In der Verbandspolitik ist Dörte Schmidt, Professorin für Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin, schon seit einiger Zeit aktiv: seit 2009 etwa als Vize-Präsidentin des Landesmusikrats Berlin und seit 2013 als Präsidiumsmitglied des Deutschen Musikrats. Im Vorstand der Gesellschaft für Musikforschung (GfM) engagiert sich Dörte Schmidt seit 2005 und wurde nun im vergangenen Herbst zu deren Präsidentin gewählt. Für die nmz sprach Juan Martin Koch mit ihr.
neue musikzeitung: Frau Schmidt, wofür steht die Gesellschaft für Musikforschung?
Dörte Schmidt: Die GfM versteht sich als Fachverband aller Musikwissenschaftler in Deutschland. Wir haben im Moment gut 1.600 Mitglieder, nicht nur aus dem akademischen Bereich, sondern auch aus den Verlagen, den Bibliotheken, den Museen und aus der Musikpädagogik. Wir versuchen uns inhaltlich und methodisch breit aufzustellen, auch innerhalb der Disziplin. Eine unserer wichtigen Aufgaben nach außen ist es natürlich, die Musikwissenschaft kultur- und wissenschaftspolitisch zu vertreten. Nach innen ist es uns ein besonderes Anliegen, die Vielfalt des Faches bekannt zu machen, für Kommunikation zwischen den sehr unterschiedlichen Zweigen zu sorgen und dafür eine Plattform herzustellen.
nmz: Welche Rolle spielen hierbei die Fachgruppen innerhalb der GfM?
Schmidt: Die Fachgruppen gibt es schon sehr lange, seit einiger Zeit werden sie immer stärker auch nach außen sichtbar. Das hat in dem Maße zugenommen, in dem die hochschulpolitischen Anliegen stärker wurden und die institutionelle wie die inhaltliche Vielfalt der Disziplin etwas wurde, das man pflegen und zeigen muss, damit es neben den ausdifferenzierenden Zügen auch integrative Züge behält. Wir haben zwei Arten von Fachgruppen: Die einen sind vorwiegend thematisch ausgerichtet, greifen aktuelle Forschungsfragen auf. Seit knapp 20 Jahren ist das neben den klassischen Zweigen der Musikwissenschaft zum Beispiel das Thema „Frauen- und Genderstudien“, vor einigen Jahren kam beispielsweise „Aufführungspraxis und Interpretationsforschung“, in jüngster Zeit hinzugekommen sind etwa die „Digital Humanities“. Die Initiative geht dabei immer von den Mitgliedern aus und diese Fachgruppen können auch wieder aufgelöst werden. Eine zweite Gruppe von Fachgruppen arbeitet permanent und vertritt verschiedene Berufsgruppen, etwa die Hochschullehrer, die Musikwissenschaftler an Musikhochschulen, die Mitarbeiter an freien Forschungsinstituten…
nmz: Wie kommen diese Spezialisten untereinander ins Gespräch?
Schmidt: Die Kommunikation funktioniert so, dass es neben den internen Sitzungen auch öffentliche Symposien oder Panels der Fachgruppen gibt, vor allem auf den Jahrestagungen der GfM, aber immer wieder auch im Rahmen eigener Veranstaltungen. Außerdem kooperieren sie mit Fachgruppen aus anderen Gesellschaften (etwa die Fachgruppe Freie Forschungsinstitute seit Jahren mit der der Arbeitsgemeinschaft Germanistische Edition) und publizieren. So kommt zum Beispiel die Reihe der „Kompendien Musik“ im Laaber-Verlag aus diesen Fachgruppen heraus. Darüber hinaus haben wir natürlich verbandsinterne Kommunikationsstrukturen.
nmz: Wie hat sich das Fach in den vergangenen Jahren entwickelt, wie beurteilen Sie die Studierendenzahlen?
Schmidt: Die entwickeln sich gut, das kann man sehr schön in den Statistiken des Musikinformationszentrums (MIZ) nachlesen. Es gibt einen erfreulich hohen Anteil von Frauen und auch die Internationalität unserer Studierenden. Eine Aufgabe wird sein, dies dann in den Berufstätigkeiten auch genau so abzubilden. Es gibt eine große Steigerung bei der Zahl der Abschlüsse, was aber natürlich auch ein Effekt der Bologna-Reform ist und nicht unbedingt bedeutet, dass es nun so viel mehr ausgebildete Musikwissenschaftler gäbe.
nmz: Laut MIZ-Statistik sind die Studierendenzahlen aber gesunken: seit dem Wintersemester 2000/01 um gut 1.000 auf heute 7.600 Studierende… [Link zur Statistik des MIZ als pdf]
Schmidt: Ja, aber das halte ich für eher übliche Schwankungen, vor allem wenn man bedenkt, dass es eine unglaubliche Ausdifferenzierung der Studiengänge gibt und der musikwissenschaftliche Anteil bei vielen interdisziplinären Studienangeboten gar nicht mehr erkennbar ist.
Die große Unübersichtlichkeit
nmz: Diese Differenzierung hat ja oft mit dem Stichwort „Angewandte Musikwissenschaft“ zu tun. Verstehe ich recht, dass Sie wieder dahin zurückkommen wollen, dass klar wird, dass das alles Musikwissenschaft ist, auch wenn das modische Etikett etwas anderes sagt?
Schmidt: Ja, auch als man noch „Magister Musikwissenschaft“ studierte, gingen die Absolventen in alle diese Bereiche, für die es nun eigene Studiengänge gibt. Ich weiß nicht, wie lange diese Ausdifferenzierung noch andauert. Sie hat ja zu einer großen Unübersichtlichkeit geführt, die vor allem für Studienanfänger eigentlich unzumutbar ist.
nmz: Es wird damit geworben, man würde passgenau für ein ganz bestimmtes Berufsfeld ausgebildet…
Schmidt: Ich sehe diese Entwicklung sehr skeptisch und hoffe, dass die Bildungs- und Wissenschaftspolitik irgendwann davon abkommt, dies zu befördern. Ob die Aufgabe von Universitäten überhaupt Berufsausbildung sein kann und sollte, ist ein sehr kontroverses Thema. Grundsätzlich hat die Musikwissenschaft nie nur für die Wissenschaft ausgebildet, sondern sich immer als akademische Bildung für sehr breite Tätigkeiten im Bereich der Akademie wie des Kulturlebens verstanden: in der Dramaturgie, in den Medien, im Management, im Marketing… Es ist zum Beispiel auffällig, wie viele im Musikrat aktive Menschen zumindest auch einen musikwissenschaftlichen Hintergrund haben!
nmz: Welche Rolle spielen für die GfM die von Zeit zu Zeit veröffentlichten „Memoranden“? Geht es um Konsens nach innen oder um Außenwirkung?
Schmidt: Solche Papiere schreiben wir nicht unbedingt, um nach innen Konsens herzustellen, da ist die Auseinandersetzung viel interessanter als das „auf Linie bringen“. Aber nach außen vertreten wir natürlich in manchen politisch wichtigen Situationen unsere Positionen. Das Lehrerbildungsmemorandum von 2014 wird im Moment wieder akuter, weil in manchen Bundesländern verstärkt über Quereinstiege in den Lehrerberuf diskutiert wird und wir darauf dringen, dass dabei die Doppelqualifikation der wissenschaftlichen und künstlerischen Ausbildung gewahrt bleibt und die Funktion von Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen nicht undiskutiert reduziert wird. Unser aktuellstes Memorandum beschäftigt sich mit der Frage einer digitalen Forschungsdateninfrastruktur. Es gibt im Moment Bestrebungen, so etwas spezifisch auch für die Geisteswissenschaften zu entwickeln. In diesem Zusammenhang haben wir uns zu Wort gemeldet, weil wir festgestellt haben, dass die besonderen Bedingungen der Kunst- und Kulturwissenschaften hier nicht genügend Berücksichtigung finden. Denken Sie nur an die Frage des Urheberrechts, zum Beispiel wenn es um zeitgenössische Musik geht, die ethischen Bedingungen musikethnologischer Feldforschungen und ihre Folgen für die Nachnutzbarkeit von Forschungsdaten, oder an das besondere, sich von den Bedingungen der Naturwissenschaften deutlich unterscheidende Verhältnis, das wir zur Verlagslandschaft haben, etwa im Bereich der Gesamtausgaben.
nmz: Stichwort Hybridausgaben…
Schmidt: Eben, da hängt ja ein Rechtemanagement dran, das wir gemeinsam entwickeln müssen, wenn wir auch online publizieren wollen. Wir werden noch lange Ausgaben drucken, weil sie im Fall von großen Partituren derzeit sonst gar nicht nutzbar sind. Auch was die langfristige Archivierung und Verfügbarkeit betrifft, die ja im Digitalen noch kontrovers diskutiert wird, ist die Papierversion im Moment noch die sicherste.
Artistic Research
nmz: Ein weiteres aktuelles Memorandum bezieht Stellung in Sachen dritter Qualifikationszyklus und „artistic research“. Wie ist da die Position der GfM?
Schmidt: Wir diskutieren das natürlich sehr intensiv, zumal die Hochschulen ja in gewisser Weise unter Zugzwang gesetzt werden, so etwas zu entwickeln. Ich sehe das mit Neugier und wundere mich ein wenig darüber, denn wir haben diese Verbindung zur Praxis ja immer schon gehabt: Musiker, die Wissenschaft betrieben haben, und Wissenschaftler, die sich künstlerisch betätigt haben, um sich bestimmte Fragen zu erschließen. Aufgekommen ist die Debatte um diesen sehr schillernden Begriff „artistic research“ ja vor allem in den Ländern Skandinaviens und des Benelux, in denen die Kunsthochschulen nicht mit den Universitäten gleichgestellt sind und wo man ein Pendant zur angewandten Forschung in den Fachhochschulen schaffen wollte. Dieses Statusproblem haben wir in Deutschland gar nicht. Dass man bei uns Möglichkeiten der Qualifikation auch für künstlerische Fächer im sogenannten Dritten Zyklus schafft, ist natürlich folgerichtig. Nicht wirklich einleuchten will mir, warum man das auch hierzulande so stark auf künstlerisch-wissenschaftliche Mischformen fokussiert, hinter denen ja weniger die wissenschaftlichen als vielmehr solche (diesen ja bei uns rechtlich ausdrücklich gleichgestellten) künstlerischen Qualifikationen, die nicht explizit wissenschaftlichen Anteile enthalten, zu verschwinden scheinen. Im Übrigen interessieren uns vor allem die Konsequenzen für das Fach: Man kann im dritten Zyklus keine künstlerisch-wissenschaftliche Qualifikation einziehen, die Voraussetzungen braucht, die in den vorangehenden künstlerischen Studiengängen gar nicht belegt werden. Wichtig für uns ist überdies, dass die wissenschaftliche Promotion zum Dr. phil., die ja ein eingeführtes Format ist, in dem was sie zertifiziert, nicht verunklart wird. Es muss, gerade auch im Hinblick auf Bewerbungen, erkennbar sein, um welche Art von Qualifikation es sich handelt.
nmz: Also kein Dr. phil. sondern ein anderer Titel?
Schmidt: So ist es. Das hat aber nichts mit Wertigkeit zu tun – die Leute können einfach unterschiedliche Dinge.
nmz: Seit 2013 sind Sie Mitglied im Präsidium des Deutschen Musikrates. Worin sehen Sie dabei Ihre Hauptaufgaben?
Schmidt: Ich habe da vor allem zwei Anliegen: Das eine ist, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, an wie vielen Stellen musikwissenschaftliche Expertise im Kulturleben wirksam ist. Das andere ist, dass ich den Eindruck habe, dass die Kunst- und Kulturwissenschaften in der jetzigen wissenschaftspolitischen Debatte keine besonders starke Stimme haben. Da erhoffe ich mir eine Verbesserung durch die enge Verbindung mit der Musikkultur und der entsprechenden Verbandslandschaft, die im Bereich der Musik ja sehr breit aufgestellt ist. Ich versuche zum Beispiel den Präsidenten und den Generalsekretär des Musikrates dazu zu bringen, immer „Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft“ zu sagen, denn ich glaube, dass die Wissenschaft (und durchaus nicht nur die Kunst-, Kultur- und Geisteswissenschaften) kulturelle Dimensionen hat, die in der Wissenschaftspolitik stark ins Hintertreffen geraten, weil die institutionellen und strukturellen Lösungen so vieler drängender wissenschaftspolitischer Fragen an den Natur- und Lebenswissenschaften ausgerichtet werden.
nmz: In einem Text für unsere Zeitung (Oktober 2016) haben Sie sich für eine Frauenquote im Kulturbereich ausgesprochen. Wie waren die Reaktionen und was hat sich seither Ihrem Eindruck nach getan?
Die Frauenquote in Zeiten von #MeToo
Schmidt: Von den Reaktionen her ist das ironischerweise mein erfolgreichster Text! Ob sich etwas tut? Es wird zumindest unglaublich viel darüber gesprochen im Moment. Ich begrüße die Initiative des Deutschen Kulturrates sehr, in diesem Bereich auch operativ tätig zu werden. Wir müssen die Debatte jetzt vor allem entemotionalisieren. Ich bin ja keine Quotenbefürworterin aus ideologischen Gründen, sondern weil ich einfach in meiner täglichen Berufspraxis lerne, dass das Thema zu stark aufgeladen ist. Regeln helfen oft, solche Aufladungen zu durchbrechen.
nmz: Wird dieses Thema nun durch die #MeToo-Debatte, die ja mittlerweile auch hier im Kulturbereich angekommen ist, überlagert, oder ist es gut für die Sache, weil klar wird, dass es hierbei letztlich um Macht geht?
Schmidt: Die Debatte zeigt zum einen, dass es am Ende einfach um Machtstrukturen geht, zum zweiten, wie weit manche Männer bei der Durchsetzung solcher Machverhältnisse zu gehen bereit sind und wie wenig ihnen oft bewusst ist, was sie tun. Wenn es uns gelingt, das daraus zu lernen, dann wird #MeToo auch Auswirkungen auf den Umgang mit Frauen in der Berufstätigkeit haben.
nmz: Vom 25. bis 28. September findet in Osnabrück die nächste Jahrestagung der GfM statt. Eines der drei Hauptthemen würde man auf einer solchen Veranstaltung nicht unbedingt erwarten: „Die Musik der Welt und ihre musikpädagogischen Kontexte“.
Schmidt: Wir freuen uns sehr über diesen Programmtag! Die Jahrestagung ist in diesem Jahr davon geprägt, dass Osnabrück ein Institut ist, in dem die Musikpädagogik, die Systematische und die Historische Musikwissenschaft eng zusammenarbeiten; deshalb sind auch alle Gebiete mit ihren Themen beteiligt. Die Musikpädagogik und die Musikethnologie sind zwei Bereiche, die seit vielen Jahren in ganz engem Austausch stehen. Wir sind immer daran interessiert, genau solche Verbindungen auch zu pflegen.
nmz: Sie sind Projektleiterin der 2016 in Angriff genommenen Bernd Alois Zimmermann-Gesamtausgabe. Wie wird Ihr Zimmermann-Jahr 2018 aussehen?
Schmidt: Mein Zimmermann-Jahr wird bunt und außerordentlich erfreulich! Es ist natürlich toll, dass wir ziemlich am Anfang unseres Editionsvorhabens durch das Jubiläum einen solchen Schub bekommen und unser Gegenstand öffentlich so sicht- und hörbar wird. Meine Kolleginnen und Kollegen aus den beiden Arbeitsstellen der Ausgabe in Berlin und Frankfurt und ich waren bereits und sind noch an zahlreichen Aktivitäten beteiligt, unter anderem im Umfeld der „Soldaten“-Aufführung in Nürnberg, an der großen Tagung der Zimmermann-Gesellschaft in Köln und mit einer eigenen Tagung am Deutschen Historischen Institut in Rom, und wir freuen uns darauf schon sehr.