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Lydia Grün. Foto: njo
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Die Musikvermittlung ist erwachsen geworden

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Von Teilhabe und Teilgabe: Lydia Grün zu zehn Jahre netzwerk junge ohren
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Seit fünf Jahren ist Lydia Grün als Geschäftsführerin des netzwerk junge ohren (njo) im Amt. Und diesen September feiert der Verein sein zehnjähriges Bestehen. Andreas Kolb traf sich mit der Musikmanagerin und Professorin zum Gespräch.

neue musikzeitung: Nach fünf Jahren Geschäftsführung ist Ihr Name fest mit dem netzwerk junge ohren verbunden. Wie sieht Ihr persönliches Resümee aus?

Lydia Grün: Die Musikvermittlung ist in dieser Zeit erwachsen geworden. Es gibt fast keine Häuser, keine Musikinitiativen oder Institutionen mehr, die sich mit dem Thema Vermittlung – oder größer gefasst mit Teilhabe – nicht professionell beschäftigen. Wir haben inzwischen einen etablierten Berufsstand der Musikvermittler, der ständig nach neuem Wissen dürstet, Erfahrung generiert und nach professionellen Beschäftigungsformen verlangt. Diese Themen bilden sich im netzwerk junge ohren natürlich ab. Ich muss aber gleichzeitig sagen, dass wir froh sind, dass es uns noch gibt. Zehn Jahre mit Projektförderung zu überleben, ist ein Kunststück und ein ständiger Dauerlauf. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir die Kraft haben, ein lebendiger Impulsgeber zu bleiben.

nmz: Wie hat sich denn das Umfeld entwickelt für das Netzwerk? Wo wird die Vermittlungskraft entfaltet? Eher in der freien Szene? Oder sind Sie vor allem wichtiger Ansprechpartner für die Opern- und Konzerthäuser?

Grün: Die Musikvermittlung braucht beides. Wir brauchen die feste Verankerung an einem Haus, weil das für eine Institution oder für ein Orchester profilgebend ist. Auf der anderen Seite brauchen wir eine sehr rege freie Szene, die eben nicht nur neue Ideen schafft, sondern einfach auch einen Großteil der Musikvermittlung künstlerisch gestaltet.

Grundständig studieren

nmz: Man kann sagen, Musikvermittlung ist als Fach auch an den Musikhochschulen angekommen und die Szene hat sich professionalisiert. Würden Sie das so unterschreiben?

Grün: Das kann man so sagen. Aber da gibt es noch viel Luft nach oben.

nmz: Was heißt das?

Grün: Ich wünsche mir zweierlei: Das ist zum einen das Fach Musikvermittlung als grundständigen Studiengang an vielen Musikhochschulen in Deutschland. Es ist wichtig, dass wir mehr Musikvermittler professionell ausbilden und dass es auch hier einen Wettbewerb um die besten Ausbildungen gibt. Wenn wir über Musikvermittlung sprechen, dann sprechen wir über das große Thema Teilhabe mittels musikalischer Praxis. Das bedeutet für alle Beteiligten Veränderung: zum Beispiel im Selbstbild eines Künstlers oder einer Organisationsveränderung – etwa bei Orchestern. Dafür benötige ich sehr offene Musikerkollegen, was an vielen Orten auch schon der Fall ist. Ich wünsche mir, dass dies selbstverständlich wird – auch im Curriculum aller Hochschulen. Musikvermittlung und der Gedanke der Teilhabe muss Teil eines Studium Generale für jeden Musikstudierenden in Deutschland sein. Das erfordert natürlich ein Mittragen dieses Gedankens in der gesamten Professorenschaft, der Studierenden und durch die zuständigen Landesministerien. Professionelle Ausbildung in Musikvermittlung ist nicht das sich selbst finanzierende nette Add-On, sondern muss selbstverständlicher Teil der DNS der Musiker-Aus- und Weiterbildung in Deutschland sein.

nmz: Sie haben mit dem njo zwei wichtige Mittel entwickelt, um Qualitätsstandards bei der Musikvermittlung zu begleiten und auszuzeichnen: den Junge Ohren Preis und den „YEAH!“ (Young European Award). In den letzten Jahren wurden auch regionale Netzwerke aufgebaut – wie geht es weiter?

Grün: Der Junge Ohren Preis ist unsere erste Marke in der Betrachtung von Qualität. Da haben wir im letzten Jahr eine große Umstellung vorgenommen, die muss jetzt erstmal ihre Früchte tragen: Wir gehen weg von der Projektsicht hin zur Betrachtung von Kontinuität. Das bedeutet konkret, die Kategorien haben sich entscheidend geändert. Wir zeichnen Programme aus, nicht mehr einzelne Produktionen; Programme, die an einem Haus oder innerhalb einer Initiative, eines Ensembles schon länger leben, die sich ständig dort weiterentwickeln. Zum anderen möchten wir mit der Kategorie Exzellenz auf diejenigen den Scheinwerfer richten, die hinter all dem mit ihrer Kompetenz stehen, also die Vermittler selbst. Die regionalen Arbeitskreise greifen diese Themen auf. Sie sind unser Wissensspeicher. Deshalb werden wir sie in Zukunft weiter ausbauen.

nmz: Welche sind das?

Grün: Im Augenblick koordinieren wir fünf regionale Arbeitskreise. Der älteste ist der Arbeitskreis Berlin-Brandenburg, der bestand schon vor dem netzwerk junge ohren. Dann bildete sich 2013 der Arbeitskreis Nord-rhein-Westfalen. Der dritte Arbeitskreis war der Arbeitskreis Südwest, der Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Luxemburg umfasst und der vierte Arbeitskreis ist der AK Bayern-Österreich. Der fünfte, ganz neue Arbeitskreis ist der AK Südost mit Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Darüber hinaus verbindet uns mit der Schweiz über „Kulturvermittlung Schweiz“ und „Musikvermittlung Schweiz“ eine enge Kooperation. Eine vergleichbare Zusammenarbeit gibt es mit den Kollegen in Österreich. Wie Sie leicht sehen, liegen unsere Hausaufgaben in Zukunft mehr in Richtung Norden. Das nehmen wir jetzt in Angriff. Wir stellen fest, dass wir mit den Regionalarbeitskreisen nicht nur ein gutes Instrument für unsere Basis haben – sich untereinander kennenlernen, Vertrauen aufbauen, Produktionen austauschen, Erfahrungen teilen. Die Arbeitskreise sind für unsere Geschäftsstelle ein zentrales Werkzeug, um Wissen aus der Praxis zu bündeln und zu erfahren, was die zentralen Probleme und großen Themen an der Basis sind. Die regionalen Arbeitskreise tagen jeweils zweimal im Jahr und stimmen alles selbst demokratisch ab, vom Termin bis zum Thema.

nmz: Das internationale Gegenstück dazu ist der „YEAH!“ Award. Was haben Sie mit dem vor?

Grün: Auf der einen Seite versuchen wir Kontinuität zu gewährleisten, mit Qualifizierungsangeboten wie den Arbeitskreisen, und zum anderen hängt die Arbeit der Geschäftsstelle an einzelnen Projekten. Dafür werben wir jährlich entsprechend Geld ein, und das steht für den „YEAH!“ jetzt wieder neu an.

nmz: Seit Herbst 2015 hat das netzwerk junge ohren gewissermaßen einen „neuen Job“: Sie leiten die Koordinierungsstelle „Kultur öffnet Welten“. Zusammen mit dem Haus der Kulturen der Welt sorgen Sie dafür, dass diese Initiative der Kulturstaatsmi-nisterin wächst und gedeiht. Um was geht es und wo wird es hingehen?

Grün: Ob in Stadtteilzentren oder Theatern, in Großstädten oder auf dem Land, in Opern, Museen oder Bibliotheken: Bundesweit entstehen innovative Vorhaben, in denen sich Kulturschaffende für kulturelle Teilhabe engagieren. Die Initiative „Kultur öffnet Welten“ möchte diese Projekte und deren Beteiligte sichtbar machen. „Kultur öffnet Welten“ wird künftig im neuen Verbund von KIWIT (Kompetenzverbund Kulturelle Integration und Wissenstransfer) weitergeführt und gewinnt dadurch noch weitere, stärkere Kooperationspartner, wie die Bundesakademie für kulturelle Bildung, NeMO (Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen) und die Stiftung Genshagen.

nmz: Jetzt geht es ja nicht mehr nur um Musik, sondern um kulturelle Teilhabe, um Partizipation – wie stemmen Sie das mit Ihrem Büro?

Grün: Wir sind im Team derzeit sechs Mitarbeiterinnen – davon sind aber nur zwei in Vollzeit beschäftigt. Wir haben im Augenblick ein junges, spartenübergreifendes Team. Unsere Strukturen sind schlank, wir sind dadurch auch sehr schnell, aber ich wünsche mir auch hier – und das meine ich auch im Namen aller Kolleginnen, die hier fleißig arbeiten – für die Zukunft eine kontinuierliche, solide finanzielle Basis.

nmz: Für nachhaltige Arbeit braucht man auch die entsprechenden Strukturen, um das zu managen.

Grün: Richtig. Projektförderung hat immer den Charme des sportlichen Wettbewerbs und der ständigen inhaltlichen Beweglichkeit. Ich wünsche mir für die Zukunft aber auch, aus Fehlern lernen zu dürfen und nicht nur ständig Piloten am Fließband zu produzieren. Ein Beispiel: Die Arbeitskreise stemmen wir durch ehrenamtliche Arbeit im Verein. Deren Struktur würde ich nicht nur gerne bundesweit ausbauen, so dass sie wirklich allen Musikvermittlern zugutekommt. Deren Ergebnisse würde ich gerne auf unsere Projekte und noch stärker ins Netzwerk übertragen, so dass wir unsere Arbeit auch nachhaltig gestalten können. Das ist ein Schatz, den wir noch mehr heben können: Aus den Arbeitskreisen haben wir derzeit vor allem das Stichwort „ländlicher Raum“ mitgenommen. Dieses Thema finden Sie in all unseren Projekten als großes Thema wieder. Hier haben wir noch viel ungenutztes Potenzial.

Projektförderung im Zentrum

nmz: Wie stemmen Sie derzeit Ihre Finanzierung?

Grün: Wir haben einen Haushalt, der zu zehn Prozent aus Teilnehmer- und Mitgliedsbeiträgen besteht. Darauf sind wir ziemlich stolz. Die „restlichen“ 90 Prozent werben wir über Projektförderung ein, also jährliche Projektanträge. Es gibt bei uns derzeit drei Geschäftsbereiche. Das sind erstens die Projektbüros, also „Kultur öffnet Welten“ oder zum Beispiel auch KLANGRADAR BERLIN. Der zweite Bereich ist die Qualifizierung, der aktuell vor allem durch ehrenamtliche Arbeit gestemmt wird. Der dritte Bereich ist der Exzellenzbereich, jetzt aktuell mit dem JUNGE OHREN PREIS. Dazu kommt seit einem Jahr ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, mit dem wir etwa Beratungen und Ähnliches mit unserer Expertise in Musikvermittlung anbieten. 

nmz: Was sind denn Ihre Vorhaben in den nächsten Monaten und Jahren?

Grün: Unser großes Thema ist der „Ländliche Raum“, und weiterhin natürlich das Thema Teilhabe/Teilgabe als Moment der Demokratiestärkung. Ein Beispiel: Wie kann ein Orchester, ein Musiker, ein Ensemble, innerhalb seiner Stadt oder seines Ortes oder seiner Region dazu beitragen, dass wir alle gut und friedlich zusammenleben? Es geht um das Thema „Blick in die Nachbarschaft“. Für wen mache ich Musik? Mit wem mache ich zusammen Musik? Was entsteht da an neuen Formaten?
Drittens: Das Thema Digitalisierung haben wir in der Musikvermittlung noch vollkommen unzureichend auf der Agenda, das müssen wir dringend in Angriff nehmen. Und wir werden uns um die Vergütung und die Beschäftigungsverhältnisse in der Musikvermittlung kümmern. In der Kulturellen Bildung hat sich eine große Szene entwickelt, die oft ausschließlich aus Projektförderungen finanziert wird. Weil wir wissen, dass hier ein prekärer Markt entstanden ist, müssen wir über neue Beschäftigungsformen nachdenken und über deren Vergütung sprechen. Das sind unsere großen Themen beim netzwerk junge ohren.

Teilhabe und Teilgabe

Im Rahmen von „Kultur öffnet Welten!“ werden wir mit unserer Expertise aus den Vorjahren stärker in die Beratung von Institutionen innerhalb des Verbundes KIWIT eingebunden sein. Wir wollen hier unser Wissen teilen – zum Beispiel, wie Formen der Teilhabe und Teilgabe in konkrete Kulturarbeit implementiert werden können. Ich bin der festen Überzeugung, dass das, wofür das netzwerk junge ohren steht – Kulturelle Teilhabe, kollegialer Austausch und hohe Qualität von musikalischen Formaten –, positiv in unserer Gesellschaft wirkt. Netzwerk heißt für mich „Teilen lernen!“. Der Fokus für uns Kulturschaffende muss sich noch stärker als bisher auf Gemeinsamkeit und Kooperation richten.
Aber wir müssen mit dem, was wir vertreten, noch lauter werden. Wir brauchen starke, prägnante, junge und bunte Stimmen, die für die Kraft, die durch Musik in Gemeinschaft entstehen kann, eintreten können. Eine davon wollen wir sein.

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