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Vom Schmuckkästchen zum Sorgenkind: Dunkle Wolken sind über der Essener Philharmonie aufgezogen. Foto: Frank Vinken/Philharmonie Essen
Vom Schmuckkästchen zum Sorgenkind: Dunkle Wolken sind über der Essener Philharmonie aufgezogen. Foto: Frank Vinken/Philharmonie Essen
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In der Schockstarre

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Essen nach der Entlassung des Philharmonie-Intendanten
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Tief, sehr tief ist der Brunnen, in den dieses Kind gefallen ist. Genau genommen nicht nur eins. Unten liegen ein erfolgreicher Konzerthaus-Intendant, fristlos entlassen vom Aufsichtsrat der Theater und Philharmonie Essen GmbH. Zugleich liegt mit dessen Demontage auch das Image einer Stadt darnieder, die sich gerade zur Kulturhauptstadt Europas, zu „Ruhr.2010“ rüstet. Dabei geht es zwar um mehr als um die Region, doch ist Essen eben nicht weniger als Initiator und Gesellschafter. Stolz vermeldet ein jetzt vorgestelltes „Buch eins“ zu einer „Metropole, die es noch nicht gibt“, den Jury-Beschluss der Europäischen Union: „Essen für das Ruhrgebiet.“

Und jetzt das! Dabei hatten sich die Absender einer beispiellosen Kündigung diese Maßnahme wahrscheinlich als chirurgischen Eingriff gedacht: Spitze austauschen, Mannschaft weiterspielen lassen. Nur, dass die Realität dann irgendwie doch nicht mitgespielt hat. Gezündet hat man nämlich eine Bombe, deren schmutziger Fall-out mittlerweile flächendeckend abregnet. Schwer zu sagen, was da nicht kontaminiert ist: Ein Kurt Masur verkündet den Philharmonie-Boykott, aus der Landeshauptstadt poltert Kulturstaatssekretär Große-Brockhoff, Freunde und Sponsoren sind konsterniert, das Presseecho verheerend. Essen mitten im Herbst.

Und längst wird mehr verhandelt als eine causa Kaufmann. Da stehen, wie im richtigen Theater, die Ankläger plötzlich selbst im Rampenlicht, was sich an überhitzten Statements eines Oberbürgermeisters und Nachtretereien in Richtung des geschassten Intendanten („intellektuelle Arroganz“), wahlweise auch an den Gesichtszügen von Oliver Scheytt ablesen lässt. Wobei: Letzterer müsste sich eigentlich freuen, hat er doch als Geschäftsführer von „Ruhr.2010“ gemeinsam mit Fritz Pleitgen soeben das Kulturhauptstadt-Programm, die „Portale und Areale der Metropole Ruhr“, vorgestellt. Doch will besagte Freude so richtig nicht aufkommen, was vor allem damit zu tun hat, dass Oliver Scheytt zugleich Essens Kulturdezernent ist. In dieser Funktion hat er, sekundiert von Berger Bergmann, dem neuen Geschäftsführer der Theater und Philharmonie Essen GmbH, die Kaufmann-Entlassung vorangetrieben. Bergmann seinerseits ist angesichts des einsetzenden Trümmerregens erst einmal auf Tauchstation gegangen. „Zur Zeit keine Interviews!“, lässt er durch seine Pressesprecherin wissen. Schade. Aufzuklären bliebe insbesondere, weshalb Bergmanns Vorgänger im Amt, Otmar Herren, entlastet, der Philharmonie-Intendant ein paar Wochen später hingegen entlassen wird. Noch so eine Ungereimtheit eines an Merkwürdigkeiten reich gesegneten Falles. Da wirkt Oliver Scheytt, von den regionalen Medien als „starker Macher der Kulturhauptstadt“ (WAZ) gefeiert, vergleichsweise hilflos, nutzt Interviews, um Vorwürfe zu erneuern (siehe unten). Dabei ist der Casus Kaufmann in seiner ganzen Verwickeltheit nun doch längst soweit fortgeschritten, dass ohne wechselseitige Einigkeit über das Verfahren, wie die inkriminierten „Defizite“, „Budget-Verletzungen“ zu klären sind, kein Weiterkommen scheint. Dabei hat ausgerechnet der gebeutelte Kulturdezernent das Problem durchaus im Fokus: „Das Hauptproblem dieses Falles besteht in der Kommuni­kation.“ Wohl wahr.

Nur, dass sich Oliver Scheytt selbst einstweilen noch auf Listen stützt. Aus denen gehe zweifelsfrei hervor, seit wann und wie lang der Aufsichtsrat „Herrn Kaufmann“ in Sachen Defizit, Überschreitung virulenter Etatposten wie Werbemaßnahmen, Repräsentationskosten, ins Gespräch genommen habe. Alles vergeblich. Der Rauswurf sei die ultimatio ratio gewesen.
Wo genau die Ratio dieser Maßnahme liegen soll, vermag Marianne Kaimer nicht zu erkennen. Als Kuratoriums-Vorsitzende des Freundeskreises Theater und Philharmonie Essen steht sie rund 1.200 Mitgliedern vor, die (allen Unkenrufen zum Trotz) ein höchst lebendiges bürgerliches Essener Kulturpublikum repräsentieren. Als mittelständische Unternehmerin weiß Marianne Kaimer, wovon sie redet. Wenn es nicht „rund“ läuft im Betrieb, muss intern nachgefragt, nachgebessert werden. Intern. Eine Frage der Führungsqualität sei das. Alles andere sei, wie in Sachen Kaufmann geschehen, „unprofessionell“, womit die resolute Unternehmerin keinesfalls der Laxheit in Geld- und Budgetfragen das Wort geredet haben wolle. In diesem Fall müsse „Transparenz“ her.

Transparenz – das ist auch das Stichwort für Matthias Mitscherlich, ebenfalls Unternehmer und ebenfalls (auf anderer Ebene, mit anderen Dimensionen) engagiert in Sachen Kultur. Eigentlich, bekennt der hochgewachsene MAN-Ferrostaal-Vorstands­vorsitzende, hätte er Anderes zu tun als sich im Namen des von ihm initiierten Kuratoriums Philharmonie Essen ein um das andere Mal zum „Ansehensverlust“ der Stadt zu äußern und dazu, was man dagegen tun könne (siehe Seite 14). Wenn er dann doch darüber spricht, spricht Matthias Mitscherlich gern von den Intentionen „der Wirtschaft“. Gemeint sind sieben Essener Großunternehmen wie EON, Thyssen-Krupp oder auch Berthold Beitz in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der für Essen hochbedeutsamen Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Mit anderen Worten: Großsponsoren.

Deren Sympathie für die Philharmonie Essen verdankt sich, worüber Mitscherlich keine Zweifel lässt, der erstklassigen Arbeit in der Vergangenheit. Vergleichspunkt: Klavierfestival Ruhr! Keine Frage: Seitens „der Wirtschaft“ schätzt man Format, Weltläufigkeit, Niveau. Dafür sei man bereit, sich auch in Zukunft zu engagieren. Allerdings nur dann, so Mitscherlich, wenn die Zahlen, von unabhängigen Wirtschaftsprüfern geklärt, auf dem Tisch lägen. Und was die Zukunft angeht, schlage man vor, die Philharmonie aus der „komplexen“ Struktur der Theater und Philharmonie Essen GmbH herauszulösen – mit allen Chancen und Risiken, die eine solche „Teilprivatisierung“ mit sich führe. Alles, so der Kuratoriums-Vorsitzende Philharmonie Essen, ließe sich klären. Man müsse nur wollen. Und überhaupt (da eilt er schon wieder zum nächsten Termin) habe er auch in Sibirien, wo er demnächst geschäftlich unterwegs sei, sein Handy dabei ... Man sieht: Unweigerlich geht es auch an dieser Front in eine nächste Runde, so dass an Nachrichten in den kommenden Wochen insgesamt kein Mangel herrschen dürfte. Da wäre die Klage des ehemaligen Intendanten gegen seine fristlose Kündigung und da wäre das parallel durchgezogene Intendanten-Findungsverfahren. Mannigfach Gelegenheiten, wieder viel übereinander zu sprechen, Presse­erklärungen abzufassen, Statements zu liefern. Futter, für das sich immer Abnehmer finden. Nur, dass der neue Herbst doch recht eigentlich jenes „Metropolen“-Bewusstein erfordert, von dem jetzt viel die Rede ist. Näheres nachlesbar in „Buch eins“ zu „Ruhr.2010“, wo es heißt: „Sympathisch, rau, innovativ, unverwechselbar.“ Schön wär’s.

Interview mit Oliver Scheytt

Kulturdezernent der Stadt Essen

neue musikzeitung: Fristlose Entlassung des Philharmonie-Intendanten: War das wirklich nötig?
Oliver Scheytt: Der Geschäftsführer der Theater und Philharmonie Essen GmbH und auch der Aufsichtsrat haben verlangt, seit einem Jahr, dass Herr Kaufmann das Defizit von über 750.000 Euro teilweise zurückführt. Tatsächlich ist aber der Etat nach jetzigen Erkenntnissen erneut um rund 800.000 Euro über­schritten worden. Herr Kaufmann hat sich geweigert, Einsparungen vorzunehmen, und es gibt viele weitere Vorgänge, die dann dazu geführt haben, dass wir sagen mussten: Das Vertrauensverhältnis ist zerrüttet, und wir können uns von Herrn Kaufmann nur noch trennen.
nmz: Das Tischtuch also zerschnitten …

Scheytt: Aufgrund des Verhaltens von Herrn Kaufmann sind auch die Balletttänzer, die Orchestermusiker, die Schauspieler, die Opernsänger betroffen, denn wir können die Tarifsteigerungen für alle 700 Mitarbeiter der Theater und Philhar­monie GmbH zurzeit nicht komplett bezahlen.

nmz: Blicken wir nach vorn. Unter der Intendanz von Michael Kaufmann sind wichtige Projekte angestoßen worden. Beispielsweise das Netzwerk Neue Musik ...
Scheytt: Selbstverständlich sind wir in diesem langfristigen Projekt drin und bleiben auch drin und es wird weitergeführt, denn die Neue Musik ist das, wo der öffentliche Kultur­auftrag tatsächlich auch erfüllt wird. Und insofern freue ich mich sehr, dass Herr Kauf­mann diesen Schwerpunkt auch so aufgebaut hat.
Das Programmprofil insgesamt ist in seiner Grundstruktur von Herrn Kaufmann hervorragend entwickelt und es soll auch weitergeführt worden.

nmz: Mit wem?
Scheytt: Der neue Intendant respektive die neue Intendantin wird sicherlich auch seine/ihre eigenen Akzente setzen, aber im Grundsatz ist das das Profil, was wir auch in die Kulturhauptstadt hineintragen möchten. 

Interview mit Matthias Mitscherlich

Vorstandsvorsitzender MAN Ferrostaal, Vorsitzender Kuratorium Philharmonie Essen

neue musikzeitung: Verbinden Sie weitere Sponsorentätigkeit mit der Forderung nach der Rückkehr von Michael Kaufmann?
Matthias Mitscherlich: Die Aufforderung ist schlicht, dass wir als Sponsoren wissen wollen, dass wir auch eine Institution fördern, in der das Finanzgebahren auf ordnungsgemäßen Grundsätzen ruht.

nmz: Wie wären die Vorwürfe der Budget-Verletzungen denn zu klären?
Mitscherlich: Es existieren sehr starke Indikatoren, dass es Quersubventionen zu Lasten der Philharmonie gegeben hat, dass Einnahmen, die eigentlich der Philharmonie zustehen, ihr nicht zugeschrieben wurden. Nur: Das muss ein Wirtschaftsprüfer prüfen. Ohne die Klarheit über die Zahlen – darüber muss man sich ganz klar sein – wird es kein Sponsoring mehr geben. Jedenfalls nicht von den Mitgliedern des Kuratoriums. Das beinhalten schon die Grundsätze der guten Unternehmensführung.

nmz: Sie haben ein neues Modell für die Philharmonie vorgeschlagen?
Mitscherlich: Ja, eines, das relativ simpel ist: Die Stadt sollte die Gebäudestrukturen nach wie vor tragen und das, was direkt damit verbunden ist, sowie 3,5 Millionen Euro für den Kulturbetrieb wie bisher. Die Wirtschaft und die Stiftungen würden sich verpflichten, das, was über dieses Budget der Stadt hinausgeht, zu tragen. Das heißt,  die Stadt muss nicht mehr die Angst haben, dass sie ein Defizit im Kulturbetrieb hat.

nmz: Das wäre eine Privatisierung des Kulturbetriebes?
Mitscherlich: Eine Teilprivatisierung, aber das haben Sie ja in vielen anderen Bereichen auch: PPP, Public Private Partnership. Wir glauben, dass wenn man eine solche Gesellschaft mehr nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichtet, man auch wesentlich besseres Marketing machen kann. Auch die Krupp-Stiftung im Kuratorium, die eine ganz bedeutende Rolle in Essen spielt, würde das mittragen. Und so haben wir das auch der Stadt vorgeschlagen.

nmz: In Krisenzeiten bewährt sich immer der runde Tisch. Auch hier ein Modell?
Mitscherlich: Klar!

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