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Musik für einen ganzen Stadtteil: Rund 30 Prozent der Einwohner von Hainholz haben einen Migrationshintergrund.
Musik für einen ganzen Stadtteil: Rund 30 Prozent der Einwohner von Hainholz haben einen Migrationshintergrund.
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Ein Stadtteil swingt, tanzt und singt

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„Musik in Hainholz“ Hannover – über ein beispielhaftes Projekt lokaler kultureller Bildung und Vernetzung
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„Wir geh‘n ab! Auf dem Weg, erwachsen zu werden. Wir wollen Ziele haben. Und wir wollen etwas erreichen, bevor wir sterben…“ So oder so ähnlich klingt es, wenn sich die Schulband „The Beat Style“ der Förderschule Paul Dohrmann in Hannover einmal in der Woche zum gemeinsamen Proben trifft. Unter der Leitung des Musikers Nils Nordmann und der Mo’Horizons Sängerin Denise M’Baye musizieren zehn Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Alters miteinander, schreiben Texte, spielen Keyboard und Gitarre, singen und rappen. Und das ziemlich erfolgreich: Zahlreiche Auftritte und die Veröffentlichung einer CD sind das i-Tüpfelchen des Schulprojektes, das den Jugendlichen neue Perspektiven und Selbstbewusstsein vermitteln soll.

Dabei ist „The Beat Style“ nur eines der unzähligen kleinen und großen Musikprojekte, die seit nunmehr zwei Jahren die Menschen in Hannover-Hainholz mobilisieren. Denn im Januar 2006 wurde in der niedersächsischen Landeshauptstadt unter dem Titel „Musik in Hainholz“ ein deutschlandweit einmaliges Förderprogramm ins Leben gerufen – mit dem ehrgeizigen Ziel der Musikalisierung eines ganzen Stadtteils. Durch Musik sollen kulturelle Bildung und Schlüsselkompetenzen dort vermittelt werden, wo es bisher kaum Angebote gab.

„ Mein Wunsch war es, alle Menschen in Hainholz in ein Musikprojekt zu integrieren und durch Musik das Lern- und Sozialverhalten im Stadtteil auf lange Sicht positiv zu verändern“, erklärt Morena Piro, Initiatorin und Leiterin des bundesweit ausgezeichneten Projektes. Die Vision der Musikalisierung des Stadtteils entwickelte sich im Wesentlichen aus ihrer Arbeit für das regionale Bildungsnetzwerk FLUXUS. Als Leiterin der im MusikZentrum Hannover angesiedelten Werkstatt „Musik und Bewegung“ kam Piro nach und nach mit den Akteuren der sozialen und kulturellen Einrichtungen in Hainholz in Kontakt. Der Erfahrungsaustausch und die Gespräche innerhalb des Stadtteils machten ihr deutlich, wie groß der Bedarf und die Nachfrage an kultureller Bildung in allen Altersschichten war.

Hainholz, im Nordwesten Hannovers gelegen, gehört schon seit langem zu den Problemkindern der Landeshauptstadt. Insgesamt ein Viertel der Einwohner bezieht Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe – das sind fast doppelt so viele wie stadtweit. Für einen Großteil der Kinder und Jugendlichen ist das Aufwachsen in finanziell belasteten Situa­tionen somit Alltag. Die Vermittlung von sozialen Schlüsselkompetenzen, aber auch die schulische Integration von Schülern aus Familien mit Migrationshintergrund – diesen haben rund 30 Prozent der Einwohner – gehörte deshalb von Anfang an mit zu den Aufgaben, denen sich „Musik in Hainholz“ widmen wollte.

„Der Gedanke, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich musikalisch zu betätigen und durch Musik langfristige Ziele wie Partizipation, Prävention und musikalische Breitenförderung zu erreichen, traf sofort den Nerv aller Beteiligten“, erinnert sich Morena Piro an die Anfangsphase des Projektes. Förderer und Kooperationspartner waren deshalb schnell gefunden. Sowohl die Landeshauptstadt Hannover mit den Bereichen „Jugend und Soziales“ und „Kultur und Schule“ als auch die Bürgerstiftung und das MusikZentrum konnten von „Musik in Hainholz“ begeistert werden, sodass eine kombinierte Trägerschaft entstand, die – ebenso wie das Projekt – bundesweit einmalig ist. Unterstützt wird das Förderprogramm darüber hinaus vom Deutschen Musikrat, der Hochschule für Musik und Theater Hannover, dem Landesmusikrat Niedersachsen sowie zahlreichen weiteren Organisationen und Verbänden, darunter private Stiftungen wie die PwC Stiftung und die Sparda Stiftung. Auch bekannte Musiker wie Christof Stein-Schneider (Fury in the Slaughterhouse), Mousse T. oder Emma Lanford machen sich vor Ort für das Projekt stark. „Unser Angebot ist breit gefächert und richtet sich nach dem Bedarf der jeweiligen Einrichtung und Zielgruppe“, erläutert Morena Piro den Aufbau des Programms. „Für die unterschiedlichsten Altersgruppen gibt es eine Vielfalt an Arbeitsgemeinschaften aus allen Musiksparten: von Klassik bis Rap, über Jazz und Pop bis hin zu HipHop – und sogar Volksmusik.“ Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit mit den Hainhölzer Schützen, die zu ihrem 100-jährigen Jubiläum eine CD mit Tanzmusik im MusikZentrum aufgenommen haben. Gemeinsam mit der Projektstelle Sprachförderung und dem Kulturtreff Hainholz entstand zudem die CD/DVD „Mama singt“. Die Idee: Mütter mit Migrationshintergrund singen Kinderlieder aus ihrer Heimat.

Mittlerweile arbeiten über 30 Dozenten daran, Jung und Alt für die musikalischen Programme in ihrem Stadtteil zu begeistern und den Teilnehmern über Musik, Bewegung und Tanz spielerisch soziale Schlüsselkompetenzen zu vermitteln. Dabei ist es vor allem die Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten, Jugendtreffs und Schulen, die den Kern des Projektes bildet. So werden an der Paul Dohrmann Schule neben „The Beat Style“ auch weitere musikalische Workshops und Tanzgruppen angeboten, die den regulären Unterricht ergänzen und den Kindern die Möglichkeit bieten sollen, über die Musik neue Ausdrucksformen zu finden und mit gestärktem Selbstbewusstsein in die Zukunft zu blicken: „Wir wollen Ziele haben,“ lautet die Parole, die sich inzwischen auf den ganzen Stadtteil übertragen lässt.

Noch bis Anfang 2012 soll das Projekt „Musik in Hainholz“ laufen. Genug Zeit, um möglichst viele Einwohner zu mobilisieren und dem Ziel der Musikalisierung des Stadtteils näher zu kommen. An ein Ende der musikalischen Totalförderung kann Morena Piro allerdings längst nicht denken. Für die Initiatorin des Förderprogramms steht fest: „Es gibt noch viele Menschen in Hannover, die wir mit Musik erreichen können.“

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