Umso erstaunlicher ist es, wie wenig Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit und von der Politik der Debatte um MP3 gewidmet wird. Es scheint, als ob – ebenso wie in der Gentechnologie – in punkto Digitalisierung das Prinzip Vogel Strauß regiert: Anstelle sich der Herausforderung zu stellen, versucht man, den gewohnten Gang der Dinge zu simulieren, indem man das Thema durch Desinteresse und Abwendung straft. Wenn die Öffentlichkeit aus Angst vor Neuem und vor Veränderung ihre Nase nicht in digitale Dinge stecken möchte, tut es jemand anderes. Und dieser Jemand ist im Augenblick heftig zugange.
Die Divergenz könnte größer nicht sein. MP3 ist weit mehr als einfach ein Komprimierungsverfahren für Musik. Es statuiert ein Exempel, wie mit digitalem kulturellen Eigentum in der Zukunft der Netze umgegangen wird. Denn sicher ist: Schon bald werden wir, mit noch mehr Bandbreite und noch besseren Komprimierungsverfahren ausgestattet, alle digitalisierbaren kulturellen Formate durch Netze jagen. Die Vernetzung der Kultur, die Vernetzung aller digitalisierbaren Information findet deshalb im Rahmen der Entscheidungen um MP3 ihren Anfang. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit und von der Politik der Debatte um MP3 gewidmet wird. Es scheint, als ob – ebenso wie in der Gentechnologie – in punkto Digitalisierung das Prinzip Vogel Strauß regiert: Anstelle sich der Herausforderung zu stellen, versucht man, den gewohnten Gang der Dinge zu simulieren, indem man das Thema durch Desinteresse und Abwendung straft. Wenn die Öffentlichkeit aus Angst vor Neuem und vor Veränderung ihre Nase nicht in digitale Dinge stecken möchte, tut es jemand anderes. Und dieser Jemand ist im Augenblick heftig zugange. Die Musikindustrie hat sich zusammengeschlossen, um das Desinteresse auszunutzen und das Vakuum für sich zu besetzen. Sie ist als stärkste Lobby bei der EU-Gesetzgebung ebenso tätig, wie sie Großkampagnen à la „Copy kills Music!“ lanciert, deren schiefe Logik ohne großes öffentliches Echo hingenommen wird. Nicht zuletzt deshalb war die Wiener Tagung „Reales Musikschaffen für einen virtuellen Markt“ trotz des zugegebenermaßen wenig anziehenden Titels etwas Besonderes. Denn das Mica – Music Informations Center Austria – hat es sich unter der neuen Leitung von Peter Rantasa zur Aufgabe gemacht, die kulturelle Umformatierung von Musik aufmerksam und kritisch zu begleiten. Um die wenig beachteten, aber immensen „Wechselbeziehungen von Musik, Technologie, Wirtschaft und Urheberrecht“ zu beleuchten, hatte man aus den verschiedensten Feldern Fachleute eingeladen.Die Tagung „Micafocus 1“ begann mit Einführungen in das Thema. Richard Pettauer (MP3-Redaktion Libro Online) fasste die Blitzkarriere von MP3 zusammen. Friedemann Kawohl, Musikwissenschaftler aus Köln, lieferte anschließend die kulturhistorischen Hintergründe der Urheberrechts-Debatte, die MP3 ausgelöst hat. Kawohl wies auf die verschiedenen Entwürfe hin, die das Urheberrecht im Laufe der Zeit angenommen hat. Abhängig vom jeweiligen Modell von „Musik“ – die als Empfindung, dann als Idee und schließlich als Noten imaginiert wurde und sich heute ebenso als Klang verstehen lässt wie als etwas, das erst in der Rezeption entsteht – gestaltet sich die jeweilige Vorstellung der Urheber von Musik und ihrer Rechte. Den geschichtlichen Vortrag kontrastierte Sascha Kösch (DEBUG – Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte) mit einem Ausblick über die verschiedenen Netze und Netzzugänge, die bei digitaler Musik ins Spiel kommen. Denn seitdem Programme wie Napster oder Gnutella nicht Websites, sondern direkt Festplatten der Programm-Teilnehmer nach Musik durchsuchen, ist die angedrohte Maßnahme der Musikindustrievereinigung IFPI wirkungslos. Bei der Verabschiedung von Gesetzesrichtlinien in der EU spielen solche Erwägungen jedoch noch keine Rolle. Dr. Magarethe Mazura vom European Multimedia Forum in Brüssel stellte exemplarisch am Urheberrecht die dortigen Überlegungen und den Prozess der Verabschiedung von EU-Richtlinien vor. Hier war vor allem spannend, welche Möglichkeiten des Lobbying bestehen, wie sich kleinere Interessengruppen zusammenschließen können und wann wo Einfluss gewonnen werden kann. Den Abschluss des ersten Tages machte dann Bernd Edler von der Technischen Universität Hannover, der die technische Seite des Audio Codings vorstellte, das heißt die verschiedenen Qualitäten komprimierter Musik von CD bis zu MP3 als auch die der verschiedenen Audio-Encoder-Player wie Winamp oder RealPlayer vorstellte, sowie Igor Brusic von der Technischen Universität Wien, der einen Ausblick auf zukünftige Kommunikationsnetze wie das Breitbandverfahren UMTS für Handys warf. Ab 2003, wenn dieses Funknetz-Verfahren in Deutschland eingeführt werden wird, wird das Konsumieren von Musik über Handys und digitale Organizer wahrscheinlich.
Ökonomische Entwürfe
Der zweite Tag des „Micafocus“ war zunächst der ökonomischen Seite der Musik gewidmet. Peter Tschuck von der Wiener Wirtschaftsuniversität wägte die Ökonomie des Internets als frei zugängliches, öffentliches Gut gegenüber der geschlossenen Musikwirtschaft ab und stellte zwei Mögliche Szenarien um MP3 vor: einerseits die Durchsetzung eines Industriestandards MP3 mit digitalem Wasserzeichen, durch den die Distribution von Musik wieder fest in die Hand der vier Major-Firmen Universal, Warner EMI Music, BMG und Sony gelangt. Bereits jetzt teilen sich diese Firmen 80 Prozent des Umsatzes aller veröffentlichten Tonträger, verwalten schätzungsweise dabei jedoch nur zirka 20 Prozent des musikalischen Angebots. Das zweite, gegensätzliche Szenario entwarf die Durchsetzung der bisherigen Nutzung des Netzes als öffentliches Gut, auf dessen Information man frei zugänglich zurückgreifen kann. Hier würde auf das Copyright verzichtet, denn Künstler vermarkten sich selbst direkt über das Internet ohne Verwertungsgesellschaften. Zu rechnen wäre dann damit, so Tschuck, dass der freie Zugriff auf Musik die Nachfrage überproportional steigert und so der Großteil der Musiker – bis auf die Stars – ebensoviel Geld wie bisher einnehmen wird. Außerdem könne man voraussehen, dass das Musikangebot steigt und sich vervielfältigt. Auch Martin Kretschmar von der Bournemouth University wies darauf hin, dass Künstler nicht unbedingt vom Copyright leben können, denn wie eine Studie in Großbritannien gezeigt hat, bekommen zehn Prozent der Komponisten 90 Prozent der Tantiemen.
Das Recht des Stärkeren?
Professor Thomas Dreier, der durch seine Tätigkeiten am Institut für Rechtswissenschaft der Fakultät für Informatik (Universität Karlsruhe) und am Münchner Max-Planck-Institut für nationales und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht an Fachkompetenz wohl auf diesem Gebiet nur schwer zu übertreffen ist, berichtete, dass prinzipiell deutliche Divergenzen darüber bestehen, was für einen digitalen Urheberrechtsschutz notwendig und angemessen ist. Hier treffen Nutzerinteressen auf jene der bisherigen Rechteinhaber (Verwertungsgesellschaften), sowie auf die der Internet-Provider, die ihr Risiko kalkulierbar wissen wollen, aber auch auf den gewohnten, frei zugänglichen Informationsraum „Internet“. Professor Lawrence Lessig von der Harvard Law School gewichtete vor allem diesen als ein „Entkommen aus dem finsteren Mittelalter der Siebziger“, in dem nur wenige Möglichkeiten hatten, ökonomische und kulturelle Innovationen in die Öffentlichkeit zu bringen. Kultur, so Lessig, sollte nicht von „Hollywood“ zentralisiert werden, sondern die Möglichkeit des dezentralen Internets nutzen und in allen möglichen Diversifikationen sichtbar sein können. Lessig schlug hier als Blueprint für den kulturellen Produktionsprozess das dezentrale Programmieren von Open Source Software vor, aus dem in den letzten Jahren das Betriebssystem Linux hervorgegangen ist, dessen Nutzung heutzutage selbst von den Behörden der Bundesregierung in Erwägung gezogen wird. Harald Wosihnoj vom Verein Quintessenz Wien und Volker Grassmuck vom Verein Mikro Berlin vertieften im Anschluss daran die Diskussion um Open Source. Abschließend kommentierte der Publizist Oliver Marchardt die Tagung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Tagung im Mica nicht nur ein Erfolg gewesen ist, weil Moderator Bernhard Günther zwei Tage lang zwischen den einzelnen Fachleuten vermittelte. Vor allem ist das Mica zu loben, weil bereits im Vorfeld daran gearbeitet wurde, gegensätzliche Positionen nicht einfach aufeinander prallen zu lassen, sondern Wert auf einen konstruktiven Austausch gelegt wurde, der das Spektrum des Umgangs mit Musik im Netz beleuchtete. Die Ergebnisse dieses erfolgreichen „Micafocus“ können auf der Website des Mica unter www.mica.at weiter genutzt werden. Dort ist jeder Vortrag als Audioformat und in Textform abrufbar. Frei zugänglich – natürlich.