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Der König David als apotheotische Krönung

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Eindrucksvolle Ensemble-Beispiele bei der 9. vds-Bundesbegegnung „Schulen musizieren“
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Für junge Menschen, ihre Erziehung und Bildung sei Musik unverzichtbar, meinen die Politiker. Denn aktives Musizieren macht nicht nur Spaß, sondern beeinflußt Leistungsbereitschaft, Konzentrationsfähigkeit und Kreativität. Der Ort, an dem alle junge Menschen den Weg zur Musik finden könnten, ist die Schule. Und Schulen musizieren. Sie musizieren wirklich - nur nicht überall. Positive Beispiele lieferte schon zum neunten Male die Bundesbegegnung, die die Schulmusiker in diesem Jahre in Lübeck ansiedeln konnten. Aus den 16 Bundesländern kommen hierzu Vorschläge, ausgewählt aus vorangegangenen Landesbegegnungen, -wettbewerben oder Bewerbungen. Was nun auf Bundesebene vorgestellt wird, hat somit Beispielcharakter. Gezeigt werden soll, was und wie in verschiedenen Schulstufen und -typen musiziert wird, vokal, instrumental, elementar bis zu hohen Kunstformen. In der Tat: die Vielfalt und auch die Qualität, die in Lübeck als Arbeitsergebnisse der Schulmusik dokumentiert wurden, ist enorm und beeindruckend. Das beginnt mit dem traditionellen Jugendsinfonieorchester, das die beneidenswerte sinfonische oder notwendige Band-Besetzung zustande bringt, weil Schule, Musikschule, Musikhochschule, Musikvereine und andere Einrichtungen organisatorisch und pädagogisch vernünftig zusammenwirken. Die Mehrzahl der musikalischen Aktivitäten basiert auf schuleigenen Initiativen. Und „zwischen Bach und heute“ liegt eine große Spannbreite, die einfallsreiche Schulmusiker in allen möglichen Formationen auszufüllen verstehen. Besonders begünstigt, wenn musikalische Arbeitsgemeinschaften in den Vormittagsunterricht integriert sein können (Beispiel Hannover), wenn kostenloser Gruppenwahlunterricht, schulische Leihinstrumente und mehrtägige Probenphasen noch bessere Voraussetzungen schaffen (Beispiel bayerische Gymnasien, hier Ernestinum Coburg, Musikgymnasium Peter Altmeier Montabaur). Frappierend erweisen sich jene quasi Modell-Fälle, in denen es nicht in erster Linie um künstlerische Höhepunkte geht, sondern bei denen es ein Musiklehrer durch verständnisvolles Miteinander mit seinen Kollegen schafft, die ganze Schule musikalisch, spielerisch, tänzerisch, bildnerisch, technisch mit (Musiktheater-)Leben zu erfüllen, dabei Solisten und Ensembles Aufgaben zu stellen und damit ganze Musicals und Singspiele zur Aufführung zu bringen. Wie sehr Phantasie, Initiative und idealistischer Einsatz des Musiklehrers gefragt sind, um ebenfalls packende Musikerlebnisse vermitteln zu können, auch ohne daß unbedingt perfekteste technische oder künstlerische Ausstattung vorhanden sind, macht „Grenzenlos“, eine Schulband und Popchor einer Grund- und Hauptschule in der Nordeifel (Jünkerath) deutlich. Ihre Bandbreite reicht von Gospel bis Kabarett, von Swing bis Rock und Rap. Der Schulmusiker wird gezielt für sein Ensemble kreativ, als Arrangeur, Komponist und Kopist. Bei all dem erscheint es unwichtig, ob und was dazu die Lehrpläne sagen. Solch interdisziplinäres Lernen und Praktizieren bringt das Fach Musik aus der oft beschworenen Isoliert- und Sonderheit, aus ihrem elitären Ruf. Wie gerade Chorarbeit mit unterschiedlichsten Muttersprachen aussehen kann, zeigte der Chor der Gesamtschule aus Offenbach oder der der Deutschen Schule Istanbul. So ist interkulturelles Lernen, wenn man in die 1100 Gesichter von „Schulen musizieren“ 1997 schaut, längst täglicher Umgang und Auftrag des Schulmusikers, der ihm für sein Handeln Toleranz und Phantasie, Anpassung und Spontaneität abverlangt, - Fähigkeiten, die jedoch in keinem Hochschulausbildungskonzept geprüft werden. Wie überzeugend der Schulmusiker zugleich seine Rolle als Therapeut ausüben kann, gehört zu den eindrucksvollsten und bewegenden Momenten dieser Lübecker Präsentation: das vitale Ergebnis der Instrumentalarbeit an der Körperbehinderten-Förderschule aus Hamburg oder die Hingabe der geistig Behinderten an ihr Singen, Spielen und Bewegen im Klassenverband (Schule Wilhelmshöhe Lübeck). Umgekehrt, in nahezu professionelle Auseinandersetzung mit aktuellsten Erscheinungen zwischen Noise Music und Neuer Musik begeben sich da und dort Arbeitsgemeinschaften oder freie Schülerinitiativen, die auf fachgerechte Betreuung angewiesen sind. Die Reutlinger Gruppe „Musik Experimentell - musique expérimentale“ lieferte zur Eröffnung mit zwei originellen Beiträgen (Dieter Schnebel und Mathias Spahlinger) den Beweis, was durch schulübergreifende Kontakte (mit Rundfunk, Hochschule, Festival etc.) zustande kommen und befruchtend wirken kann. Dem Musizieren all dieser Gruppen auf dem Lübecker Marktplatz, in Travemünde und als Gast in Lübecks Schulen folgte ein zusammenfassendes Gruppenkonzert in Lübecks Kongreßhalle. Es endete, zum Schrecken mancher Schulmusiker- und Gästeohren in einem ohrenbetäubenden Happening. Die Gesamtschul-Rock-Band, Bremens bester und offizieller Schulmusikbeitrag, animierte einige hundert Teenies, sie stürmten von den Rängen und aus den letzten Saalreihen, grölten mit erhobenen Armen mit, tanzten und rockten in Richtung Bühne... Der Veranstalter gewährte Musik live und spontan, das Restpublikum flüchtete. Einer musikalischen wie kulturpolitischen Apotheose glich das Finale in Lübeck: Die Deutsche Schule Istanbul mit ihrem Chor und ihrem Tanzensemble sowie in Partnerschaft mit dem Jugendsinfonieorchester St. Georgen zeigten mit ihrer szenischen Aufführung von Honeggers „König David“ was an musikalischer und menschlicher Begegnung durch Initiative und Einsatz, durch fachliche und organisatorische Investition und dank der Fähigkeit, junge Menschen zu musikalischer Aktivität zu begeistern, machbar wird. Hier stimmte des Bundeskanzlers Wort und Wunsch „Musik verbindet“, baut Vorbehalte ab, übt Toleranz... Während in Lübeck die angezündete Kirche verglühte, versuchte „Schulen musizieren 1997“ nicht, für eines von vielen Schulfächern den Stundenplananteil zu verteidigen, sondern dafür zu demonstrieren, Musik für alle zu bewahren, Musik als Medium der Toleranz, der Gemeinsamkeit und der Lebensbewältigung zu vermitteln. Deshalb sollen Schulen nicht nur alle zwei Jahre als Beispielfestival einiger Vorzeigeensembles musizieren.

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