweisen. Es blieben dann gut 100 Beobachter – ohne Stimm- und Rederecht, allerdings witzigerweise mit Singrecht, denn beim spontan angestimmten Gratulationskanon „Viel Glück und viel Segen“ durfte die Empore die 4. Stimme übernehmen. Gravierender war, dass die Versammlung den Antrag auf Wiedereinführung der bislang üblichen Beitragsermäßigung für Ruheständler ablehnte.

Dies ist nicht nur instinktlos gegenüber Kolleginnen und Kollegen, die die Dienste des Verbandes in ihrem Alltag deutlich weniger in Anspruch nehmen, es ist auch kurzsichtig. Gerade angesichts der wachsenden Belastung im aktiven Dienst wäre es klüger, Ruheständler nicht zu verprellen, sondern sie für die ehrenamtliche Mitarbeit zu gewinnen.

Hintergrund

Bundesverband Musikunterricht gegründet
Auf dem Bundeskongress Musikunterricht wurde wie geplant die Gründung des Bundesverbandes Musikunterricht vollzogen (siehe auch Seite 1). Mit über 130 Gründungsmitgliedern und 26 Eintritten im Laufe der Kongresstage verfügt der Verband schon jetzt über eine solide Mitgliederbasis, bevor im Laufe des Jahres 2014 der Arbeitskreis für Schulmusik (AfS) und der Verband deutscher Schulmusiker (VDS) samt seiner Landesverbände in den Bundesverband Musikunterricht übergehen werden. „Es war ein langer Weg, die beiden Verbände zusammenzubringen, aber es hat sich gelohnt durchzuhalten“, freuen sich die beiden neu gewählten Präsidenten des BMU, Prof. Dr. Ortwin Nimczik und Dr. Michael Pabst-Krueger. Als Vizepräsidentinnen wurden Prof. Dr. Dorothee Barth und Evelyn Beißel gewählt; acht weitere Vorstandspositionen gehen an Helmut F. J. Bencker, Sören Grebenstein, Tilman Heiland, Sebastian Klingenberg, Friedrich Neumann, Prof. Dr. Jürgen Oberschmidt, Andreas Wickel und Julia Wolf. Dass neben prominenten Vertretern des Musiklebens, wie zum Beispiel dem Präsidenten des Deutschen Musikrates Prof. Dr. Martin Maria Krüger oder dem Präsidenten des Sächsischen Musikrates Prof. Dr. Christoph Krummacher, über 100 weitere Gäste der Einladung zur Gründungsversammlung gefolgt waren, übertraf bei weitem die Erwartungen der Veranstalter.
 

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