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Chemnitz wird Europäische Kulturhauptstadt 2025

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Berlin - Chemnitz soll Deutschland als Europäische Kulturhauptstadt 2025 vertreten. Eine entsprechende Empfehlung für die sächsische Stadt verkündete die europäische Auswahljury am Mittwoch in Berlin. Damit haben die weiteren Bewerber Hannover, Hildesheim, Magdeburg und Nürnberg das Nachsehen.

Die Empfehlung der Jury muss von Bund und Ländern in eine formelle Ernennung umgewandelt werden. Die zweite Europäische Kulturhauptstadt 2025 stellt Slowenien. In diesem Jahr können sich Rijeka in Kroatien und Galway in Irland mit dem Titel schmücken.

Jüngste Europäische Kulturhauptstadt aus Deutschland war Essen mit dem Ruhrgebiet (2010). Ausgezeichnet wurden davor auch schon Weimar (1999) und West-Berlin (1988).

In den Bewerberstädten wurden jahrelang Ideen gewälzt, Programme aufgestellt und dicke Bewerbungen geschrieben. Die Kandidaten wurden aufgrund umfangreicher Bewerbungsbücher bewertet. Außerdem gab es zuletzt Stadtbesuche, wegen der Corona-Pandemie allerdings ausschließlich digital.

Chemnitz will mit Macher-Mentalität punkten: «Wir wollen all die Leute und Orte sichtbar machen, die man nicht sieht und damit auch ein Chemnitz, das in Europa - noch - keiner auf dem Schirm hat», sagte Jenny Zichner vom Bewerbungsteam. Mit kulturellen Mitteln Gräben überwinden, wieder miteinander ins Gespräch kommen, eine aktive und demokratische Stadtgesellschaft werden - das seien Ziele hinter dem Bewerbungsprozess, erläuterte Zichner.

Chemnitz war vor zwei Jahren tagelang im Ausnahmezustand gewesen, nachdem Daniel H. am Rande des Stadtfests von einem Asylbewerber erstochen worden war. Es folgten Demonstrationen, bei denen auch der Hitlergruß gezeigt wurde.

Die Ereignisse des Sommers 2018 habe man genau wie brachliegende Flächen und leerstehende Häuser zunächst als Schwäche in der Bewerbung der drittgrößten Stadt in Sachsen betrachtet. «Doch im Grunde genommen sind das alles Themen, die ganz Europa betreffen, die uns mit Europa verbinden. Und um Gräben zu überwinden, fangen wir am besten vor Ort an», sagte Sören Uhle, Chef der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft (CWE). Ob Wende, Strukturwandel oder jetzt die Corona-Pandemie: Mit seiner Macher-Mentalität stehe Chemnitz stellvertretend für eine Gesellschaft, die nicht darauf wartet, dass jemand kommt, sondern aktiv wird, erklärte Uhle.

 

Europas Kulturhauptstadt 2025: Chemnitz tritt aus dem Schatten

Claudia Drescher und Jörg Schurig, dpa

Chemnitz war lange Zeit der Underdog unter den ostdeutschen Städten. Nun holt die Stadt mit Macher-Mentalität den Titel Kulturhauptstadt 2025 und rückt damit ins Blickfeld von ganz Europa.

Chemnitz (dpa) - Chemnitz ist Europäische Kulturhauptstadt 2025. Dabei galt die Stadt lange als eine Art Aschenputtel unter den Großstädten des Landes. Auch die Chemnitzer selbst wertschätzten «ihr» Chemnitz eher selten. «Aber wenn die Chemnitzer jetzt unterwegs sind, dann können sie mit einem Lächeln sagen, wo sie herkommen: Wir kommen aus Chemnitz, aus der Kulturhauptstadt Europas 2025», sagte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) kurz nach Bekanntgabe der Jury-Empfehlung. Damit haben die Mitbewerber Hannover, Hildesheim, Magdeburg und Nürnberg das Nachsehen. Zuvor waren im vergangenen Dezember bereits Dresden, Gera und Zittau ausgeschieden.

Mehr als drei Jahre lange arbeitete ein kleines Team an der Bewerbung und daran, die Stadt zu begeistern. Vor allem am Anfang nicht ohne Kritik. Doch Stück für Stück sei es gelungen, Vereine und Initiativen und damit hunderte Menschen ins Boot zu holen. «Am Ende haben wir es geschafft, einen Großteil der Stadtgesellschaft mitzunehmen», sagte Jenny Zichner vom Bewerbungsteam 2025 am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Dass ausgerechnet Chemnitz Kulturhauptstadt werden wollte, das hätten viele Einwohner zunächst belächelt. «Leipzig, Dresden, aber doch nicht Chemnitz! Das war hier lange die Meinung.»

Dabei gehörte Chemnitz Ende des 19. Jahrhunderts zu den reichsten Städten Deutschlands, galt wegen seiner starken Wirtschaft sogar als «sächsisches Manchester». Doch im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt schwer zerstört. Selbst wenn man in den Jahren nach der Wende hierher kam, konnte man in der Innenstadt noch riesige Freiflächen sehen - ein Erbe der Zerstörung im Krieg.

Die wechselvolle Geschichte lässt sich auch am Namen ablesen. Im Mai 1953 hatte man Chemnitz - ohne die Bürger zu fragen - in Karl-Marx-Stadt umbenannt. Dabei hatte der Philosoph und Mitbegründer des Kommunismus nie einen Fuß in die Stadt gesetzt. Nach dem Fall der Mauer entschieden sich drei Viertel der Bürger bei einer Abstimmung für den ursprünglichen Namen.

Der einstige Namensgeber gehört inzwischen dennoch zum Inventar der Stadt: Der «Nischel», wie die Chemnitzer das 40 Tonnen schwere und gut sieben Meter hohe Karl-Marx-Denkmal nennen, ist heute zentraler Treffpunkt und beliebtes Fotomotiv. Und ging im Sommer 2018 als Bild um die Welt, das sich ins kollektive Bewusstsein eingebrannt hat: Mit brüllenden Neonazis und Hitlergruß.

Nach einer tödlichen Messerattacke auf einen jungen Mann, für die Flüchtlinge verantwortlich gemacht wurden und für die später ein junger Syrer eine lange Haftstrafe erhielt, kam es tagelang zu Ausschreitungen Rechtsextremer. Daraufhin geriet die gesamte Stadt als braune Hochburg unter Generalverdacht. Der Kulturhauptstadt-Titel sei auch deshalb so wichtig, um zu zeigen, dass Chemnitz viel mehr sei als diese Bilder von vor zwei Jahren, betont Rathauschefin Ludwig.

Das Thema unumwunden in die Bewerbung einzubringen, war eine ausdrückliche Empfehlung der Jury, kostete die Chemnitzer aber auch gehörigen Mut. Unter der Überschrift «Chemnitz ist weder grau noch braun» entstanden zahlreiche Ideen, darunter eine quietschbunte Treppe am Technischen Rathaus. Sie ist ein Projekt der «Buntmacher*innen», einer zivilgesellschaftlichen Initiative aus Chemnitz, die das Konzept der sächsischen Stadt auf den Punkt bringt: einfach mal machen. «Wir haben uns in der Bewerbung ganz darauf konzentriert, was wir hier in Chemnitz möglich machen können, und zwar alle gemeinsam», sagte Anett Linke von den «Buntmacher*innen».

Viele kleine Projekte, aktives Mittun und nicht nur große Künstlernamen - mit seinem Macher-Ansatz lag Chemnitz offenbar goldrichtig. Nach dem großen Jubel muss die große Party coronabedingt zwar ausfallen. Dafür machen die Chemnitzer wieder einfach mal: Im kleinen Kreis sollte am Mittwochabend auf dem Theaterplatz Beethovens «Ode an die Freude» gesungen werden.

 

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