Kaum eine Kleinstadt kann von sich behaupten, eine Philharmonie zu beherbergen. Mit der TauberPhilharmonie ist 2019 dieser Traum für die 7.000-Seelen-Gemeinde Weikersheim wahr geworden. Dass eine derartige Kulturinstitution an so einem Ort möglich war und ist, hängt vor allem an der Musikakademie in Weikersheim, betrieben von der Jeunesses Musicales Deutschland. Zusammen bilden Philharmonie und die „Jeunesses“ eine in Deutschland einzigartige Verbindung, von der beide Seiten gleichermaßen profitieren und die ein außergewöhnliches kulturelles Angebot im ländlichen Raum ermöglicht. Philipp Lojak sprach mit dem Intendanten der TauberPhilharmonie, Johannes Mnich, und dem Generalsekretär der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), Ulrich Wüster.
neue musikzeitung: Die Beziehung zwischen der TauberPhilharmonie und der Jeunesses Musicales Deutschland ist verschiedentlich genannt worden: Vermieter und Ankermieter, Partner, gar Symbiose. Wie würden Sie diese Verbindung bezeichnen?
Johannes Mnich: Von meiner Seite aus würde ich sagen: Glücksfall. Dass ein Konzerthaus gleichzeitig von einer international agierenden Musiknachwuchsorganisation bespielt wird, ist in Deutschland einzigartig. Viele Konzerthäuser haben das Problem, dass sie nur zu ihren Veranstaltungszeiten offen haben, hier herrscht durch die Jeunesses aber jeden Tag Betrieb. Dadurch haben wir eine ganz natürliche Art der Nachwuchsarbeit und des „Audience Developements“, wie man heute sagt, weil hier jedes Jahr tausende junge Musiker über die Jeunesses in Weikersheim sind und so auch mit der TauberPhilharmonie in Kontakt kommen. Wir profitieren stark vom riesigen Netzwerk der Jeunesses Musicales. Bundesjugendorchester, Landesjugendorchester und Laienorchester bilden einen großen Pool, aus denen wir dann Konzertkooperationen entwickeln. Insofern ist diese Verbindung für mich als Veranstalter und wirtschaftlicher Betreiber des Hauses ein totaler Glücksfall.
Ulrich Wüster: Die drei Begriffe Partner, Symbiose und Ankermieter stimmen natürlich alle. Sie widersprechen sich auch nicht, denn sie sind nur die unterschiedlichen Seiten einer Medaille. Die TauberPhilharmonie wäre wahrscheinlich nicht denkbar und durchsetzbar gewesen, wenn die JMD nicht seit 1956 den musikalischen Boden bereitet und Weikersheim einen entsprechenden Ruf verliehen hätte. Wir nutzen als Musikakademie die Philharmonie und lasten sie somit als Ankermieter aus, tragen also auch unser finanzielles Scherflein zu einem gewissen Basis-Income bei. Wir sind natürlich auch Partner. Wir haben das Glück, dass Johannes Mnich und ich uns gut verstehen, was den Grundstein legt für alle partnerschaftlichen Aktivitäten. Das geht dann bis zur Symbiose, der gemeinsamen Existenz: Das kriegen wir hier ganz gut hin, mit gegenseitigem Respekt und Bewunderung.
nmz: Gibt es eine Seite, die mehr profitiert?
Mnich: Nein, das glaube ich nicht. Klar, die Jeunesses profitiert, weil sie die Räumlichkeiten nutzen kann und die großen Orchester hier proben und sich aufhalten können. Im zweiten Schritt finden hier die Konzerte der Jeunesses-Ensembles statt, im besonderen Rahmen natürlich. Bei den Konzerten überschneiden sich die Interessen, aber profitieren beide Seiten gleichermaßen.
nmz: Wie trägt die Jeunesses Musicales denn genau zum Programm der TauberPhilharmonie bei?
Wüster: Das hat uns ein Jahr des Überlegens und gedanklichen Ausprobierens gekostet. Wir haben eine Trennung abgesprochen, dass öffentliche Konzerte in der TauberPhilharmonie in der Regel auch Konzerte der TauberPhilharmonie sind. Denn das sind Konzerte, die auch im Saisonheft erscheinen und eine Konzertreihe bilden. Unsere anderen Veranstaltungen sind oftmals Kursabschlusskonzerte. Aktuell haben wir die Reihe „Schaufenster Jeunesses“ in der TauberPhilharmonie ins Leben gerufen. Deren Sommerpause gestalten wir dann mit Abschlusskonzerten unserer hochkarätigen Sommerkurse.
nmz: Die TauberPhilharmonie ist mit der Jeunesses im Hinterkopf konzipiert worden. Was bieten die Räumlichkeiten für eine Musikakademie?
Mnich: Vor allem Platz! Wir haben eine Bühne, die fast 200 Quadratmeter groß ist. Die ist im Hinblick auf die oft groß besetzten Jugendorchester gebaut worden, sodass diese hier proben und arbeiten können. Dadurch, dass wir kein eigenes Orchester haben, können wir der Jeunesses hier 120 Tage für die Laien-, semiprofessionellen und professionellen Orchester zur Verfügung stellen. Das hat für die jungen Leute durchaus einen Wow-Effekt, wenn die mal nicht in einer Mehrzweckhalle spielen, sondern in einem richtigen Konzertsaal mit guter Akustik. Außerdem ist das ganze Gebäude unter dem Aspekt der Multifunktionalität gebaut worden. Man kann zwei Gruppen getrennt voneinander im Gebäude bewegen. Es gibt den 200 Quadratmeter großen Wittenstein-Saal, ein kleiner Saal, wo man proben und sich aufhalten kann. Und wir haben den großen Konzertsaal. Die Möglichkeiten für die Ensembles sind außergewöhnlich und finden sich wohl auch so in keinem anderen Konzertsaal.
Wüster: Vor allem in keiner anderen Musikakademie, da bin ich mir sicher!
nmz: Jugendorchester haben meistens ein gewisses Repertoire. Bestimmte Stücke muss jedes Jugendorchester mal gespielt haben. Stellt Sie das manchmal vor programmatische Herausforderungen bei der Konzeption einer Saison?
Mnich: Nein, eigentlich nicht. Ich habe selbst Musik studiert, das heißt, ich freue mich immer, wenn Jugendorchester kommen, gerade jetzt, wo bei den Orchestern nach Corona Nachholbedarf besteht und oft auch groß besetzte Werke gespielt werden. In den letzten Jahren hat sich aber auch sehr viel getan. Ich habe das Gefühl, dass das Bundesjugendorchester und auch die Landesjugendorchester im besten Sinne neugierig geworden sind. Es wird nicht mehr nur Beethovens Eroica und Tschaikowskys Violinkonzert gespielt. Von denen kommen wirklich sehr, sehr spannende programmatische Ideen. Das Bundesjugendorchester macht in der kommenden Saison ein Konzert mit Dallapiccola, Josef Suk und Schostakowitschs 11. Sinfonie „Das Jahr 1905“, das hätte es früher so nicht gegeben.
nmz: Ist es eigentlich so, dass die vielen jungen Künstler auch ein jüngeres Publikum anziehen?
Mnich: Nein, das kann man nicht sagen. Die Kulturaffinität hier in Weikersheim ist aber definitiv da. Die TauberPhilharmonie hat einen Freundeskreis von mittlerweile über 500 Mitgliedern, der auch sehr gerne zu den Konzerten der Jeunesses kommt. Die Jeunesses verjüngt Weikersheim, aber Auswirkungen auf das Konzertpublikum hat das nicht.
nmz: Die TauberPhilharmonie hat bereits Konzepte zur Einbindung der Stadtbevölkerung umgesetzt, etwa Konzerte in Schulen oder für Krankenpfleger. Gibt es seitens der Jeunesses Bestrebungen, mit den Weikersheimern noch stärker in Verbindung zu kommen?
Wüster: Wir sind ja kein kommunaler Kulturbetrieb, sondern ein bundeszentraler Verband für Jugendorchester und junge Musiker, wir haben nur zufällig unseren Sitz in Weikersheim. Und dabei fällt auch mal etwas ab für die Bevölkerung. Wenn wir hier zum Beispiel alle zwei Jahre eine Oper auf die Beine stellen, machen wir auch eine Kinderoper für die Weikersheimer Grundschulen, was gerne angenommen wird. Wenn die Kinder ein Stück erarbeiten, dann zieht das viel Publikum. Zudem machen wir den Kleinkunst-Wettbewerb „Leben eben!“, wo praktisch jeder, der etwas kann, die Chance hat aufzutreten, und das ist nun mal meistens Musik. Wir machen mit manchen Orchestern Schulbesuche während der Proben. Ansonsten sind wir aber nicht für das „audience developement“ zuständig, weil wir eben kein Kulturveranstalter sind, dagegen habe ich mich immer gewehrt. Denn musikalische Nachwuchsarbeit und Veranstalterwesen sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Insofern nehmen die TauberPhilharmonie und wir uns auch nicht die Butter vom Brot.
nmz: Der Bau war nicht unumstritten. Wenn 14 Millionen Euro in die Hand genommen werden, will das gut überlegt sein. Spüren Sie da manchmal einen Rechtfertigungsdruck?
Mnich: Überhaupt nicht. Ich habe das große Glück, dass ich hierhergekommen bin, als die ganze Vorgeschichte und der Bau abgeschlossen waren. Mein erster Arbeitstag war das Richtfest. Meine Aufgabe ist es, das Haus bestmöglich zu bespielen. Von den 14 Millionen übrigens, am Ende waren es bestimmt sogar noch mehr, floss der Löwenanteil wieder zurück in die Region. Es profitieren also alle. Wenn ich Besucher frage, auf welche Bausumme Sie die Kosten schätzen, nennt selten einer eine Summe unter 50 Millionen, weil im Vergleich zu den anderen Konzerthäusern in Deutschland die Erwartungshaltung so hoch ist. In Deutschland gibt es kein Konzerthaus, das ähnlich nachhaltig konzipiert wurde. Sowohl was die Bauweise, also auch die Finanzierung und Nutzung – eben durch die Jeunesses – angeht. Nörgler gibt es immer, aber auch von diesen haben viele ihre Meinung geändert.
nmz: Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist nicht übel.
Mnich: Ja! Da schauen manche Kollegen von anderen Häusern neidvoll nach Weikersheim.
nmz: Hat die TauberPhilharmonie eigentlich zu einem spürbar größeren Andrang zum Programm der Jeunesses Musicales und zu einer Aufwertung der Kurse geführt?
Wüster: Wir sind der Fachverband der deutschen Jugendorchester und als solcher haben wir immer versucht, unser Angebot für diese Orchester zu optimieren. Wir sind die einzige Musikakademie, wo ein Projekt wie Bundesjugendorchester plus Bundesjugendchor möglich wäre. Insofern ist die TauberPhilharmonie ein großer Gewinn für unsere Strategie, diese Jugendorchester-Probenstätte par excellence zu profilieren. Diese Zielsetzung war ein Hebel, um die Philharmonie lokalpolitisch umzusetzen. Der andere Hebel war eine Machbarkeitsstudie, wo geschaut wurde, wo es ähnliche Konzertsäle in der Umgebung und auch in Musikakademien gibt. Das Ergebnis: Es gibt keine! Der Einzugsbereich wurde mit einer Stunde Autofahrt bemessen und das geht auf: Auf den Parkplätzen stehen Autos nicht nur aus der unmittelbaren Umgebung und die Konzerte sind sehr gut besucht.
nmz: Gibt es eigentlich Bestrebungen, das Ökosystem zwischen TauberPhilharmonie und Jeunesses Musicales weiter auszubauen?
Wüster: Wir wollen das Erreichte erstmal in Ruhe wachsen lassen. Und wir wollen mit der Musikakademie rein quantitativ erstmal wieder auf das Vor-Corona-Niveau von 33.000 Übernachtungen im Jahr kommen.
nmz: Es war doch auch ein Hotel neben der TauberPhilharmonie geplant?
Mnich: Das ist ein Opfer der Corona-Pandemie geworden. Das betrifft allerdings nicht unsere Symbiose mit der Jeunesses, sondern es geht darum, die Philharmonie für Vermietungen attraktiver zu machen. Das Projekt treibt den Stadt- und Gemeinderat noch um, Grundstück und Genehmigung sind vorhanden, es fehlt jedoch noch ein Geldgeber. Ein Hotel wird von der heimischen Wirtschaft, dem Publikum und uns aber sehr gewünscht.
Wüster: Ein Hotel wäre für Weikersheim und den heimischen Tourismus sehr wünschenswert. Für Firmentagungen in der TauberPhilharmonie ist unser Logierhaus nicht optimal…
nmz: Es gibt doch bestimmt viele Stars, die hier Konzerte spielen und Weikersheim schon von den Jeunesses-Kursen aus ihrer Jugend kennen.
Mnich: Überraschend viele. Es gibt nur wenige professionelle Musiker in Deutschland, die noch nicht in Weikersheim waren, was natürlich nicht für internationale Künstler gilt. Gerade in den Orchestern gibt es eigentlich jedes Mal Musiker, die schon mal hier waren.
nmz: Macht Sie das stolz?
Wüster: Ja, warum nicht? In Musikerkreisen sind „Weikersheim“ und „Jeunesses Musicales“ zu Synonymen geworden. Wir haben hier diese idealen Verhältnisse und die Werte, die wir vermitteln wollen, knüpfen sich eben auch an diesen Ort: Gemeinschaft und tiefgehende Musikerlebnisse. In unserem Leitbild steht auch ein Bekenntnis zu Weikersheim, das uns wegen der TauberPhilharmonie nun noch leichter fällt.
nmz: Gibt es auch mal „Ehekrach“ in der Beziehung zwischen Jeunesses Musical und der TauberPhilharmonie?
Mnich: Manchmal können wir nicht allen Anfragen der Orchester nachkommen. Bislang ist aber noch nichts so schief gegangen, dass wir uns gegrollt hätten…
Wüster: Die Problemchen sind eher logistischer oder organisatorischer Natur, das lässt sich aber alles durch Absprachen und vernünftiges Handeln lösen.
nmz: Auf welches Konzert freuen Sie sich am meisten in der kommenden Saison?
Mnich: Am 1. Mai 2023 spielt Isabelle Faust, meiner Meinung nach die beste lebende Geigerin, alle Partiten von Bach in einem Konzert. Das tut sie normalerweise nur dreimal im Jahr. Dass sie es auch hier tut, ist mein Highlight der Saison.
Wüster: Für mich ist es das Konzert mit Christian Tetzlaff und dem Bundesjugendorchester, das wird grandios. Beide stehen musikalisch auch für die Ideale der Jeunesses Musicales.
nmz: Gibt es jetzt „Ehekrach“, weil Herr Mnich kein Jeunesses-Konzert genannt hat?
Wüster: Nein, nein, dafür habe ich ja eines genannt.
Ulrich Wüster (li.) und Johannes Mnich. Foto: Philipp Lojak