nmz 2000/10 | Seite 51
49. Jahrgang | Oktober
Dossier: Musikleben in kleineren Städten
Herbst, Zeit der Städte
Nun, da der Müll sommerlicher Festivitäten aufgekehrt und in den Depots kultureller Gedächtnisse entsorgt ist, da jeder, der es nicht zu vermeiden wusste, ferne Länder bereist oder sich in die Schlangen vor näher liegenden Länder-Pavillons eingereiht hat, nun also ist es Zeit, sich wieder aufzumachen ins kulturelle Dickicht der Städte.
Der Veranstaltungskalender ist prall gefüllt, das Opernensemble probt seinen Verdi, die Plakate der internationalen Konzertreihe prangen von den sanierten Fassaden: „Pflück uns, pflück uns, wir sind schon überreif!”. Die kommunalen Volksvertreter versammeln sich zum Ortstermin, Haushaltslöcher zu besichtigen. Wer jetzt keine Stadthalle hat, baut sich keine mehr, wer jetzt pleite ist, wird es lange bleiben. Eine Delegation der Partnerstadt hat sich angekündigt, für die Woche darauf die NPD mit einer Kundgebung. Das Verwaltungsgericht berät über eine einstweilige Verfügung.
Volkshochschule und Kulturamt laden zum Literaturabend: „Deconstructing Harry Potter”, anschließend Diskussion mit der renommierten Anglistik-Professorin. Und da ist es wieder, dieses herbstliche Gefühl nach Hause zu kommen, das uns einst der Schulanfang bescherte. Auch in dieser Saison werden wir die wichtigen Termine im Kalender pflichtschuldig eintragen, die seltenen Filme in Originalsprache verpassen, werden auf den letzten Drücker durch sensationelle Wanderausstellungen eilen und neidisch auf die Hauptstädter blicken, die ihre drei Opernhäuser regelmäßig nicht besuchen.