Ende Dezember 2011 ging der Hamburger Convent, ein Zusammenschluss der musikpädgogischen Verbände VDS (Verband deutscher Schulmusiker), AfS (Arbeitskreis für Schulmusik und allgemeine Musikpädagogik) und VdM (Verband deutscher Musikschulen), mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit: „Musikpädagogik klagt: Kultusminister rauben der Schule die Musik“. Diese ungewöhnliche konzertierte Aktion war für die neue musikzeitung Anlass, mit drei Vertretern der Verbände über die Themen ästhetisches Kombifach in der Grundschule, Schulzeitverdichtung und Begriffswirrwarr im bildungspolitischen Bereich zu sprechen: Ortwin Nimczik (Vorsitzender des VDS), Jürgen Terhag (Bundesvorsitzender AfS) und Winfried Richter (Vorsitzender des VdM).
neue musikzeitung: Einer gemeinsamen Pressemitteilung von VDS, AfS und VdM vom 20. Dezember 2011 entnehme ich: Versuche, in zahlreichen Bundesländern ein ästhetisches Kombifach zu etablieren, sind als gescheitert anzusehen? Warum ist dies so?
Ortwin Nimczik: Die Kultusministerkonferenz hat als Alternative zum Fachstudium „Musik“, zum Beispiel für das Grundschullehramt, ein Studium eines ästhetischen Bereiches definiert, der aus den drei Komponenten Musik, Bildende Kunst und Bewegung besteht. Es liegt nun in der Hand der Bundesländer und der Hochschulen, derartiges anzubieten. Von der Uni Köln hört man – um ein Beispiel zu nennen, – dass es nun fast ebenso viele Studienanfänger für den ästhetischen Bereich gibt wie für das Grundschulstudium Musik. Die Einrichtung einer solchen Studienmöglichkeit, die in der Folge auf ein ästhetisches Kombifach im Unterricht selbst zielt, halten wir für falsch und konzeptionell gescheitert. Interdisziplinärer Unterricht kann nur gelingen, wenn es zunächst umfassende und gute Ausbildung in den Fächern selbst gibt. Weiter wird die inhaltlich diffuse, gleichsam dünnbrettartige Ausrichtung von uns sehr stark kritisiert. Hier wird von einer grundlegenden Fachlichkeit Abstand genommen, von „fachdidaktischen Grundlagen der Ausbildung“ kann man gar nicht mehr sprechen. Drittens kommt die Gefahr einer Austauschbarkeit der ästhetischen Fächer je nach Schulsituation, Lehreranzahl et cetera hinzu. In einigen Bundesländern realisiert sich das bereits in den Kontingentstundentafeln. Dagegen wenden wir uns ganz entschieden. Das ist eine Bedrohung für das originäre Unterrichtsfach Musik.
Jürgen Terhag: Ästhetisches Fach, das klingt zunächst einmal immer sehr gut. Ein Kombifach bietet den Schulleitern aber auch eine Steilvorlage, um zu sagen: Musik brauchen wir nicht mehr anzubieten, wir haben ja Ästhetik. Das bedeutet aber im schlimmsten Fall, dass maximal zweimal im Monat ein Liedchen geträllert wird und man ein bisschen hiervon, ein bisschen davon macht, wobei die Betonung auf „ein bisschen“ liegt. Interdisziplinarität ist nur dann eine tolle Sache, wenn sie nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache ist. Letzteres würde bedeuten, dass die Studenten und Schüler eine qualitativ hochwertige Ausbildung erfahren, aber wir sehen in der Praxis, dass es eben nicht so ist. Da wird Musik auf ein Pseudo-Fach reduziert. Man würde auch nicht Mathematik, Physik und Biologie zu einem Fach zusammenfügen, dies Naturwissenschaften nennen und behaupten, man bekomme das im selben Stundenkontingent unter, das früher für Mathematik ausreichte.
Winfried Richter: Ich möchte den ersten Gedanken noch etwas weiter fassen: Wir sehen, dass vielerorts kein Musikunterricht mehr stattfindet, fachfremd unterrichtet wird, im Rahmen eines Lernbereichs oder in der Kombi-Fach-Kombination. Es fehlt also in der Stundentafel an Musikstunden an allgemeinbildenden Schulen. Kinder oder Jugendliche erfahren in den Medien und vielfach in den Familien nur einen sehr begrenzten Einblick in die Welt der Musikkultur. Wenn diese Schüler nicht kontinuierlich und ihrer Entwicklungsstufe entsprechend mit der Vielfalt der Musik vertraut gemacht werden, fehlt es schlichtweg an musikalischer Bildung. Die kulturelle Teilhabemöglichkeit, wie wir sie verstehen, haben diese Menschen dann nicht mehr unbedingt. Es wäre schlichtweg verantwortungslos, wenn dieser Möglichkeit der Boden entzogen werden würde und mittelfristig hätten wir es mit gravierenden Folgen für unsere Musikkultur zu tun; mal ganz abgesehen von den Angeboten der Musikschulen.
Attraktives Lehramt?
nmz: Wie sieht das Interesse der Studenten am Fach Musik heute aus?
Terhag: Ich kann das bezogen auf das Lehramt für Gymnasien und Gesamtschulen bei uns in Köln sagen. Wir beobachten generell sehr großes Interesse, aber aktuell ist es aufgrund eingeschränkter Kombinationsmöglichkeiten extrem eingebrochen: Bei der letzten Eignungsprüfung gab es die niedrigste Bewerberzahl seit Jahren, denn man kann Musik plötzlich nur noch mit ganz wenigen Fächerkombinationen an der Uni kombinieren. Ich habe kürzlich bei Erstsemestern nachgefragt, da könnten zwei Drittel bei uns an der Hochschule gar nicht mehr studieren. Mal wieder eine hirnrissige Idee aus der Politik, die mit Sicherheit in ein oder zwei Jahren wieder geändert wird, und dann geht alles wieder von vorne los. Wir haben das Doppelfach gerade abgeschafft, anderswo wird es gerade eingeführt. Manchmal gewinnt man wirklich den Eindruck, dass die Bildungspolitik einfach nur Unsinn macht. Die föderale Struktur der Bundesrepublik ist in diesem Zusammenhang schlichtweg eine Katastrophe. Überall wird das Rad neu erfunden und überall eiert es.
nmz: Herr Nimczik, können Sie Zahlen zu Studierenden für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen nennen?
Nimczik: Es ist schwer, wirklich belastbare Zahlen zu finden, weil es sehr viele Doppelbewerbungen und Umstrukturierungen in den Studiengängen selbst gibt. Grundsätzlich ist ein Gefälle von oben nach unten zu konstatieren: Die Zahlen für den Gymnasialbereich sind in der bundesweiten Summe relativ stabil geblieben, während sie bei den anderen Lehrämtern deutlich zurückgehen. Natürlich verändern sich die Schülerzahlen, aber wir haben auf der anderen Seite einen sehr starken Pensionierungsüberhang in den nächsten Jahren. Das wird auch verstärkt den Musikbereich betreffen. Wir brauchen Musiklehrer an den allgemeinbildenden Schulen, das lässt sich belegen. Da muss wirklich für das Lehramtsstudium Musik geworben werden.
nmz: Es steht die politische Forderung nach Kooperation von allgemeinbildender Schule und Musikschule im Raum. Was bedeuten Projekt wie JeKi oder JeKiss für den Musikunterricht an der Schule, beziehungsweise für den Unterricht an der Musikschule?
Terhag: Wenn wir generell wollen, dass Musik-Lernen Bestandteil der Allgemeinbildung ist, dann braucht das Kontinuität. Die Forderung muss also sein, dass wir flächendeckend einen kontinuierlichen Musikunterricht anbieten können. Allgemeinbildender Musikunterricht kann kein Ersatz für Instrumentalunterricht sein und Instrumentalunterricht kann umgekehrt kein Ersatz für allgemeinbildenden Musikunterricht sein. Alle Projekte, die Sie angesprochen haben, sind gut und wichtig. Sie müssen aber als Ergänzung von kontinuierlichem Musikunterricht gesehen werden. Da spielt das Ganze zusammen und es kommt wirklich zu einer gewinnbringenden Verzahnung der Bereiche.
Richter: Ich kann das nur unterstützen. Wenn die musikalische Allgemeinbildung nicht mehr vermittelt wird oder rückläufig ist, dann leidet darunter die Bereitschaft der Menschen, sich intensiv mit Musik auseinanderzusetzen. Längerfristig wird das auch dazu führen, dass es keine Bereitschaft zum Musizieren oder keinen Zugang dazu gibt. Natürlich gibt es Familien, die immer noch den Selbstwert der Musik erkennen können, aber wenn die Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend motiviert sind – und dass passiert oft an allgemeinbildenden Schulen – sich intensiv mit dem Instrumentalspiel und dem Gesang auseinanderzusetzen, dann fehlt es einen Tages an musikalischem Nachwuchs. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, die Entwicklung der Ganztagsschulen zu betrachten, der eine entscheidende Rolle zukommt. Sie muss heute mehr denn je das Elternhaus ersetzen. Dass man mit JeKi oder mit Musikschulangeboten versucht Abhilfe zu schaffen, zeigt doch nur das schlechte Gewissen darüber, nur eine provisorische Alternative zum Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen zu bieten.
Räume für die Musik
nmz: Ein zentrale Forderung auf dem VdM-Kongress in Mainz 2011 lautete: „Die Schulzeitverdichtung darf musikalische Entfaltung nicht verhindern – Musikalische Bildung braucht Zeiten und Räume in der Schule!“ Wie interpretieren Sie das Schlagwort „Schulzeitverdichtung“ aus Ihrer Warte?
Terhag: Hierbei muss man Schulzeitverdichtung und -verkürzung unterscheiden. Schulzeitverkürzung ist prinzipiell eine gute Sache, denn unsere jungen Menschen sitzen viel zu lange in der Schule und in der Hochschule. Ein akademischer Beruf beginnt bei uns meist erst in den 30ern; dahinter steckt eine völlig falsche Bildungsvorstellung, die davon ausgeht, dass Menschen „fertig“ sind, wenn sie die Schule oder die Hochschule verlassen. Wenn man aber von einem Konzept lebenslanger Bildung ausgeht, braucht eine Schulzeitverkürzung nicht zwangsläufig eine Schulzeitverdichtung nach sich zu ziehen. Bei der Verkürzung der Schulzeit versuchen stattdessen nun alle Schulfächer panisch, die Lehrpläne zu verdichten, statt sie zu entrümpeln.
Unsere Verbände müssen das Thema „Musik in der Schule“ künftig zusammen denken. Musik darf nicht nur auf die Randzeiten geschoben werden, es muss auch mal eine Klavierstunde um zehn Uhr morgens stattfinden können und danach wieder Mathe-Unterricht. Der Unterricht der Musikschulen findet vielerorts räumlich ohnehin schon in den Schulen statt, das müsste dann auch organisatorisch und inhaltlich stärker aufeinander abgestimmt werden. Das wäre dann „Musik in der Schule“, gleichgültig ob es Musik- oder Instrumentalunterricht heißt. Hierbei wäre das Eine der Vorteil des Anderen.
Richter: Schule wird von der Politik häufig als Instrument gesehen, um für den Arbeitsmarkt funktionierende Menschen heranzubilden. Der funktionierende Mensch scheint offensichtlich nur der Fachidiot zu sein und nicht ein Mensch, der einen weitgefächerten Blick hat und Erkenntnisse auch aus anderen Dingen ziehen kann als aus seinem Fach. Dazu bedarf es einer Verzahnung. Institutionen müssen zusammenrücken sowie zeitliche und räumliche Korridore miteinander nutzen. Ich glaube, die Bildungspolitik verliert das aus dem Auge.
Nimczik: Vielleicht gibt uns die Musik selbst eine Antwort?! Wir sagen so leichtfertig, Musik sei eine Zeitkunst und grenzen sie oft von einer Raumkunst ab, aber eigentlich trifft beides zu. Musik braucht Zeiträume, und das im doppelten Sinne. Zeit als Erfahrungsmöglichkeit, das vermittelt die Musik selbst und das muss man auch der Gesellschaft vermitteln, die natürlich gegenteilige Trends präferiert: höher, schneller, weiter. Musik zeigt aber auch etwas ganz anderes: dass etwas Kontinuität haben muss, dass etwas dauert, dass man auch einmal etwas für eine Weile „aushalten“ muss. Dann wird musikalisches Lernen wirksam, dann erst scheint die ästhetische Qualität von Musik auf. Aber auch der Raumaspekt ist zentral wichtig. Hierbei verstehe ich unter Raum in ganz profanem Sinne: Musikunterricht in der Schule, Instrumentalunterricht in der Musikschule und in Kooperationen muss jeweils auch in angemessenen Räumen stattfinden. Erst wenn diese Komponenten – Zeit und Raum – zusammenkommen, macht man die Erfahrung, dass Musik für uns Menschen bedeutsam ist. Deswegen muss die Politik gegen diese Tendenzen zur Verdichtung steuern.
nmz: Der Musikunterricht verliert an Boden in der allgemeinbildenden Schule, die Musikschule verliert ihr „Haus“? Gibt es derzeit nur Verlierer?
Richter: Wenn es so läuft, dass es ein Ineinandergreifen gibt, dann sehe ich kein Problem. Es wird auch in Zukunft Musikschulgebäude geben müssen: Für das Ensemblespiel, das wesentlicher Bestandteil der Musikschulen ist, brauchen wir Raum, für die Orchester, genauso für den Theorieunterricht. Für die Vorbereitung auf das Studium brauchen wir entsprechende Häuser. Selbst wenn Musikschulen in dem großen Umfang an allgemeinbildenden Schulen fest im Angebot integriert sind, hätte ich damit kein Problem.
Begriffswirrwarr
nmz: Jürgen Terhag beklagt in einem Artikel im aktuellen AfS-Magazin den schlampigen Umgang mit dem Begriff Musikunterricht. Warum?
Nimczik: Es gibt nach unserem Gespräch in Berlin und im Anschluss an unseren Convent in Hamburg hinsichtlich der Definition keine Probleme mehr zwischen den Verbänden. Wir sind für die musikalische Bildung in unterschiedlichen Sektoren zuständig. Wir beziehen uns auf eine Begriffsgeschichte, die davon ausgeht, dass mit „Musikunterricht“ der Fachunterricht an der allgemeinbildenden Schule in seiner vielfältigen Ausgestaltung für alle Schülerinnen und Schüler gemeint ist. Er ist kein Ersatz für außerschulischen Instrumental- oder Theorieunterricht. Und umgekehrt gilt, dass der Instrumentalunterricht nicht den allgemeinbildenden Musikunterricht ersetzen kann, denn er umfasst etwas ganz anderes. Leider greift der undifferenzierte Gebrauch der Begriffe auch in der Politik um sich und man spricht von Musikunterricht, wenn man beispielsweise Instrumentalunterricht meint. Das stört uns alle. Wir als Fachvertreter müssen zumindest in unseren Bereichen für Klarheit sorgen.
Richter: Wir haben uns schon darüber verständigt, dass wir die Begriffe unterscheiden müssen: Gleichzeitig verfolgen wir einen Gedanken, der an uns, die Musikschulen wie allgemeinbildende Schulen von der Politik herangetragen wird: „Fügt Dinge zusammen, die zusammen gehören“. Leider passiert das manchmal unter einem falschen Gesichtspunkt. In der Gesellschaft wird immer wieder das Leistungsdenken in den Vordergrund gerückt. Spielt ein Schüler sein Instrument hervorragend, wird gesagt: Toll, der kommt von der Musikschule. Es wird aber nicht bedacht, dass er natürlich auch musikalisches Grundwissen vermittelt bekommt und auch in der Gemeinschaft, in der Schulklasse, musiziert. Oft wird nur die Leistung gesehen, ähnlich wie bei einem Fußballverein. Dort sagt man: „Ich habe heute gewonnen!“, obwohl man gar nicht mitgespielt hat. Die Menschen werden immer unsportlicher, behaupten aber, wir seien eine Sportnation, weil wir eine bestimmte Anzahl an Medaillen gewinnen. Wenn wir also hervorragende Musiker hervorbringen, dann identifiziert sich die Gesellschaft mit diesen Musikern und sieht nicht mehr, dass Musik mehr ist als nur einen hervorragenden Pianisten hervorzubringen. Die Gesellschaft kann aus der Musik Kräfte für ihren Zusammenhalt ziehen. Da erreicht die Schule jedes Kind. Wer sich darüber hinaus intensiver dem Musizieren zuwendet, wird in der Musikschule einen Ansprechpartner finden. Wenn das zusammenwächst, dann stimmt die Sache.
nmz: Ist der schlampige Umgang mit Begriffen durch die Politik Kalkül?
Terhag: Es ist kein Zufall, dass die Politik das teilweise nicht richtig überblickt. Es würde einem Politiker wahrscheinlich kaum passieren, dass er den Schulsport mit dem Vereinssport verwechselt. Dass diese Trennung in der Politik so unscharf gezogen wird, hängt auch damit zusammen, dass dort die Musik als nicht so wichtig angesehen wird. Darum war es uns wichtig, diese Begriffe zu klären. Zunächst ist klar, was den Musikunterricht vom Instrumental- oder Vokalunterricht unterscheidet: Musikunterricht umfasst neben dem Musizieren auch das Musikhören, das Sprechen über Musik, das Kennenlernen unserer Musikkultur. Dies ist im Instrumentalunterricht so nicht leistbar. Generell können wir das Ganze gerne auch Musikunterricht nennen, aber dann müsste die außerschulische Musikpädagogik insofern mit dem Musikunterricht in der Schule kooperieren, dass eine neue Form von Musikpädagogik entstünde, die ganz selbstverständlich Instrumental- und Vokalunterricht sowie Ensembles und Mischformen von Instrumental- und Gruppenunterricht sowie Klassenmusizieren umfasst. Den heutigen Instrumentalunterricht als „Musikunterricht“ zu titulieren, verkürzt die musikalische Bildung und das ist unzulässig. Nur vor diesem Hintergrund kann die Ministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, sagen, dass 30 Jahre nach der Einwanderung endlich Migrantenkinder Musikunterricht bekommen. Ich persönlich habe das als Gesamtschullehrer wie viele andere schon 1980 erfolgreich gemacht. In solchen Fällen weiß ich nicht, ob die Politik schlampig ist und sich in der Musik nicht so gut auskennt wie beispielsweise im Sport, oder ob ein Kalkül dahinter steht, die gesamte Musikpädagogik letztlich billiger zu bekommen.
Nimczik: Ich sehe eine weitere Gefahr. Es gibt ja Trends – Stichwort Klassenmusizieren, ein erfolgreiches Programm für zwei Jahre. Dann hört es auf. Jetzt kann es passieren, dass im Bewusstsein der Eltern das Gefühl einsetzt, dass das Kapitel Instrumentalunterricht in der Schule bereits abgehakt ist. Dies wäre jedoch genau das falsche Signal. Hier geht es um sinnvolle Anschlussmöglichkeiten. Genau an dieser Stelle greifen die bereits genannten Verantwortungsbereiche ineinander.
Richter: Das wäre das schlimmste Szenario, das ich mir vorstellen könnte: Instrumentalspiel oder Klassenmusizieren wäre schon mit JeKi abgehakt und man bräuchte keine Musikschule mehr; und an die Schulen schickten wir möglichst günstige Lehrkräfte. Dann hätte man den Musikunterricht an Schulen und die Musikschule gleichzeitig abgeschafft. Ich glaube nicht, dass das wirklich jemand ernsthaft möchte. Zum blinden Aktionismus würden Projekte wie JeKi dann, wenn diese an und für sich sinnvollen Modelle nicht weitergeführt werden würden. Mein Fazit geht aber nicht in diese Richtung. Menschen wollen musizieren. Und sie wollen eine breite Vermittlung von musikalischem Wissen an der Schule bekommen. Das wird sicher auch seinen Ausdruck bei Wahlen und in der öffentlichen Meinung finden. Dann könnte diese Phase des Wandels, die wir gerade erlebt haben und die mir teilweise zu schnell ging, im Nachhinein tatsächlich zu etwas Konstruktivem führen.
nmz: Drei wichtige musikpädagogische Verbände kooperieren erstmals. Wie kann das in Zukunft aussehen?
Terhag: Es gibt riesige Chancen, die alten Grabenkämpfe, die es zwischen Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen oder zwischen den pädagogischen Verfechtern von klassischer und populärer Musik et cetera gab, endlich zu beenden. Unter dem Spardiktat der Politik müssen wir aber selbstbewusst auftreten und da ist es ganz wichtig, dass wir uns auf der Verbandsebene über alle Dinge, die in die Politik und Öffentlichkeit gehen absprechen und stets im Hinterkopf haben, dass uns bestimmte Dinge negativ oder falsch ausgelegt werden können. Dann gehen wir in meinen Augen einer guten Zukunft ohne Grabenkämpfe entgegen.
Klares Signal
nmz: VDS und AfS haben ihren ersten gemeinsam Bundeskongress Musikunterricht. Ist der VdM noch eingeladen?
Nimczik: Natürlich ist der VdM eingeladen, alle musikpädagogischen Verbände sind eingeladen. Der neue Name ist zunächst ein Signal: VDS und AfS sind Fachverbände und wir leisten Service für unsere Mitglieder, die den Musikunterricht an den allgemeinbildenden Schulen geben. Das heißt, wir betreiben gemeinsam Lehrerfortbildung, deshalb ist es ein Kongress für Musikunterricht. Zugleich senden wir ein Signal an alle, die mit Musik und Unterricht zu tun haben. Es gibt eine Grundlust des Menschen, sich musikalisch auszudrücken. Genau da entspringt unsere pädagogische Aufgabe, egal, in welchem Bereich wir tätig sind. Wir müssen viel dafür tun, dass diese Lust bei allen wieder entdeckt wird, wir müssen viel dafür tun, dass sie in differenzierter Weise aufgebaut und weiterentwickelt wird. Dafür steht der allgemeinbildende Musikunterricht in unseren Schulen, dafür steht auch der Instrumental- und Vokalunterricht der Musikschulen. Unser gemeinsames Ziel ist auf die Menschen gerichtet: Deren musikalische Bedürfnisse gilt es zu befriedigen, sie selbst sollen sich sinnvoll mit Musik ausdrücken und sie selbst sollen Musik in ihren vielfältigen Erscheinungsformen sinnvoll nutzen können.
Das Gespräch führte Andreas Kolb