Die Gesellschaft für Neue Musik (GNM) wurde vor über 80 Jahren gegründet. Das klingt gesetzt, ist aber tatsächlich agil und kreativ. Das liegt nicht zuletzt an Jens Cording, dem Präsidenten der GNM. Er ist nicht nur fachlich kompetent, sondern passioniert und ein Meister im Knüpfen von Netzwerken. Mit dem Kulturmanager und ausgebildeten Geiger sprach Susanne Fließ.
neue musikzeitung: Wie kam Ihr Kontakt mit der Gesellschaft für Neue Musik zustande?
Jens Cording: Von Haus aus bin ich studierter Musiker. Irgendwann war für mich mit dem Musizieren die Grenze meiner kreativen Möglichkeiten erreicht. In Hamburg wurde damals der Aufbaustudiengang Kulturmanagement angeboten und ich begegnete dort im Rahmen diverser Praktika Leuten, die mir den kick off in die richtige Richtung gaben. So lernte ich das Siemens Arts Program (früher Siemens Kulturprogramm) kennen und arbeite dort seit 13 Jahren als Projektleiter für den Bereich Musik. Hier kann ich sehr kreativ arbeiten: Projekte konzipieren, initiieren, neue Ideen umsetzen, spartenübergreifend und in einem großen Netzwerk arbeiten.
Es lag bei meiner beruflichen Beschäftigung mit Neuer Musik nahe, auch in der Gesellschaft für Neue Musik (GNM) Mitglied zu werden. Zunächst als normales Einzelmitglied, um weiter zu kommen und das Netzwerk, das ich bei Siemens brauchte, auszubauen. Bis ich dann vor viereinhalb Jahren zum Präsidenten gewählt wurde. Das Amt in der GNM ist nur eine logische Fortsetzung dessen, was ich bei Siemens gelernt habe, nämlich „networking“.
: Die Beschäftigung mit Neuer Musik stellt sich in der GNM gleichermaßen als ein kulturelles, wie auch politisches und soziologisches Phänomen dar.
: Hier geht es nicht darum, einzelne Komponisten zu fördern, sondern es geht vielmehr um die Vermittlung von Theorie und Praxis, die Einbettung der Neuen Musik in die allgemeine Musikszene. Das ist unter anderem der Grund dafür, weshalb wir so aktiv in anderen Verbänden innerhalb und außerhalb des Deutschen Musik-
rates vertreten sind.
: Welche Geschichte hat die GNM?
: Die GNM ist schon in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden, während des 2. Weltkriegs wurden die Aktivitäten vollständig eingestellt, nach 1945 wurde sie neu gegründet. Je nachdem, wer gerade den Vorsitz hatte, erfuhr die GNM mal die eine mal die andere inhaltliche Ausrichtung, aber immer war sie ein Verbund von Komponisten, Interpreten, Musikwissenschaftlern, Kulturinstitutionen, Rundfunkanstalten und Verlegern, eben allen, die an dem Musikgeschehen beteiligt sind. Auf der soeben freigeschalteten Homepage ist das alles ausführlich nachzulesen (www.g-n-m.de
: Das Ensemble Modern spielt in der GNM eine besondere Rolle…
: Es ist auf Initiative und mit Hilfe der GNM entstanden. Regelmäßig führen wir gemeinsam eine Veranstaltung durch, die den Titel „Nachwuchsforum der Gesellschaft für Neue Musik und des Ensemble Modern für Interpreten, Komponisten und Musikologen“ trägt. Junge Künstler und Wissenschaftler können ihre Werke einreichen, sie werden gemeinsam mit dem Ensemble Modern erarbeitet, aufgeführt und über die Disziplinen hinaus diskutiert. Wir führen das 2008 zum nunmehr neunten Mal durch. Das Thema des Nachwuchsforums 2008 wird lauten „In der Form – aus der Form“. Die Veranstaltung ist offen für alle. Wer den Entdeckergeist in sich spürt, der ist herzlich willkommen zum Zuhören.
: Welche Projekte betreut die GNM außerdem?
: Wir führen ein- bis zweimal im Jahr sogenannte „Ensemble- und Veranstalterkonferenzen“ durch. Dort geht es um wichtige und aktuelle Themen. So diskutierten wir jüngst über die inhaltliche Gestaltung von Konzertprogrammen. Die nächste Konferenz findet im Juni in Mönchengladbach statt und hat das Thema „Regionale Kulturförderung“, denn inzwischen werden Festivals oft von überregionalen Institutionen finanziert und wir wollen die Konsequenzen diskutieren, die sich daraus für die Verortung eines Festivals ergeben. Da die offizielle Bezeichnung der GNM ja „Gesellschaft für Neue Musik – Sektion Bundesrepublik Deutschland der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ ist, findet hier im internationalen Kontext ein bedeutendes Projekt statt, das „World New Music Festival“. Die GNM ist federführend für die Neue Musik aus Deutschland. Das Festival findet jedes Jahr in einem anderen Land statt, letztes Jahr in Stuttgart. Durchgeführt wurde es von einer unserer Mitgliedsorganisation unter der Regie von Christine Fischer. Aus aller Herren Länder präsentierte sich dort Neue Musik unter dem Motto „grenzenlos“.
Und schließlich führen wir im Rahmen der Musikmesse und mit Unterstützung des Deutschen Musikrates und der neuen Musikzeitung seit drei Jahren ein „Get together“ durch. Denn seit ich die Musikmesse besuche, habe ich den Eindruck, dass die Personen, die mit Neuer Musik zu tun haben, ein wenig verloren über die Messe laufen. So laden wir gemeinsam mit DMR und nmz am Messe-Donnerstag Abend ins Schauspiel Frankfurt ein.
: Wie weit reicht das internationale Netzwerk?
: Einmal um die Welt.
: Findet denn auch außerhalb der Festival-Tage ein Austausch der nationalen Sektionen untereinander statt?
: Ereignisse wie das Festival sind wichtig zum Kontakte knüpfen. Aufgrund ihrer enormen Reichweite und unserer Kenntnis ihrer jeweiligen Arbeitsweise können wir dann im Bedarfsfall beratend tätig werden, wenn an uns organisatorische Fragen zu Konzerten oder Projekten herangetragen werden.
: Wie sieht die Zusammenarbeit mit innerdeutschen Institutionen des Musiklebens aus?
: Die GNM ist zunächst eine Mitgliedsorganisation im DMR und wir freuen uns sehr, dass wir auch hier unser Netzwerk ausbauen und gemeinsam Prozesse gestalten können. Gemeinsam mit dem DMR und dem IKI haben wir jüngst eine Ensemblestudie durchgeführt. Die Ergebnisse werden demnächst in der neuen musikzeitung vorgestellt und dankenswerter Weise über das Musikinformationszentrum verbreitet, wofür die GNM gar keine Ressourcen hätte. Darüber hinaus ist die GNM beratend und personell in den verschiedenen Gremien vertreten: wir sind Mitglied im Bundesfachausschuss für Neue Musik, wir sind sowohl im Beirat als auch in der Jury des „Konzerts des Deutschen Musikrates“, wir sind in der Jury für die „Edition für Zeitgenössische Musik“. Unsere Beratertätigkeit wird auch vom Präsidium des DMR genutzt. Zudem haben wir die Vereinbarung getroffen, dass ein Vertreter der beiden Bundesfachausschüsse „Popmusik“ und „Neue Musik“ an den Sitzungen des jeweils anderen Ausschusses teilnimmt.
: Glauben Sie, dass die Neue Musik eines Tages einen Schutzraum wie die GNM nicht mehr nötig hat?
: Ich bin keineswegs der Meinung, dass sie einen anderen Schutzraum als auch sonst die Kultur braucht! Konzerte mit Zeitgenössischer Musik sind ausnehmend gut besucht, kluge Einführungskonzepte unterstützen die Vermittlung der Musik. Wenn es tatsächlich Konzerte gibt, in denen kein zeitgenössisches Stück auf dem Programm steht, dann höre ich hinterher regelmäßig Kritik daran. Ich glaube fast, dass die Musik der Klassik einen Schutzraum viel nötiger hat, weil man denkt, man müsse diese Musik nicht vermitteln, sondern kann sie einfach so in den Raum stellen.
: Was wäre ohne die GNM in Deutschland nicht geschehen?
: Ich glaube, dass das Bewusstsein von Zusammenhängen und Abhängigkeiten nicht so entwickelt wäre. Komponisten, Interpreten, Rundfunkanstalten und Verlage würden sehr viel vereinzelter agieren und damit ineffizienter. Durch die GNM ist die Vernetzung institutionalisiert worden. Andererseits ermöglicht überhaupt erst die Demokratie die Gründung und Pflege solcher Gesellschaften. Nur in diesem Kontext können wir überhaupt Vertreter in Gremien entsenden. Wünschenswert ist eine stärkere Durchdringung der unterschiedlichen Musiksparten und gleichzeitig ein stärkerer Artenschutz für die Musik, damit man komplikationslos zusammenarbeiten kann.