Als Reinhart von Gutzeit vor gut vier Jahren die Expertenkommission zur Musikhochschullandschaft NRW leitete, gab er bereitwillig Auskunft über den Stand der Dinge. Diesmal aber, in gleicher Funktion für die Beurteilung der Perspektiven bayerischer Musikhochschulen zuständig, verwies er auf die Veröffentlichung der Kommissionsempfehlungen Mitte März. Und auf den Internetseiten des Bayerischen Wissenschaftsministeriums war bis zum Redaktionsschluss nicht einmal eine Pressemitteilung zur Präsentation des Berichts erschienen; dass er dort zum Download bereit steht (siehe unten), ist nur über Umwege zu erfahren.
Grund für die Zurückhaltung in Sachen Öffentlichkeitsarbeit dürfte der brisanteste Abschnitt des Papiers sein, der sich mit der Zukunft der bislang noch in kommunaler Trägerschaft geführten Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg befasst und dessen Kernsatz lautet: „Aufgrund der vorangehenden Darlegungen schließt die Kommission die Fortführung einer Musikhochschule am Standort Augsburg aus.“ Die zuvor dargelegten Argumente und Abwägungen lassen sich in Kürze so zusammenfassen: Nach Ansicht der Kommission ist der Augsburger Standort zu klein, zu schlecht ausgestattet und hat von vereinzelten künstlerisch herausragenden Bereichen abgesehen nicht die einer Hochschule entsprechende qualitative Ausstrahlungskraft.
Zudem, und dieses Urteil dürfte die Beteiligten am meisten schmerzen, fehle der Einrichtung eine „Corporate Identity“, was sich „in den widerstreitenden Interessen und uneinheitlichen Zielen“ zeige. So sei es „dem Augsburger Teil der Hochschule während des gesamten Arbeitsprozesses der Kommission nicht gelungen, sich auf eine gemeinsame strategische Ausrichtung zu verständigen und diese der Kommission gegenüber zu vertreten.“ In der Tat scheint sich erst jetzt, angesichts der drohenden Schließung wieder ein gewisses Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Kollegiums und darüber hinaus einzustellen. Eine Arbeitsgruppe hat sich mittlerweile für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Nürnberg ausgesprochen, also für eben jenes Modell, das die Kommission als gescheitert ansieht („unproduktive Zusammenarbeit“). Auch die Optionen einer Integration in die Münchner Musikhochschule oder die Augsburger Universität wird in den Em- pfehlungen verworfen. Vorgeschlagen wird aber, dass letztere die gut etablierten Bereiche Elementare Musikpädagogik und Musiktherapie übernehmen solle. In Augsburg hat sich mittlerweile unter dem Eindruck des Schocks eine breite Bewegung gegen die drohende Schließung gebildet. Studierende organisierten eine Unterschriftenaktion, der sich bis zum 24. März 6.700 Augsburger Bürger anschlossen. Im Gäste- und Protestbuch der eigens eingerichteten Homepage „rettet-die-musikhochschule.de“ melden sich ebenfalls zahllose Sympathisanten zu Wort. Die Augsburger Studierenden fühlen sich von der Kommission falsch bewertet und verteidigen ihre Hochschule: Die erforderliche Größe lasse sich mit Transfers vom Münchner Richard-Strauss- Konservatorium herstellen, bessere Räumlichkeiten seien in Aussicht, die künstlerische Ausbildung sei unterbewertet worden.
Im Vergleich zu Augsburg, wo die Zeichen auf Sturm stehen, kann man in der Abteilung Nürnberg den bevorstehenden Verhandlungen zur geplanten Verstaatlichung wohl relativ gelassen entgegensehen. Zwar geht die Kommission „nicht von der zwingenden Notwendigkeit einer dritten Musikhochschule in Bayern“ (neben München und Würzburg) aus, sie bescheinigt dem Nürnberger Kollegium aber jene Geschlossenheit und Bereitschaft, „gemeinsam inhaltliche Entwicklungsprozesse zu gestalten“, die sie in Augsburg offenbar vermisst hat. Zudem seien die Studentenzahlen bereits nahe der von der Kommission als kritisch angesehenen Grenze von 350 bis 400 und – ein entscheidender Aspekt – der Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen biete mit seinem kulturellen Umfeld „die passende Einbettung“ für eine Musikhochschule. Entwicklungspotenzial wird Nürnberg vor allem im Bereich der Alten Musik zugesprochen. Hier fehle Bayern bisher ein international konkurrenzfähiges Ausbildungsinstitut, so das Papier der Kommission, die Nürnberg für ein solches Exzellenzzentrum vorschlägt.
Statements des Nürnberg-Augsburger Rektors Siegfried Jerusalem und des Augsburger Prorektors Bernhard Tluck waren bis Redaktionsschluss nicht eingegangen. Mit den Empfehlungen der Kommission weitgehend einverstanden ist Siegfried Mauser, Rektor der Hochschule für Musik und Theater München. Seinem Eindruck nach sei „sehr gründlich und gewissenhaft“ gearbeitet worden und die Analyse sei „angemessen und richtig“. Er glaube nicht, dass die Prämisse eines Abbaus von 10 Prozent der Studienplätze in Bayern (das Ministerium war noch von einem Abbau zwischen 15 und 20 Prozent ausgegangen) in ursächlichem Zusammenhang mit der empfohlenen Schließung des Standortes Augsburg stehe. Gegenüber der nmz bekräftigt er noch einmal die mittlerweile per Senatsbeschluss erfolgte Distanzierung von einer Verbundlösung mit Augsburg. Nachdem ein früherer Münchner Kooperationsvorschlag von Augsburger Seite „auf teils aggressive Weise“ abgelehnt worden sei, gebe es für eine derartige Lösung keine Basis mehr.
Die Kräfte konzentrieren sich nun auf die schon lange geplante und von beiden Partnern bereits inhaltlich sehr weit vorbereitete Integration des Richard-Strauss-Konservatoriums in die Hochschule. Mauser zufolge ist nach entsprechenden Beschlüssen des Haushaltssausschusses nun die Verwaltungsebene gefordert, die Fusion endlich in Gang zu setzen. Den damit einhergehenden Zuwachs im Bereich Jazz und Volksmusik begrüßt Mauser ausdrücklich, daneben plant er auch den Aufbau eines Instituts für Neue Musik. Wie die Jazzausbildung in Bayern künftig aussehen soll, dazu hat sich die Kommission mangels Expertenwissen in diesem Bereich im Übrigen nicht detaillierter geäußert und schlägt eine separate Betrachtung vor. Auch die Lehrerausbildung, die im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zu bewerten sei, bleibt in dem Bericht ausgeklammert, also ausgerechnet jenes Thema, das sich bei einer Podiumsdiskussion in München als besonders explosiv erwiesen hatte (siehe nmz 3-06, S. 24)
Franz Josef Stoiber, Rektor der Hochschule für Katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik, hat Verständnis dafür, dass das erst seit einigen Jahren in Regensburg installierte gymnasiale Lehramtsstudium an anderen Hochschulen angesichts sinkender Einstellungszahlen kritisch betrachtet wird. Andererseits sei aber zu bedenken, dass der Staat hier für einen Bruchteil der Kosten (die HfKM arbeitet in kirchlicher Trägerschaft) gut ausgebildete Lehrkräfte bekomme. Auch sei für die Studierenden der Kirchenmusik natürlich die Möglichkeit höchst attraktiv, sich mit vier Aufbausemestern ein zweites Standbein zuzulegen. Durch die von der Kommission vorgeschlagene Konzentration der Kirchenmusikausbildung auf Regensburg, Bayreuth und München und die Bestätigung der Hochbegabtenförderung sieht Stoiber den Standort Regensburg insgesamt gestärkt. Betroffen von dieser Konzentration wäre die Würzburger Hochschule, wo bislang noch evangelische und katholische Kirchenmusiker ausgebildet werden. Ein Schwerpunkt neben der Musiktheaterarbeit soll dort nach Vorstellung der Kommission im Bereich der Hochbegabtenförderung liegen.
Aus dem Wissenschaftsministerium war bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme zu erhalten. Bevor man sich äußere, wolle man erst die Experten und Hochschulgremien anhören; Ende April soll dann ein entscheidungsreifes Papier vogelegt werden. In einer Diskussionsrunde mit Augsburger Musikstudierenden forderte Minister Thomas Goppel diese auf, sich dem internationalen Wettbewerb stärker als bisher zu stellen.
Als vorläufiges Fazit bleibt festzuhalten, dass die Vorschläge der Kommission sicher nicht aus der Mentalität kahl schlagender Unternehmensberater heraus gemacht worden sind. Auch auf Augsburg bezogen mag an deren Überlegungen hochschulpolitisch viel Vernünftiges dran sein, ob sie freilich auch kulturpolitisch und mit Blick auf regionale Gegebenheiten sinnvoll sind, muss zumindest angezweifelt werden, da – und das ist ganz unabhängig von der Qualität und Beschaffenheit der Ausbildung dort – sich die Hochschule zu einem wichtigen Kulturfaktor in der immerhin drittgrößten Stadt Bayerns entwickelt hat. Dem schwachen Kommissionszeugnis zum Trotz ist wohl kaum anzunehmen, dass in Augsburg ausgerechnet im Mozart-Jahr die Musikausbildung komplett gestrichen wird.Vielleicht wird ja noch eine ähnliche Lösung aus dem Hut gezaubert wie in NRW, wo am gefährdeten Standort Dortmund mit dem Orchesterzentrum ein innovatives und erfolgreiches Modell installiert wurde.
Internetadressen:
www.stmwfk.bayern.de/downloads/hs_musikhochschulempfehlungen.pdf
www.rettet-die-musikhochschule.de
www.hfm-n-a.de
www.musikhochschule-muenchen.mhn.de
www.hfm-wuerzburg.de
www.hfkm-regensburg.de
www.hfk-bayreuth.de