Cornelius Hauptmann, international konzertierender Bass, Mitwirkender in unzähligen Bühnenproduktionen und Schallplattenaufnahmen, ist seit einem Jahr Vorsitzender des Vorstands im baden-württembergischen Landesverband des Deutschen Tonkünstlerverbandes (DTKV). Dass ein arrivierter Künstler die Bühnenbretter gegen einen Bürostuhl tauscht und zum Funktionär wird, ist ungewöhnlich. Weshalb er so entschieden hat und welche Reize ihm das vor einem Jahr erworbene Amt bietet, darüber sprach mit ihm Susanne Fließ.
neue musikzeitung: Herr Hauptmann, wenn man Ihren Namen googelt, findet man auf Anhieb tausende von Treffern zum Künstler und Sänger Cornelius Hauptmann. Auf den Funktionär Hauptmann trifft man erst nach kurzer Suche.
Cornelius Hauptmann: Ich rutsche erst allmählich in die Verbandstätigkeiten hinein. Ich mache dem sängerischen Nachwuchs Platz, nicht zuletzt deshalb, weil ich an mich sehr hohe Ansprüche stelle, denen ich mit über 60 Lebensjahren womöglich nicht mehr genüge. Meine beiden Lehrer Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf haben dafür gesorgt, dass ich mit mir selbst sehr kritisch bin. So kommen mir nach 55 Jahren Singen Ehrenämter und neue Aufgaben hinter den Kulissen sehr zupass.
nmz: Ist Ihre Bühnenerfahrung, die langjährige Berufspraxis als Sänger, bei Ihren jetzigen Verbandstätigkeiten nützlich?
Hauptmann: Oh ja, die Erfahrung, die ich aus dem internationalen Bühnenleben, aus dem Umgang mit Plattenfirmen und Konzertagenturen mitbringe, sind ausgesprochen nützlich, dafür habe ich von verwaltungstechnischen Sachen nicht sehr viel Ahnung. Zum Glück sitzen hier sehr kompetente Menschen, allen voran der Geschäftsführer Eckhart Fischer.
nmz: Sie sind nun seit einem Jahr Vorstandsvorsitzender im DTKV Baden-Württemberg. Welche Geschichte verbindet Sie mit dem Verband?
Hauptmann: Ich bin Mitglied des DTKV, seit ich 19 Jahre alt bin. Ich habe nämlich mal Flöte gespielt und meine Konzerttätigkeit war Anlass, im DTKV Mitglied zu werden. Rolf Hempel, der frühere Vorstandsvorsitzende des DTKV, war einer meiner Musiklehrer im Gymnasium. Unsere Verbindung ist eigentlich nie abgerissen. Als er dann vom Vorstandsvorsitz zurücktrat, wurde mir das Amt angetragen. Ich merke sehr wohl, dass mein Name einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, nicht zuletzt wegen des „Wiegenlieder“-Projektes. In diesem Amt hat das durchaus Vorteile. Heute Nachmittag bin ich beispielsweise ins Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg zu einem Gespräch über die baden-württembergischen Musikhochschulen eingeladen.
nmz: Nun wird ja bei solchen Terminen nicht der Privatmann zu seiner Meinung gefragt, sondern der Verbandsrepräsentant. Entsprechend stehen Mitgliedervoten oder diplomatisches Geschick im Vordergrund.
Hauptmann: Die Jacke, die ich bei solchen Anlässen trage, ist eine diplomatische, aber die Weste darunter ist eine künstlerische. Ich stütze mich bei Gesprächen und Verhandlungen auf Erfahrungswerte. Solche Dinge lernt man auch im Umgang mit Agenturen, sensiblen Dirigenten, Regisseuren, Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne.
nmz: Welche Anliegen können Sie denn kraft Ihres Amtes beim DTKV in der Öffentlichkeit anbringen?
Hauptmann: Im Brotberuf bin ich noch immer Sänger, so dass ich naturgemäß beim Thema Singen besonders aufmerksam werde. Der Musikunterricht, wo miteinander gesungen werden könnte, ist inzwischen völlig an den Rand gedrängt, er passt in die Ganztagsschule nicht mehr hinein. Der DTKV Baden-Württemberg hat über 2.000 Mitglieder und ist damit auch für 20.000 Schülerinnen und Schüler verantwortlich. Da ich mich als Anwalt der Schüler fühle, zieht das automatisch nach sich, dass ich mich dann auch mit der Situation der Lehrkräfte befasse, um deren berufliche Wirklichkeit, um deren Ringen für Freiräume zum Üben. So erfuhr ich, dass es Fälle gibt, in denen Lehrkräfte, die Freistunden für Musikunterricht nutzen, 25 Euro für die Benutzung des Klassenzimmers zahlen müssen. Da stehen mir die Haare zu Berge, das geht gar nicht!
nmz: Sie scheinen vor allem den gesunden Menschenverstand zum Leitgedanken Ihres Handelns zu machen.
Hauptmann: Mein erster Impuls ist in der Tat, hier für Gerechtigkeit zu sorgen und vor allem die Anliegen von Kindern zu vertreten. Die gesamte musikalisch-künstlerische Bildung von Kindern gerät ja ins Hintertreffen.
nmz: Das bereits erwähnte „Wiegenlieder“-Projekt passt ebenfalls gut zum Thema.
Hauptmann: Ja, Auslöser für das „Wiegenlieder“-Projekt war mein Ärger darüber, dass vielen Kindern „Der Mond ist aufgegangen“ nicht geläufig war. Mit meiner Entrüstung stieß ich auf viele offene Ohren. Weil die zwar schnell flächendeckend erzeugt ist, sich aber dann weiter nichts tat, machte ich mich an die Arbeit, recherchierte Lieder, recherchierte Sängerinnen und Sänger, Kolleginnen und Kollegen, die ich aus vielen Jahrzehnten eigener Sängertätigkeit kannte, und überredete sie, ohne Gage Wiegenlieder einzusingen. Im Leiter des Carus-Verlags, Johannes Graulich, fand ich nicht nur einen großen Fan dieser Idee, sondern einen kompetenten Ansprechpartner, denn Herr Graulich ist Kinderarzt. Er war es, der den SWR ins Boot holte, dazu den ZEIT Verlag und den Reclam Verlag. Damit war die Finanzierung der CD-Aufnahmen gesichert. Für diese Kooperation möchte ich den SWR ausdrücklich loben! Die Kolleginnen und Kollegen unterstützten dann weitere Projekte: Volkslieder, Kinderlieder, Weihnachtslieder und aktuell „Wiegenlieder aus aller Welt“. Die Mitsing-CD, die jedem Liederbuch beiliegt, ist jeweils ein bisschen höher gesetzt als die eingesungene Fassung, denn Kinder haben ja naturgemäß höhere Stimmen. Das Wiegenlieder-Buch wurde inzwischen mehr als 100.000 Mal verkauft, aus dem Erlös der verkauften CDs werden Spenden generiert, die im Moment an das Projekt „Ganz Ohr“ an der Musikhochschule Hannover gehen. Zuvor gingen sie unter anderem an die Stiftung „Herzenssache“ und an die Stiftung „Singen mit Kindern“.
nmz: Des Themas musikalische Bildung haben sich ja einige Verbände angenommen. Welche Facette wird durch den DTKV abgedeckt?
Hauptmann: Zwischen dem DTKV und dem Verband deutscher Musikschulen in Baden-Württemberg gibt es eine enge Verbindung bei diesem Thema. Im weiteren Sinn gehören ja auch die Bezahlung von Musiklehrern und ihre durchaus prekäre wirtschaftliche und vertragliche Lage dazu. Wenn jedoch der Bedarf erkannt wird, Kinder richtig und gut zu unterrichten, dann muss das automatisch gut qualifizierte Lehrer zur Folge haben. Und die wiederum bekommt man nur, wenn das Berufsbild attraktiv, also unter anderem die Bezahlung angemessen ist. Ich bin davon überzeugt: Wenn es an der Wurzel stimmt, erledigen sich viele Probleme in der Folge von allein. Insofern versucht der DTKV in Baden-Württemberg ein möglichst großes Schiff zu bauen, in dem alle Platz finden.
nmz: Aktuelle Themen in Baden-Würt-temberg sind die geplante Neuordnung der Musikhochschulen und die Orchesterfusion beim SWR …
Hauptmann: Ich wünsche mir, dass das Leitbild von Kultur in Baden-Württemberg sich ändert. Beim Neujahrsempfang 2013 verkündete Minis-terpräsident Winfried Kretschmann, dass unsere Kultur nicht Sonntagskuchen, sondern tägliches Brot sei. Damit nehme ich ihn künftig beim Wort! Bei solch skandalösen Plänen wie der sogenannten „Verschmelzung“ der beiden SWR-Orchester – genauso abs-trus wie eine fiktive Verschmelzung von Mercedes und Porsche! – zieht sich das Land komplett zurück und spielt den Schwarzen Peter alleine dem SWR zu. Das wäre so, als würde Herr Kretschmann entscheiden, „wir schicken keine Landespolizei zum Neckarstadion, das ist Sache des VfB“. So etwas geht einfach nicht! Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg betreut über 2.000 Schüler in der näheren und weiteren Umgebung von Freiburg. In diesem riesengroßen Netzwerk geht es um Bildung. Und Bildung ist noch immer Landessache. Da kann man sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen. Es gibt noch nicht einmal belastbare Zahlen, wie viel tatsächlich eingespart werden kann. Zum Teil wird in der Öffentlichkeit mit Strukturkosten in atemberaubender Höhe jongliert, um der Bevölkerung Fusionen oder Auflösungen schmackhaft zu machen. Gleichzeitig wird hinter vorgehaltener Hand darüber diskutiert, für die außereuropäischen Musikstudenten Studiengebühren zu erheben. Aber das traut sich keiner laut zu sagen.
nmz: Wie stehen Sie dazu?
Hauptmann: Ich muss Ihnen sagen, dass solche Überlegungen meine Zustimmung finden, ich selbst habe nämlich auch in der Schweiz studiert und musste für meine Ausbildung 12.000 Schweizer Franken bezahlen, die habe ich nebenher als Aushilfe im SWR Vokalensemble verdienen müssen. Mein Sohn hat in Rotterdam studiert, dort wurden ebenfalls Studiengebühren erhoben.Es gibt also bereits Bezahlmodelle an europäischen Musikhochschulen. Ich bin mir bewusst, dass das ein politisch fragiles Thema ist, da lese ich von „Willkommenskultur“ und der Verpflichtung, die uns aus unserer jüngeren Geschichte erwächst. Ich halte das für eine Vermischung von Sachverhalten. In Leipzig an der Musikhochschule hat man Studiengebühren eingeführt – ohne nennenswerte Einbrüche der Studentenzahlen.
nmz: Seit einem Jahr haben Sie das Amt im DTKV nun inne. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?
Hauptmann: Zum einen konstatiere ich, dass ich dieses Amt sicherlich noch ein ganzes Weilchen bekleiden werde. So ist das mit Ehrenämtern, die wird man so schnell nicht wieder los. Zum anderen genieße ich diese Position auch, weil ich mich so am besten zum Anwalt der Kinder und der Musikkultur unseres Bundeslandes machen kann.
nmz: Haben Sie das Gefühl, dass jeder Landesverband im DTKV sein eigenes Süppchen kocht, oder gibt es überregionale Themen und regen Austausch?
Hauptmann: Anfang Oktober fand in der sächsischen Landesakademie im Schloss Colditz die Länderkonferenz des DTKV statt. Dort wurde in großer Runde die Situation in den verschiedenen Bundesländern erörtert, und es stellte sich heraus, dass die Probleme sehr vergleichbar sind. Nehmen wir nur als Beispiel die Gesamtschule, wo die Zeit- und Energiefenster für die Kinder fehlen.
Dann das Thema neue Medien und der enorme Raub an Zeit, der damit einhergeht. Es ist dringend geboten, an vielen Stellen in unserer Gesellschaft über ein Konzept nachzudenken.
nmz: Welche Position hat der DTKV in der Diskussion um die Neustrukturierung der fünf Musikhochschulen?
Hauptmann: Wir waren neulich zu einem Gespräch mit Kulturministerin Theresa Bauer eingeladen, außerdem nahmen die studentischen Vertreter der fünf Hochschulen teil, die Hochschulrektoren und die Oberbürgermeister der betreffenden Städte. Mein Eindruck ist, dass jeder für die Erhaltung des Status Quo an der eigenen Hochschule kämpft, von einem gemeinsamen Konzept ist da noch nichts zu sehen, immerhin aber in Aussicht. Die AStA-Vertreter haben der Ministerin sehr durchdachte Konzepte präsentiert. Über Fusionen wurde jedoch nicht geredet, die scheinen fürs Erste vom Tisch zu sein, ebenfalls die Streichung des Jazz in Stuttgart.
nmz: Mit welchen Themen möchten Sie Ihren Namen in der breiten Öffentlichkeit verbunden wissen?
Hauptmann: Im Allgemeinen mit dem Thema „Musikalische Bildung von Kindern“; und hier speziell und unbedingt mit dem „Wiegenlieder“-Projekt. Die Leute sollen sagen: „Der Corneli-us Hauptmann hat die vom Tode bedrohten Wiegenlieder gerettet und unter die Menschen gebracht.“ Und dann natürlich mit ein paar meiner Tonaufnahmen.