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Der politische Mensch besucht ein Festival

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Salzburgs Festspiele stellen sich der kulturellen Herausforderung
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Festspielzeit, Reisezeit. Blühende Landschaften, mittelalterliche Stadtprospekte, barocke Schlösser, Innenhöfe, Renaissance-Palais, Sternenhimmel, Mondsichel und Mozart, Musik und Menue. Warum ist es am Rhein so schön? Am Main und an der Donau? Und an der Salzach, an dieser vor allem? Salzburg, die Mozartstadt. Vorlage für unzählige Kulturfilme. Sehnsuchtsort bürgerlichen Kunstverlangens. Philharmonischer Wohlklang, Mozartensemble, Verklärung, Karajan. Auch Böhm, Bernstein, Furtwängler, Kleiber. Alle schon gestorben. Was soll’s. Die Erinnerung ist übermächtig. Oder nur Einbildung? Auch Salzburg und seine Festspiele leben mit ihrer Vergangenheit. Das braucht nichts Nachteiliges zu sein, wenn darüber der Blick in die Zukunft nicht verlorengeht. Die Salzburger Festspiele haben bei aller Vorliebe fürs Kulinarische, fürs Schöne und Bequeme die Gegenwart nie ganz aus den Augen verloren, auch - und gerade - bei Herbert von Karajan nicht. Das wird manchmal gern vergessen. Seit der Belgier Gerard Mortier und der Wiener Hans Landesmann die künstlerische Gestaltung der Festspiele übernommen haben, ist die Einbindung der Moderne zur Selbstverständlichkeit geworden. Dabei gilt es, mit einigen Mißverständnissen aufzuräumen. Modern heißt nicht: Uraufführungen um jeden Preis. Die Alibifunktion der oft am Rande plazierten Novität hat ausgedient. Modern bedeutet vielmehr eine Haltung, ein Bewußtsein: Die Kunst, die Musik, das Theater werden nur überleben, wenn die innovative Kraft sich unablässig erneuert. Das kann auf mannigfache Weise geschehen, schöpferisch und nachschöpferisch, durch neue Werke oder durch neue Interpretationen bekannter Stücke. Die Salzburger Festspiele haben in den vergangenen fünf Jahren in dieser Hinsicht Vorbildhaftes geleistet. Erinnert sei nur an die geniale szenische Vision, die Peter Sellars für Messiaens „Franziskus“-Oper fand, an Chéreaus scheinbar spielerisch leichte, dabei in Wirklichkeit ungeheuer harte, ja grausame Sicht auf Mozarts „Don Giovanni“ oder an Peter Mussbachs ingeniöse „Lulu“-Darstellung. Das waren Opern-Interpretationen auf einem hohen, gegenwärtigen Bewußtseinsstand. Wer das umfangreiche Programm für die Festspiele 1997 liest, erkennt unschwer, worauf das Festspielkonzept abzielt: Auf die selbstverständliche Integration der Kunst unseres Jahrhunderts. Das „Zeitfluß“-Festival, eine Initiative des Pianisten Markus Hinterhäuser und des Sängers Thomas Zierhofer, alle zwei Jahre veranstaltet, ist zu einem festen Bestandteil der Festspiele geworden. Am Ende des Jahrhunderts scheint es an der Zeit, das künstlerische Fazit zu ziehen: Scelsi und Nono, Cage und Kurtág, Feldman und Holliger, aber auch George Lopez, John Zorn, Peter Greenaway, Beckett und Galina Ustvolskaya werden als Zeitzeugen für das „Endspiel“ - so der Titel des Festivals 1997 - aufgerufen. Das Wunderbare an dem „Zeitfluß“-Festival, das Salzburg jene denkwürdige Aufführung von Nonos „Prometeo“ in der Kollegienkirche bescherte, ist, daß die Impulse immer stärker auch auf die Programmierung der Festspielkonzerte ausstrahlen. Matthias Pintscher und Karlheinz Essl sind zwei Komponistenporträts in der „Next Generation“-Reihe reserviert, Gidon Kremer konfrontiert Schubert mit Schnittke, Vasks, Tüür, Pärt, Kurtág, Kantscheli, Gubaidulina und Piazzolla, Abbado „kreist“ Schubert mit Brahms, Reger und Webern ein, Kent Nagano Matthias Pintscher mit Messiaen und Debussy. Und in der Oper wartet man mit Spannung auf Ligetis neue Fassung des „Grand Macabre“, die Peter Sellars inszeniert und Esa-Pekka Salonen dirigiert. Daß dabei neben den Wiederaufnahmen oder Übernahmen von Wernickes grandiosem „Boris Godunow“, von Robert Wilsons „Pelléas et Mélisande“ und Peter Steins Osterfestspiel-“Wozzeck“ auch der Salzburger Herzens-Mittelpunkt Mozart nicht vernachlässigt wird, erhellt allein aus der Tatsache, daß in diesem Festspielsommer gleich fünf Opern Mozarts im Spielplan erscheinen, drei Opere serie und die beiden „deutschen“ Opern, die „Entführung aus dem Serail“ und die „Zauberflöte“, die „Entführung“ inszeniert von dem palästinensischen Regisseur Francois Abu Salem, dessen Sicht auf den konfliktreichen Stoff spannend sein dürfte. Mit der Verpflichtung gerade dieses Künstlers demonstrieren die Salzburger Festspiele ihren politischen Anspruch. Wie sieht ein Regisseur aus einem Land, das wie kein anderes gegenwärtiges von politischen Spannungen zerrissen wird, ein Werk, das im Ambiente dieser „Welt“ zweihundert Jahre früher eine scheinbar märchenhafte Geschichte erzählt? Wie gelangt ein „Fremder“ mit Mozart in die politische Gegenwart? Welche Korrespondenzen ergeben sich in dieser Auseinandersetzung womöglich mit avancierten Interpretationen der „Entführung“ von europäischen Regisseuren, etwa einer Ruth Berghaus, deren Frankfurter Inszenierung für Michael Gielen an Radikalität bis heute kaum übertroffen worden ist? Der Festspielgedanke, der in dieser Zeit bei inflationärer Ausbreitung vorwiegend zum „event“ degeneriert, bedarf dringend der Konzentration. Das Festliche wird dabei durch Nachdenklichkeit nicht ausgeschlossen, eher überhöht. Die Salzburger Festspiele haben in den vergangenen Jahren, den Konflikt mit einer aufs Kulinarische und Repräsentative erpichten traditionellen Klientel nicht scheuend, eine Vorbildrolle übernommen, was umso gravierender erscheint, als die zunehmende Nivellierung des kulturellen Anspruchs allerorten am ehesten noch zu bremsen sein dürfte, wenn eine repräsentative Institution wie Salzburg durch konkludentes Handeln das Plädoyer für einen sinnvollen Umgang mit der Kunst führt: Kunst als integraler Bestandteil des Lebens, der nicht beliebig auswechselbar ist, der sich unablässig weiterentwickelt und fortschreibt zu der unendlichen Geschichte menschlicher Existenz.

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