Spätestens seit Sommer 2017 ist trotz unbestrittener künstlerischer Erfolge die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in der Krise. Chefdirigent Karl-Heinz Steffens hatte im Dezember 2016 seinen Weggang zum Ende der Saison 2017/18 angekündigt, und im Frühjahr hatte das Mainzer Kultusministerium die Münchener Managementberatung Metrum mit einem Mediationsprozess und einem Gutachten beauftragt. (siehe nmz 12/17-1/18) Die Kombination von Unterfinanzierung, konzeptionellen Schwierigkeiten und internen Querelen zwischen Orchester und Intendanz spitzte sich unterdessen weiter zu. Als Intendant Michael Kaufmann erfuhr, dass die Findungskommission für den neuen Chefdirigenten ohne ihn einberufen worden war, warf er seinerseits das Handtuch – noch während des Mediationsprozesses. Das Ergebnis in Ludwigshafen glich einem Scherbenhaufen.
Anfang Dezember konnte nun Kultusminister Konrad Wolf in Ludwigshafen einen neuen Intendanten vorstellen. Beat Fehlmann, Jahrgang 1974 und seit 2013 Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, wird im Sommer 2018 die Nachfolge von Michael Kaufmann übernehmen. Der gebürtige Schweizer ist vielfältig qualifiziert. Er spielt selbst Klarinette und Saxofon, hat Komposition studiert, unter anderem bei Georges Aphergis, war jahrelang dirigentisch tätig und hat sich seit 2014 im Bereich Kulturmanagement weitergebildet. In der kommenden Spielzeit 2018/19 kann er sich zwar noch auf die Planungen seines Vorgängers stützen, doch mit der Auswahl und dem Dienstantritt eines neuen Chefdirigenten und der Jubiläumsspielzeit 2019/2020 warten kurzfristig gleich zwei gewichtige Herausforderungen auf ihn.
Auf dem Podium der Pressekonferenz schlug der kommende Intendant einen nachdenklich-behutsamen Tonfall an. Er könne kein komplettes neues Konzept vorstellen. Er wolle sich in seiner ersten Saison einleben, im Orchester Formate und Menschen kennenlernen und ein Gespür für die Region, das Land und die Stadt entwickeln. Wichtig seien ihm besonders die gesellschaftliche Verankerung und Vernetzung des Klangkörpers und die Vermittlungsaufgabe, „Menschen aufklärend an Musik heranzuführen“. Es gelte, nicht nur schöne Angebote zu entwickeln, sondern damit auch „dahin zu gehen, wo die Menschen sind.“ Am Rande der Pressekonferenz gab Minister Wolf das Gutachten der Firma Metrum an die Öffentlichkeit. Der kompakte Abschlussbericht des vier Monate langen Prozesses unter dem komplizierten Titel „Begleitung des Landes bei strategischen Weichenstellungen für die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und Erarbeitung einer Konzeption zur Weiterentwicklung des Klangkörpers“ umfasst 32 inhaltsreiche Seiten. (Er ist unter dem Datum 30.11.2017 unter „mwwk.rlp.de/de/service/pressemitteilungen“ auf der Internetseite des Ministeriums abrufbar.) Mitarbeiter von Metrum waren an zwölf Kalendertagen vor Ort, um Daten zu analysieren und Gespräche zu führen.
Die Kapitel zur Dienstbelastung, zur fachlichen Betriebsführung und zum Betriebsklima zeigen, dass der im Orchester grassierende Unmut gute Gründe hatte und offen zur Sprache kam. Ein erheblicher Teil davon dürfte allerdings strukturell bedingt sein. Das Gutachten sieht nämlich in der internen Aufbau- und Ablauf-Organisation des Orchesters sowie in den Bereichen Wirtschaftlichkeit und Controlling ein erhebliches Optimierungspotenzial. Das Fehlen einer Heimspielstätte in Ludwigshafen und der künstlerische Radius des Orchesters über Ludwigshafen und die Rhein-Neckar-Region hinaus werden ebenfalls ausführlich thematisiert. Strategische Optionen für die Zukunft wurden in zwei getrennten Workshops mit Vertretern des Orchesters einerseits und Intendanz und Verwaltung andererseits diskutiert. Nicht zuletzt stellt das Gutachten fest, dass nach derzeitigem Finanzierungsschlüssel die Rücklagen des Orchesters ausgerechnet im Laufe der Jubiläumsspielzeit 2019/20 aufgebraucht sein dürften.
Kultusminister Wolf machte vor diesem Hintergrund deutlich, dass er sich von Fehlmann die verstärkte Anwerbung von Drittmitteln erhofft, sagte aber seinerseits eine Erhöhung des jährlichen Landeszuschusses um 250.000 Euro zu. Und nicht nur hier rückt das Ministerium von der von vorneherein als Sparmaßnahme konzipierten „Orchesterreform“ aus der Ära von Minister Jürgen Zöllner ab. Auch die 2006 erfolgte Ausgliederung des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz aus dem Mainzer Staatstheater soll zum 1.1.2019 rückgängig gemacht werden. Das Ziel, administrative Reibungsverluste zu beseitigen, wurde Anfang Dezember in Mainz von GMD Hermann Bäumer und Intendant Markus Müller einhellig begrüßt.
Kommentar: Gordischer Knoten, langsam aufgedröselt?
Was auf den ersten Blick aussah wie ein Scherbenhaufen, entpuppte sich auf den zweiten Blick als gordischer Knoten. Vielfach verschlungen muten nach Lektüre des Metrum-Gutachtens die Problemstränge an, mit denen die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz zu kämpfen hat. Die Versuchung, einen solchen Knoten wie einst Alexander der Große mit einem Hieb zu zerschlagen, ist immer wieder naheliegend. Aber war es sinnvoll, nötig und fair, Michael Kaufmann noch während des Mediationsprozesses zu brüskieren? All zu leicht machen Menschen Missstände auch da an Personen fest, wo die Probleme in den Strukturen liegen.
Doch hat anscheinend die Managementberatung Metrum im „Fall Ludwigshafen“ analytisch und perspektivisch solide Arbeit geleistet und dazu auf Verlangen des Ministeriums die Musiker in vorderer Linie mit einbezogen. Diese Vorgabe war wichtig, denn ohne oder gar gegen die Ensemblemitglieder lässt sich ein Orchester in dieser Lage nicht weiterentwickeln. Und ohne Aussicht auf ein Ende quälender Querelen hätte sich Beat Fehlmann wohl kaum um die Intendanz beworben. Sein behutsamer Tonfall bei der Pressekonferenz lässt auf Sensibilität im Umgang hoffen, seine Erfahrungen und sein Renommee deuten auf Tatkraft und Ideenreichtum hin.
Dem Mainzer Kultusministerium, dessen neue Spitze lange überfordert schien, darf man letztlich die Bemühung zugutehalten, den gordischen Knoten nicht zu zerschlagen, sondern ihn geduldig aufzudröseln – und dabei auch die Bereitschaft, die lange hochgehaltene „Orchesterreform“ wieder auf den Prüfstand zu stellen. Und aus dem Metrum-Gutachten spricht wenigstens im Ansatz wieder ein Bewusstsein für die Bedeutung eines residierenden Orchesters in puncto Stadtgesellschaft und Urbanität. Vielleicht reden wir überhaupt in Zukunft ein wenig mehr über Kultur und nicht in erster Linie über Betriebswirtschaft? [Andreas Hauff]