In aller Welt kämpfen die freien Musikerinnen und Musiker nicht nur um einigermaßen angemessene Honorare, sie kämpfen auch um Auftrittsmöglichkeiten und vor allem auch um Probenräume. Genau dafür hat jetzt in Bremen eine einzigartige Initiative eröffnet: das „Zentrum für Kunst“ im innenstadtnahen sogenannten „Tabakquartier“ im Stadtteil Woltmershausen. Auf einem denkmalgeschützten Gelände von 75.000 qm, auf dem nach 700 Millionen schweren Umbauten 300 Unternehmen ansässig und 1.500 Wohnungen entstanden sind, gibt es nun auf 5.500 qm das „Zentrum für Kunst“ (ZFK) mit 17 Atelierräumen, 34 Atelierplätzen, 2 Theatersälen, einem Studio für Audio- und Videofunktionen, Räume für Proben und Ausstellungen und dreijährige Förderplätze für die Ateliers. „Wir brauchten ein Haus für die freie Szene“, so Gabriele Nogalski, Referatsleiterin für Musik, Tanz und Theater beim Senator für Kultur.
Verschiedene denkmalgeschützte Bauten, die schon dem Abriss preisgegeben waren, sind in den letzten Jahren in Bremen vor allem durch Bürgerinitiativen „gerettet“ worden. Hier nur zwei spektakuläre Beispiele: aus dem Speicher XI wurde die Hochschule für Künste und aus dem Sendesaal von Radio Bremen – den der Investor, der das ganze Gelände von Radio Bremen gekauft hatte, abreißen wollte – ein eigenständiger Konzertsaal, der wegen seiner sensationellen Akustik von Musikerinnen und Musikern aus aller Welt außerordentlich geschätzt wird. Viele KünstlerInnen suchen den ehemaligen Sendesaal allein wegen Aufnahmen auf, öffentliche Abschlusskozerte kommen dann den Bremer Musikliebhaber*innen zugute. In dieser Tradition steht nun das Tabakquartier, dessen denkmalgeschützte Hallen Anfang des 20. Jahrhunderts mit 6.000 Mitarbeiter Innen die größte Tabakfabrik Europas waren. Die Umbauten, für die die Erhaltung der alten Bausubstanz im Zentrum stand, bieten nun alles: Interdisziplinarität, Austausch der Künstler, Kollegialität, Pubikumsgespräche, Nachwuchs- und Erziehungsprojekte, Lesungen, Installationen und vieles mehr. Noch vor der systematischen Besetzung und konzeptionellen Durcharbeitung durch eine künstlerische Leitung und feste Mitarbeiter*innen unternahm die Zinkistin und Blockflötenspielerin Barbara Heindlmeier einen erfolgreichen Vorstoß bei der Kulturbehörde für ein „pre-opening“ in den noch freistehenden und ungenutzten Räumen. Mithilfe von Nogalski kuratierte und organisierte sie eine Konzertreihe, in der alle, die vom deutschen Musikrat pandemiemäßig gefördert wurden, ihre Arbeiten vorstellen können. In diesem Zyklus gibt es keine ästhetischen Prioritäten. Mittelalterliches und Barockes hat hier ebenso Platz wie Uraufführungen, klassische Musik und Performanceexperimente, Konzerte wie öffentliche Probeneinheiten: bis März wird es 23 Veranstaltungen geben.
„Der geplante Voreröffnungsreigen ist bereits ein Paradebeispiel für die kollegiale gemeinsame Nutzung, die das ZFK künftig leben wird, sagt die Staatsrätin Carmen Emigholz. Und das hat Nogalski auch schon beobachtet: „Es war schon toll, wie die jungen Leute sich ausgetauscht haben!“ Die Konzerte werden über die Kulturförderung des Deutschen Musikrates hinaus von unterschiedlichen Institutionen und SponsorInnen gefördert, die die Ensembles auch selbst mitbringen. „Die Auswahlkriterien waren sehr streng“, erzählt Barbara Heindlmeier, die zum Barock-Ensemble „La Ninfea“ gehört. So eröffnete am 28. August das Ensemble New Babylon mit ihrem siebten Konzert von zehn und einer wunderbaren Uraufführung (Elnaz Seyedi) zu seinem zehnjährigen Bestehen. Auch die Bremer Philharmoniker sind dort für ihre Proben und vielen Publikums- und Kinderprojekte eingezogen. „Der Umzug ins Tabakquartier ist für uns fast so etwas wie ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk“, freut sich Christian Kötter-Lixfeld, Intendant der Bremer Philharmoniker, die in zwei Jahren ihren 200. Geburtstag feiern werden. Die Musikwerkstatt des Orchesters explodiert durch die Nachfrage der Kinder und sie wird aufgrund der neuen Möglichkeiten ausgebaut. O-Ton Heindlmeier: „Es ist eine so wahnsinnig schöne Perspektive für die Zukunft!“