Der 1. Ostsee-Kulturkongress „Neue Aspekte Musikalischer Jugendbildung” brachte gut 100 Musiker und Musikvermittler aus Deutschland und den Ostsee-Anrainerstaaten zu einem Erfahrungsaustausch und einer Zukunftswerkstatt im Schleswig-Holsteinischen Rendsburg zusammen. Wie ist die Musikvermittlung organisiert? Welche Konzepte gibt es? Welche Methoden sind erfolgreich und nachhaltig? Impulsreferate kamen von der Schleswig-Holsteinischen Kultur- und Bildungsministerin Karin Prien und von Altbundespräsident Christian Wulff, der seit Mai 2018 Präsident des Deutschen Chorverbandes ist. Über die Tagung und ihre Ergebnisse hatte sich für die nmz Christian Schruff mit Guido Froese unterhalten, der als Leiter des Nordkollegs Rendsburg gemeinsam mit dem Landesmusikrat Schleswig-Holstein eingeladen hatte.
neue musikzeitung: Rendsburg liegt am Nord-Ostsee-Kanal und orientiert sich aufgrund seiner geographischen Lage zum Ostseeraum. Warum ist dieser mit den skandinavischen Ländern, Finnland und den baltischen Staaten für die musikalische Jugendbildung besonders interessant?
Guido Froese: Weil hier Staaten unterschiedlicher Größe ähnlichen Herausforderungen begegnen müssen und dafür verschiedene und vielfältige Ansätze wählen. Wenn es um innovative Ansätze in der Bildungspolitik geht, schauen wir nach Finnland, wenn es um Digitalisierung geht, nach Estland. Wir haben uns dazu entschlossen, ganz offen über den Tellerrand zu blicken und haben in vielen Ländern gute Beispiele gefunden. Auch in Deutschland.
nmz: Ein Teil des Kongresses fand statt als Ideenbörse: Konzerthäuser, Stiftungen, private und staatliche Konzertveranstalter stellten in zwanzig Präsentationen ihre Projekte vor. Zuvor hatten sie in einem Speeddating um die Aufmerksamkeit der Kongressbesucher geworben. Nach welchen Kriterien hatten Sie die Referenten eingeladen?
Froese: Wir haben nach allen Formen von Kooperationen zwischen Schulen und Musikinstitutionen beziehungsweise Musikerinnen und Musikern gesucht und dabei auch die Frage gestellt, wie zwischen diesen vermittelt wird. Gleichzeitig haben wir nach verschiedenen Organisationsformen und in unterschiedlichen Musikgenres gesucht. Von der Vielfalt waren wir beeindruckt.
nmz: Auch die Kern-Zielgruppe der musikalischen Jugendbildung hatten Sie eingeladen: Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren aus verschiedenen Schulformen in Schleswig-Holstein. Welche Impulse, welche Anregungen für die Diskussion kamen von ihnen?
Froese: Wir haben uns gefreut, dass einige der von uns gemeinsam mit der Musikhochschule Lübeck weitergebildeten Musiktutorinnen und Musiktutoren unserer Einladung zum Kongress gefolgt sind. So gab es in der Zukunftswerkstatt sowohl Hinweise, wie sich Schülerinnen und Schüler einen innovativen Musikunterricht vorstellen, als auch welche Erfahrungen es mit dem Besuch von Musikveranstaltungen bisher gab und welche Aspekte der im Kongress vorgestellten Projekte man übernehmen sollte.
nmz: In Finnland und Dänemark exis-tieren nationale Büros, die flächendeckend Schulkonzerte organisieren. Einerseits bieten diese Büros jungen Ensembles Auftrittsmöglichkeiten und sind somit Kulturförderung. Andererseits sorgen diese Büros auch dafür, dass alle Konzertprojekte einen Qualitätsstandard sowohl in der Aufführung als auch in der Vermittlung erfüllen. Taugen solche Modelle als Vorbilder für Deutschland?
Froese: Damit haben wir uns in einer der Zukunftswerkstätten intensiver befasst, denn diese Modelle stießen bei Schülern wie Lehrern als auch bei den Musikinstitutionen auf großes Interesse. Wir haben in der Konferenz vereinbart, uns diese Modelle noch einmal intensiver anzuschauen. Inzwischen hat eine kleine Delegation den Projektstart im benachbarten Dänemark besucht. Eine nationale Lösung braucht es in Deutschland sicher nicht. Aber auf der Ebene von Bundesländern könnte eine Umsetzung Sinn machen.
nmz: Wo gibt es in Deutschland bereits ähnliche Konzepte? Welche Hemmnisse blockieren eine solche barrierefreie und flächendeckende Musikvermittlung?
Froese: Es gibt solche Projekte in Deutschland bereits auf städtischer Ebene, wie etwa in Hannover. Ein landesweites Angebot ist uns nicht bekannt, ist aber wünschenswert. Dafür braucht es aber zuerst einen politischen Willen, der die Erkenntnis um die Bedeutung von Musikvermittlung voraussetzt. Und dann müssten die notwendigen Strukturen geschaffen werden.
nmz: Welche Rolle spielt die Volksmusik in Skandinavien und den baltischen Staaten bei der musikalischen Jugendbildung?
Froese: Eine große Rolle. Während in den baltischen Staaten jeder junge Mensch einen ganzen Kanon von Volksliedern kennt, die bei den Sängerfesten auch regelmäßig gesungen werden, gibt es in Finnland mit der Näppäri Methode zum Beispiel einen Weg, wie gemeinsames Musizieren wieder zu einem Teil des täglichen Lebens gemacht werden kann, und das über alle Altergrenzen hinweg.
nmz: Welche Ideen hat Chorverbands-Präsident Wulff für einen unverkrampften Umgang mit Volksliedern gebracht?
Froese: Zum Beispiel einfach wieder sehr früh anzufangen zu singen – schon in der Kita. Hierfür bietet der deutsche Chorverband entsprechende Projekte und Methoden an.
nmz: Welche Anregungen hat ein Projekt zur Vermittlung Bildender Kunst in Finnland den Musikern, Musiklehrern und -vermittlern geben können?
Froese: In Finnland werden dank der Initiative einer großen Stiftung alle Achtklässler des Landes zu jeweils zwei Kulturveranstaltungen geschickt. Neben dem Erleben von Kultur steht dabei aber auch das Evaluieren. Im „Art Tersters“-Programm bewerten die Schülerinnen und Schüler nach ihrem Besuch über eine App und andere Kanäle das Erlebte. Die Ergebnisse sind sehr interessant und aufschlussreich.
nmz: Die Zukunftswerkstatt versuchte zum Abschluss aus den Best-Practice-Beispielen konkrete Arbeitsideen zu entwickeln. Welche Wünsche und Forderungen haben sich dabei herauskristallisiert? Gibt es vielleicht schon greifbare Ergebnisse, Verabredungen oder Arbeitsaufträge?
Froese: Einerseits wurde der Wunsch geäußert, weiterhin Möglichkeiten des Austausches über verschiedene Musikvermittlungsansätze und über nationale Grenzen hinweg zu haben. Hierfür werden wir die Informationen zu den einzelnen Projekten publizieren und darüber hinaus ein Netzwerk initiieren, über das wir in Kontakt bleiben können. Andererseits gab es in zwei weiteren Arbeitsgruppen der Zukunftswerkstatt den Impuls, sich mit dem Musikunterricht von morgen und mit einer Neukonzeption von Schulkonzerten oder Konzertbesuchen zu befassen. An beiden Bereichen werden Nordkolleg und Landesmusikrat gemeinsam mit den Musikinstitutionen und dem Land Schleswig-Holstein weiterarbeiten.
nmz: Es war der 1. Ostsee-Kulturkongress. Wann folgt der 2. und welche Schwerpunkte wünschen Sie sich?
Froese: Ich denke, dass wir für den Kongress in einen zweijährigen Rhythmus gehen werden. Jetzt haben wir erst einmal nachzuarbeiten, um den Kongress nachhaltig zu machen. Ideen für Themen gibt es eine ganze Menge. Ein Blick in den Ostseeraum würde sich zum Beispiel unter anderem bei den Themen Digitalisierung, Leseförderung oder auch Entwicklung der Bibliotheken lohnen. Da gibt es in allen Bereichen viele sehr spannende Ansätze.
Zum Foto: Diskutierten über neue Wege der Musikvermittlung in der Schule: Schleswig-Holsteins Kultur- und Bildungsministerin Karin Prien, Landesmusikratspräsident Dr. Volker Mader, Nordkolleg-Leiter Guido Froese und der Präsident des Deutschen Chorverbandes, Altbundespräsident Christian Wulff. Foto: Hartmut Schröder, Landesmusikrat Schleswig-Holstein.