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Die Pianistin Elisabeth Leonskaja im Sendesaal Bremen. Foto: Sendesaal
Die Pianistin Elisabeth Leonskaja im Sendesaal Bremen. Foto: Sendesaal
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Das wahre Wunder von der Weser

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Die Rettung des Sendesaales von Radio Bremen – eine einzigartige Geschichte des Erfolges hartnäckiger Bürgerinitiativen
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Wohl selten hat es bei dem Versuch, ein historisches Gebäude zu retten, ein zehnjähriges Hin und Her und so viel persönlichen Einsatz gegeben wie beim letztendlich gelungenen Erhalt des Sendesaals von Radio Bremen. Vieles kann man in der ganzen Geschichte gar nicht fassen, zum Beispiel den Verkauf des Geländes an einen Investor, der – von ihm aus sogar verständlicherweise – sofort den Abriss des Sendesaales plante und dies auch nach seinem Kaufvertrag durfte. Dafür wurde sogar von Bürgermeister und Kultursenator (!) Jens Böhrnsen der vorhandene Denkmalschutz mal so eben aufgehoben – auch das kann man kaum fassen.

Das wollten sich eine Reihe von Bremern nicht gefallen lassen, aber es muss auch immer Menschen geben, die den Widerstand organisatorisch und logistisch leisten. In Bremen waren das der ehemalige Redakteur für Jazz, Peter Schulze, Leiter von „Jazz Berlin“ und „jazzahead Bremen“, und der ehemalige Hauptabteilungsleiter Musik Klaus Bernbacher: mit der Sammlung von 7.000 Unterschriften, darunter bis zu Michail Gorbatschow und Alfred Brendel hunderte von weltberühmten Musikern, und der Gründung des Vereins „Freunde des Sendesaals“ 2002 fing der bundesweit einmalige Rettungsvorgang an. Es war die Rettung eines Juweles von akustischer Qualität ohnegleichen, einmal ganz abgesehen davon, welche Geschichte von Musik sich in ihm abgespielt hat: So ist der Sendesaal damals wie heute ein einzigartiges Produktionsstudio für Musik. 

Der Investor wollte klagen, zog aber dann seine Kaufzusage zurück. Allerdings bestand auch der zweite Käufer auf dem Abriss des Gebäudes. Dann kam der Moment, wo nach Meinung der Aktivisten nur noch einer helfen konnte: Klaus Hübotter. Der achtzigjährige Hübotter – gerade zum Ehrensenator in Bremen geworden – hat in Bremen mehrere Objekte saniert: Den Speicher aus dem späten 19. Jahrhundert hat er in der Überseestadt zur Kunsthochschule umgebaut, das ehemalige jüdische Kaufhaus Julius Bamberger im Stephanieviertel hat er für die Nutzung durch die Volkshochschule gerettet, die Villa Ichon ist eine Heimat für Friedens- und Kulturinitiativen geworden, der historische Schlachthof ein Kulturzentrum und vieles mehr. 2009 kaufte Hübotter das Gelände am Sendesaal. Der Jurist, der wegen seiner Zugehörigkeit zur damaligen DKP unter das Berufsverbot fiel und sogar zeitweise im Gefängnis saß, wurde erfolgreicher Bauunternehmer und setzt sich für Gebäude ein, die seiner Meinung nach wegen ihrer Geschichte präsent bleiben sollten. Der Denkmalschutz für den Sendesaal wurde 2002 auf Antrag des Bremer Landesmusikrates wieder erhoben, 2007 noch einmal aufgehoben und 2009 endgültig erneuert. Der Sendesaal bleibt und das Redakteurshaus wird zu einer Rehaklinik für Orthopädie und Kardiologie umgebaut – zu diesem Zeitpunkt stammt die letzte Abrissplanung von 2006. Im vergangenen Mai hat die Rehaklinik eröffnet und sie wirbt durchaus auch mit den Konzerten des Sendesaales: Die Patienten bekommen ermäßigte Eintrittspreise. 

Es finden nun Produktionen statt, und der Saal wird vermietet. Der Verein selbst veranstaltet auch Konzerte, die laut Peter Schulze in „die besondere Akustik und Atmosphäre“ passen. 215 Mitglieder garantieren den laufenden Unterhalt. Nur damit aber lässt sich kaum an die große Tradition erinnern, die mit Radio Bremen und seinem berühmten Saal verbunden ist: Das sind vor allem die seit 1959 von Hans Otte ins Leben gerufenen Festivals „Pro Musica Antiqua“ und „Pro Musica Nova“, die 2001 durch den damaligen „Abwicklungsintendanten“ Heinz Glässgen (1999–2009) so sang- und klanglos verschwanden – in Bezug auf ihre weltweite Bedeutung eine einzigartige Peinlichkeit. Doch nun könnte sich das Blatt wieder wenden, denn drei Gruppen haben sich zusammengetan, um weiterzugeben und neu zu gestalten, was mal war: Der Verein, die Hochschule für Künste – vertreten durch die Professorin für Gambe Hille Perl – und Radio Bremen – vertreten durch die für mehrere Aufnahmen preisgekrönte Tonmeisterin Renate Wolters. Die beiden Damen sind die künstlerischen Leiterinnen eines neuen Festivals für Alte Musik, das zweijährlich stattfinden soll und nun zum zweiten Mal gut besucht in Szene ging. „Musicadia“ heißt es – „ein Kunstwort“, Schulze hat mal gegoogelt, und es gibt nichts dergleichen. Parallel dazu finden ebenfalls alle zwei Jahre die Tage für Neue Musik statt, die Marita Emigholz (Radio Bremen), Peter Schulze und Klaus Bernbacher verantworten: Damit macht der Verein die Erinnerung an die alten Festivals zu Leuchttürmen der Konzeption.   

Die Finanzen sind gering und es wird mit vielen Spenderhänden das gemacht, was alleine schon einmal gar nicht mehr gehen würde: Die Basis ist ehrenamtlicher Einsatz und die Begeisterung für die Idee, dass „weitergehen muss, was bei Otte angefangen hat“ (Renate Wolters). Und Hille Perl, als Kind und Jugendliche bei allen Konzerten damals, erinnert sich: „Das war ein persönlicher Stich ins Herz, als das vorbei war.“ Radio Bremen selbst war 2007 ins Faulenquartier umgezogen – unter für die Mitarbeiter zum Teil kaum zumutbaren Umständen.   

Als Wunder von der Weser wurde vor vielen Jahren einmal ein Fußballspiel von Werder Bremen bezeichnet, dann wurde der Dirigent Lawrence Renes im Alter von 32 Jahren zum GMD der Bremer Philharmoniker, auch das bezeichnete man im Zusammenhang mit der gelungenen Umwandlung des Philharmonischen Staatsorchesters in eine GmbH in der Stadt als Wunder von der Weser. Am besten aber passt dieser Titel zu dem Vorgang zur Rettung des Sendesaales mit seinen krimiartigen Phasen, der zudem in einem gerade erschienenen Buch von Irmela Körner mit Fotos und Texten bestens dokumentiert ist: „Sendesaal Bremen – Die Rettung eines Klang-Juwels“ ISBN 978-3-8378-1032-5. Euro 17,80 Edition Temmen. 

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