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Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“

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Ausgewählte Handlungsempfehlungen zum Thema „Kulturelle Bildung“ und Kommentare
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I. Kulturelle Bildung als gesellschaftlicher Auftrag (S. 596 f.)
2. Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung, für die Entwicklung innovativer Konzepte, zur Vernetzung der Akteure und zur Fortbildung von Multiplikatoren die Einrichtung einer Bundeszentrale für kulturelle Bildung. Die Bundeszentrale für kulturelle Bildung soll unter anderem die Forschung zu den Wirkungen und Methoden kultureller Bildung in Modellversuchen fördern. Eine Bundeszentrale darf die bestehenden Bundesakademien für kulturelle Bildung nicht ersetzen105.
II. Schulische kulturelle Bildung (S. 597 f.)
2. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern und Kommunen, dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen ganztäglicher Bildung und Erziehung auch Angebote von Kultureinrichtungen und Kulturvereinen außerhalb der Schule wahrgenommen werden können.
5. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, den Neuaufbau von Schulchören und -orchestern zu fördern und das Singen als täglichen Bestandteil des Schulunterrichts zu verankern sowie jedem Kind die Möglichkeit zu geben, ein ensemblefähiges Musikinstrument zu erlernen.
11. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, auch für die kulturelle Bildung bundesweite Bildungsstandards zu entwickeln.
12. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, die OECD aufzufordern, für kulturelle Bildung Standards zu entwickeln und diese analog des PISA-Prozesses regelmäßig zu evaluieren.
13. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern und Kommunen, den Aufbau von Netzwerken der Kooperation von Schulen und Kultureinrichtungen zu fördern und allen Kindern während der Schulzeit die Begegnung mit Künstlern zu ermöglichen.
III. Außerschulische kulturelle Bildung (S. 598 f.)
6. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, durch gesetzliche Regelungen die kulturelle Infrastruktur im Bereich der außerschulischen kulturellen Bildung in ihrem Bestand auch qualitativ zu garantieren. Dies gilt insbesondere für das Musik- und Jugendkunstschulwesen. Angebote der kulturellen Bildung aus dem rechtlichen Status der „freiwilligen Leistung“ herauszuführen, soll auch mit Blick auf die Gestaltungsfreiheit der Kommunen entscheidendes Element gesetzlicher Regelungen sein…106.
8. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, sich angemessen an der Finanzierung der außerschulischen kulturellen Bildung als öffentlicher Gemeinschaftsaufgabe zu beteiligen. Dazu gehört ein Konzept, dass auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen haupt- und nebenberuflichem Personal sowie ehrenamtlich Tätigen vorsieht.
9. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, unter Mitwirkung der Beteiligten, Regelungen zu erarbeiten, die außerschulischen kulturellen Einrichtungen ein Zusammenwirken auf Augenhöhe mit den allgemein bildenden Schulen ermöglichen.
IV. Aus- und Fortbildung für kulturelle Bildung (S. 599 f.)
3. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, Kulturinstitutionen in die Lehreraus- und fortbildung einzubeziehen sowie die Möglichkeit der regelmäßigen Fortbildung in kultureller Bildung für Lehrkräfte sicherzustellen.
4. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern und Hochschulen, kulturvermittelnde Ausbildungsgänge stärker auf die berufliche Praxis auszurichten. In künstlerischen Ausbildungsgängen sollen Elemente der Kulturvermittlung sowie künstlerische Praktiken für alle Altersstufen obligatorische Bestandteile werden.
V. Kulturelle Erwachsenenbildung (S. 607 f.)
5. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, die Förderung kultureller Erwachsenenbildung in Erwachsenenbildungsgesetzen und den dazugehörigen Verordnungen zu verankern sowie die Förderung kultureller Erwachsenenbildung durch eine institutionelle Sockelfinanzierung zu sichern.

105 Sondervotum Dorothee Bär, MdB und SV Staatsminister a. D. Dr. h. c. mult. Hans Zehetmair: „Die Handlungsempfehlung Nr. 2 wird aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mitgetragen. Die Zuständigkeit im Bereich der kulturellen Bildung liegt bei den Ländern. Für die Bereiche Bildung und Kultur normiert das GG weder eine ausschließliche noch eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Dem Bund fehlt es für die Einrichtung einer ‚Bundeszentrale für kulturelle Bildung‘ an einer verfassungsrechtlichen Kompetenzgrundlage.“

106 Sondervotum Fraktion DIE LINKE. und SV Prof. Dr. Dieter Kramer: „Wir begrüßen die Empfehlung der Kommission, die kulturelle Infrastruktur im Bereich der außerschulischen Bildung durch gesetzliche Regelungen, insbesondere für Musik- und Jugendkunstschulen, in ihrem Bestand qualitativ zu sichern. In diesem Zusammenhang plädieren wir dafür, dass auch der Name ‚Musikschule‘ gesetzlich geschützt wird – wie in Sachsen-Anhalt und Bayern schon geschehen.“

Zitiert nach: Kultur in Deutschland. Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. Regensburg, ConBrio, 2008 (ISBN 978-3-932581-93.9), € 35,- (Römische Nummerierung nicht original)

Fachstrukturen fördern
Ein Kommentar der Akademie Remscheid

Für die Akteure in der kulturellen Bildungsarbeit ist es ausgesprochen hilfreich, dass kulturelle Bildung einen so großen Stellenwert im Bericht der Enquete-Kommission hat. Wichtig ist, dass für diese Behandlung in vielfältiger Weise die Erfahrungen der Fachorganisationen einbezogen wurden. Dies erklärt auch, warum in der Debatte, so wie sie bislang stattgefunden hat, die Übereinstimmung mit den Handlungsempfehlungen ausgesprochen groß ist. Es geht hierbei um die Erhaltung und Weiterentwicklung der Infrastruktur, es geht um die Verbesserung der Rahmenbedingen, es geht um die Sicherstellung eines qualifizierten Angebotes innerhalb und außerhalb der Schule.

Es geht darum, die Ganztagsschule „kulturverträglich“ zu gestalten, und dazu gehört die Herstellung einer gleichen Augenhöhe von Schule und Kulturpartnern. Hervorzuheben ist der weite Blick auf kulturelle Bildung, der – wie oft im kulturpolitischen Bereich zu beobachten – eben nicht nur die Förderung im Rahmen der Kulturpolitik in den Blick nimmt, sondern kulturelle Bildung in der Schule und vor allem in der Jugendpolitik berücksichtigt. Denn so allmählich spricht es sich herum, dass in diesen Politikfeldern immer schon sehr viel – und zum Teil sehr viel mehr als in der Kulturpolitik – für kulturelle Bildung getan wurde. Daher ist die Forderung nach Erhöhung des Kinder- und Jugendplans des Bundes (Programm II: kulturelle Bildung) nachhaltig zu unterstützen. Denn hierdurch wird der Großteil der bundesweiten Fachstrukturen in diesem Feld gefördert.

In einigen wenigen Punkten kann man allerdings den Empfehlungen nicht zustimmen oder muss man zumindest erheblichen Diskussionsbedarf anmelden. Dies betrifft etwa die Forderung nach einem „Kultur-PISA“. Mit dieser Frage hat sich eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der betroffenen Bereiche recht gründlich befasst und ist mit guten Gründen zu der Auffassung gekommen, eine solche Evaluation zum jetzigen Zeitpunkt nicht unterstützen zu wollen. Andere Forderungen – etwa nach Kulturgutscheinen – erfordern eine gründliche Diskussion. Denn in den Niederlanden ist ein vergleichbares Modell mit ausgesprochen negativem Ergebnis evaluiert worden. Die umstrittenste Forderung dürfte diejenige nach einer Bundeszentrale für kulturelle Bildung sein.

Zum Teil gibt es für die genannten Aufgabenbereiche, die eine solche Institution übernehmen sollte, bereits gut funktionierende Bundesstrukturen (Modellprojekte im Bereich Forschung und Entwicklung, Fortbildung …). Zum anderen sind die von Herrn Zehetmair vorgetragenen föderalen Bedenken ernst zu nehmen. Sie werden zum Teil auch von den ebenfalls föderal organisierten Fachstrukturen geteilt. Hier sollten gründliche Konsultationsprozesse stattfinden, bevor neue Strukturen geschaffen beziehungsweise an vorhandene Bundesstrukturen – etwa die Bundeszentrale für politische Bildung – neue Aufgaben verteilt werden.

Insgesamt fällt jedoch die Beurteilung der Arbeit der Enquete-Kommission im Hinblick auf kulturelle Bildung positiv aus.

Prof. Dr. Max Fuchs, Direktor der Akademie Remscheid, Vorsitzender des Deutschen Kulturrates und der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung

 

Der Aufbau von Kooperations-Netzwerken hat höchste Priorität
Stellungnahme der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen

Die Empfehlungen der Enquete-Kommission zur Koordination und Weiterentwicklung der kulturellen Bildung zeigen für Länder und Kommunen eine Fülle von Handlungsfeldern auf, auf denen durch konsequente Wahrnehmung und bundesweite Vernetzung bereits bestehender Aufgaben die Effizienz und Effektivität der Angebote und besonders ihrer Wirkung erheblich gesteigert werden kann. Die Bundesakademie Trossingen sieht in den Perspektiven eine Fortschreibung ihrer im Kinder- und Jugendplan formulierten Aufgabenstellung und eine Bestätigung ihrer bisherigen Arbeit.

 

I. Kulturelle Bildung als gesellschaftlicher Auftrag
Die „Entwicklung innovativer Konzepte, (...) Vernetzung der Akteure und Fortbildung von Multiplikatoren“ ist nicht nur angesichts der Diversifikation und der Ausweitung des Aufgabengebiets eine sinnvolle Forderung. Der durch Veränderung der Bevölkerungsstruktur und Migration ausgelöste kulturelle Wandel erfordert neue Konzepte in der Aus- und Weiterbildung, die über Modellversuche länderübergreifend entwickelt und methodisch abgesichert bundesweit multipliziert werden sollten. Eine Koordinierung dieser Aufgaben und Kompetenzen über eine von Bund und Ländern getragene Einrichtung wäre sicher hilfreich.

II. Schulische kulturelle Bildung
Die Ausweitung des schulischen Angebots zur Ganztagsschule zeitigt nach wenigen Jahren bereits eine Fülle restriktiver Faktoren, die besonders durch die zeitliche Beanspruchung und Bindung der Schülerinnen und Schüler die gewachsene und bis dato auch politisch gewollte Struktur der außerschulischen Jugendbildung in Frage stellt. Die Empfehlung „Neuaufbau von Schulchören und -orchestern“ wird wirkungslos bleiben, wenn nicht durch Musikschulen, Privatmusikerzieher, Musikvereine und Chöre über die von der Enquete-Kommission geforderte Qualifikation zur Ensemblefähigkeit die entsprechenden Grundlagen erhalten bleiben.
Die aktuellen Ansätze zum Klassenmusizieren, „JeKi“ und andere Modelle, können nur unter Beteiligung der außerschulischen Träger realisiert werden; die Empfehlung der Enquete-Kommission zum Aufbau von Kooperations-Netzwerken sollte daher höchste Priorität haben. Diese Netzwerke müssen sowohl die organisatorische, personelle und finanzielle Umstrukturierung absichern und in Aus- und Fortbildung die methodischen Grundlagen dieser Arbeit gestalten, vermitteln und festigen. Das Interesse der außerschulischen Partner wird sich besonders auf die Weiterführung (dann doch wohl wieder außerhalb der Schule) richten – es sollte von allen Beteiligten unterstützt werden, um die bisherige Vielfalt des Musiklebens zu erhalten und auszubauen.

III. Außerschulische kulturelle Bildung
Die Einrichtung der Ganztagsschulen wird die Kommunen wohl zusätzlich belasten, dennoch ist die gesetzliche Stabilisierung der „freiwilligen Leistung“ kulturelle Bildung allein unter den Aspekten der Kontinuität und der Planungssicherheit wichtig. Die außerschulische Jugendbildung leistet über die grundlegende Ausbildung der Akteure und des Publikums den entscheidenden Beitrag zum Fortbestand und die künftige Akzeptanz der kulturellen Einrichtungen – die Unterstützung dieser Aufbauarbeit muss daher Priorität haben. Sollte die außerschulische Jugendbildung ganz oder teilweise in die Ganztagsschule integriert werden, müssen Länder und Kommunen als Träger auch die strukturellen, organisatorischen und in der Konsequenz auch personellen und finanziellen Voraussetzungen schaffen – das von der Enquete-Kommission geforderte Regelwerk zur Zusammenarbeit wäre dann ein erster Schritt.

IV. Aus- und Fortbildung für kulturelle Bildung
Die Ausbildungsinstitute werden ihre Ausbildungsgänge sicher weiterhin „stärker auf die berufliche Praxis ausrichten“ – für die Fortbildungsinstitute ist diese Forderung nicht nur programmatischer Ansatz, sie ist selbstverständlicher Bildungsauftrag und Basis ihrer Akzeptanz. Wichtig ist hier aber die Integration der kulturellen Bildung und ihrer aktuellen Ansätze in Ausbildung und Studium, um eine solide Basis für Weiterentwicklung und Innovation zu schaffen.

Da gerade europaweit vergleichbare Studiengänge und -abschlüsse formuliert werden, sollten in diesem Zusammenhang auch Überlegungen zu bundesweiten Standards möglich sein und nicht im Hinblick auf die Kulturhoheit der Länder ausgeklammert werden.

V. Kulturelle Erwachsenenbildung
Die Ausweitung der kulturellen (Jugend-)Bildung zum lebenslangen Lernen ist (s.o.) längst gesellschaftlicher Auftrag. Die Kulturpädagogik braucht dazu eine Erweiterung ihrer didaktischen Grundlagen und ihrer methodischen Konzepte um andragogische und geragogische Ansätze, die sich nicht auf die schlichte Addition vorhandener Best-Practice-Beispiele beschränken darf – eine „Bundeszentrale für kulturelle Bildung“ fände hier ein weites Feld vor. Kulturelle (Jugend-) Bildung benötigt für alle genannten und zugedachten Aufgaben auch eine Erweiterung ihrer Finanzierung über die Förderungsinstrumente der Jugendbildung hinaus, damit die von der Enquete-Kommission projizierte Gemeinschaftsaufgabe gelöst werden kann.

Rolf Fritsch, Dozent an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung, Trossingen

 

Ambivalenter Akt der Notwehr angesichts der Marginalisierung
Blickwinkel der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel

Olaf Zimmermanns Bezeichnung „Kulturbibel“ schießt über das Ziel hinaus. Auch das „Es ist vollbracht“ der Kommissionsvorsitzenden Gitta Connemann im Bundestag wollen wir eher dem berechtigten Stolz auf das Geleistete zurechnen als dem Anspruch, eine heilsgeschichtliche Erlösungstat vollbracht zu haben. Aber immerhin ist der Schlussbericht der Bundestagsenquetekommission „Kultur in Deutschland“ auf absehbare Zeit ein unersetzlicher Referenztext zu allem, was das Kultursystem in Deutschland ausmacht, selbst dann, wenn hier und da eher politischer Wille, geschickter Verbandslobbyismus oder Kompromisszwang am Werke waren als wissenschaftliche Fundiertheit und Neutralität, bei der Analyse manchmal, bei den Handlungsempfehlungen naturgemäß mehr. Das Kapitel „Kulturelle Bildung“ allein enthält 57 Empfehlungen. Von ihnen sollen hier einige kommentiert werden.

Den meisten Empfehlungen ist uneingeschränkt zuzustimmen. Dass Bundestag und Bundesregierung eine „Bundeszentrale für kulturelle Bildung“ schaffen sollen (Empfehlung I.2), ist jedoch problematisch. Der Bericht lässt nicht erkennen, warum man eine neue Institution braucht, um die in der Empfehlung genannten Ziele zu erreichen. Von kultur- und bildungspolitischen sowie rechtlichen Fragen an ein solches Zentralinstitut abgesehen (siehe das Sondervotum der CSU-Vertreter) würden auf Dauer erhebliche Mittel gebunden, die anderen, direkten Förderungen nicht zur Verfügung stünden. Auch der Deutsche Kulturrat meldet „erheblichen Diskussionsbedarf“ an. Freilich: Es wäre ein verlockendes kulturpolitisches Spielfeld auch für Abgeordnete des Bundestages und ein Denkmal, das sich die Kommission setzen könnte ...

Einen ambivalenten Akt der Notwehr angesichts der fortwährenden Marginalisierung der Schulfächer Kunst, Musik und Theater/Darstellendes Spiel stellen die Empfehlungen an die Länder dar, bundesweite Bildungsstandards (Empfehlung II.11) zu entwickeln und entsprechende Standards und deren Evaluation auch von der OECD zu fordern (II.12). Dass der Stellenwert der kulturellen Bildung in der Schule sich erst wirklich erweist, wenn sie eines Prozesses à la PISA würdig wird, ist eine bemerkenswerte Annahme. Vielleicht ist sie politisch sogar richtig. Aber sie scheint fachlich angesichts der enormen kulturellen Differenzen im OECD-Raum unrealistisch.

Alles Weitere ist zu begrüßen. So soll die musikalische Bildung in der Schule mit einer Reihe von Maßnahmen gestärkt werden (II.5) (unter denen auch „JeKi“ grüßen lässt). Damit ist der Musik­unterricht das einzige musische Schulfach, das mit einer speziellen Empfehlung bedacht wird (so viel zum Thema erfolgreiche Lobbyarbeit). Ein ganzer Cluster von Empfehlungen (II.2, III.6, III.8, III.9) beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit von Schule und außerschulischer kultureller Bildung. Die geforderte Kooperation ist erst an einer Minderheit der Schulen schon Praxis. Die Rahmenbedingungen für die außerschulischen Partner sind inhaltlich, organisatorisch und finanziell häufig unbefriedigend und weit davon entfernt, das notwendige „Zusammenwirken auf Augenhöhe“ zu ermöglichen. Hier gibt es für Länder und Kommunen noch viel zu tun, nicht zuletzt, um die außerschulische kulturelle Bildung zur „öffentlichen Gemeinschaftsaufgabe“ (also Pflichtaufgabe) zu machen.

Einige Empfehlungen (II.13, IV.3, IV.4) fordern, auch die Kultureinrichtungen selbst für die Kunstvermittlung, also für Bildungsaufgaben in die Pflicht zu nehmen. Sie sollten das akzeptieren, wenn nicht aus pädagogischem Eros, dann aus Selbsterhaltungstrieb. Das Bildungsbürgertum, aus dem sich traditionell die Masse der Hochkulturbesucher rekrutiert, ist in den Generationen unter 50 längst erodiert. Die Kulturinstitutionen müssen sich selbst um Besuchernachwuchs kümmern, schön neudeutsch: „audience development“ betreiben.

Die Erwachsenenbildung ist in den letzten Jahrzehnten durch gesetzliche Bestimmungen und Finanzierungsregelungen einseitig auf beruflich verwertbare Qualifikationsvermittlung getrimmt worden, kulturelle Bildung wurde immer mehr als Privatvergnügen gesehen. Die Kommission stellt dagegen „Gesellschaftsfähigkeit“ als Bildungsziel gleichberechtigt neben „Beschäftigungsfähigkeit“. Insofern ist die Empfehlung (V.5) konsequent und richtig, die kulturelle Erwachsenenbildung in den Erwachsenenbildungsgesetzen neu zu verankern und in der Finanzierung zu sichern. Insgesamt also: Viel Licht, wenig Schatten im Kapitel „Kulturelle Bildung“.

Dr. Karl Ermert, Direktor der Bundesakademie für kulturelle Bildung, Wolfenbüttel

Klare quantitative Rahmenbedingungen festlegen
Statement des Verbandes deutscher Musikschulen

Mit ihrem Schlussbericht hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages die bislang umfassendste Untersuchung des deutschen Kulturlebens vorgelegt.
Die Enquete-Kommission bekennt sich in dem Schlussbericht zur Bedeutung und Notwendigkeit kultureller Bildung, auf die sie explizit ein Schwergewicht legt. Nach ihrer Überzeugung ist kulturelle Bildung eine zentrale gesellschaftliche und politische Aufgabe (Bundestagsdrucksache, S. 45/Buchpublikation ConBrio, S. 53 f.); Aufwendungen dafür sind „unverzichtbare Investitionen in die Entwicklung einer Gesellschaft“ (S. 47/S. 59). Die Gewährleistung der kulturellen Infrastruktur, insbesondere für kulturelle Bildung, ist daher eine wesentliche gesamtstaatliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Förderleistungen liegen deshalb „im öffentlichen Interesse“ und dienen damit öffentlicher Aufgabenerfüllung (S. 87 ff./ 118 ff.). Die zentralen Forderungen des VdM an die Bildungs- und Kulturpolitik, basierend auf den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission, lauten:

1. Der Verband deutscher Musikschulen fordert die Länder auf, gesetzliche Regelungen und Fördervereinbarungen zu schaffen, die die öffentlichen Musikschulen als pflichtige Aufgaben kultureller Bildung anerkennen. Gesetzlich festzulegen sind dabei Qualitätsstandards in Form wesentlicher Qualitäts- und Strukturmerkmale für die öffentliche Musikschulförderung.

2. In den Schulgesetzen der Länder sind klare qualitative Rahmenbedingungen für die Kooperationen zwischen öffentlichen Musikschulen und allgemein bildenden Schulen „auf Augenhöhe“ festzulegen. Die Förderung und Unterhaltung der öffentlichen Musikschulen muss auch in diesem Kontext als Pflichtaufgabe festgeschrieben werden, um eine hohe Verlässlichkeit und Kontinuität in der Kooperation und im Einsatz der Pädagogen zu garantieren.

Gleichzeitig müssen für den Erhalt des Profils der Musikschulen – auch im Hinblick auf G8 und Verkürzung der Schulzeit – Regelungen für die zeitliche Ausgestaltung des Ganztagsunterrichts geschaffen werden, die den Besuch der öffentlichen Musikschulen für die Schülerinnen und Schüler weiterhin möglich machen.

3. Länder und Kommunen sind aufgefordert, verbindliche Regelungen für Musikangebote ab dem frühesten Kindesalter in der Kooperation von Krippen, Kitas und öffentlichen Musikschulen zu treffen. Festzulegen sind hierin Musik-Bildungspläne, die Ausbildung der Erzieher/-innen und Musiklehrkräfte sowie die Finanzierung der Fachkräfte und deren Qualifizierung. Um den Zugang für Kinder aller Schichten und damit eine nichtelitäre musikalische Bildung zu ermöglichen, ist eine Finanzierung durch Landes- und kommunale Mittel unumgänglich.
Die öffentlichen Musikschulen in Deutschland sind die Bildungsinstitutionen, die die weitest gehende musikalische Breiten- und Spitzenförderung in ganz Deutschland im Sinne einer „musikalischen Grundversorgung“ bewirken. Mit den Richtlinien und Rahmenlehrplänen des Verbandes deutscher Musikschulen sowie dem gemeinsamen Strukturplan bieten die öffentlichen Musikschulen im VdM bundesweit gleichartige, hohe Standards für den Unterricht im Singen und Musizieren.

Sie garantieren Qualität durch bewährte, regelmäßig aktualisierte Unterrichtskonzepte, erprobte Unterrichtsorganisation, durch fundiert ausgebildete Lehrkräfte und regelmäßige Qualitätskontrolle und Qualitätsentwicklung. Als Erfolgsmodell bieten sie seit über 55 Jahren Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen Chancengleichheit und Zugangsoffenheit für ein bundesweit gleichwertiges qualitätvolles Angebot musikalisch-kultureller Bildung.

Matthias Pannes, Geschäftsführer des Verbandes deutscher Musikschulen

Viele zweischneidige Schwerter
Der Arbeitskreis für Schulmusik nimmt Stellung

Es ist sehr zu begrüßen, dass sich Bundestag und -regierung dazu entschlossen haben, die kulturelle Bildung in Deutschland der gründlichen Überprüfung durch eine Enquete-Kommission zu unterziehen. Den Forderungen nach Entwicklung innovativer Konzepte und Vernetzung aller Institutionen ist dabei ebenso zuzustimmen wie dem politisch brisanten Vorschlag, diese Aufgaben bundeszentral zu bündeln: In Zeiten der bildungspolitischen Annäherung in Europa durch den Bologna-Prozess ist der deutsche Bildungsföderalismus höchst anachronistisch.
Die hier ausgewählten Empfehlungen zur schulischen und außerschulischen kulturellen Bildung machen sowohl in ihrer allgemeinen Argumentationsrichtung als auch in den Details ihrer Begründung die zwiespältige bildungs- und kulturpolitische Situation der Gegenwart deutlich. So war etwa die gesellschaftliche Bedeutung der musikalischen Bildung selten so ungeklärt wie heutzutage: Der allseits steigenden Aufmerksamkeit für Musikvermittlung in politischen Reden einerseits entsprechen immer seltener die vor Ort geschaffenen Tatsachen andererseits. Die in Überlegungen ohne „Denkverbote“ liegende Chance, Schule und Bildung neu zu denken, wird allerdings konterkariert von empfindlichen Einschnitten in die (kulturelle) Bildung, die den Eindruck entstehen lassen, der Staat ziehe sich aus diesem „unrentablen“ Segment zurück. Sowohl die wissenschaftliche „Exzellenz“ an den Universitäten als auch die künstlerische an den Musikhochschulen bedroht allerorten die „unrentable“ kulturelle Bildung; hier wäre die Forderung von „pädagogischer Exzellenz“ eine sinnvolle Maßnahme.

Vor diesem Hintergrund sind fast alle Vorschläge der Kommission zweischneidige Schwerter: So kann es einerseits im Sinne einer Öffnung der Schule durchaus bereichernd sein, „im Rahmen ganztäglicher Bildung und Erziehung auch Angebote von Kultureinrichtungen und Kulturvereinen“ zu integrieren, dies könnte andererseits aber ein großes „Einsparpotenzial“ bei der fachlich qualifizierten Ausbildung bedeuten.

So klingt es einerseits verheißungsvoll und vermutlich für alle Eltern und Kinder sowieso selbstverständlich, „das Singen als täglichen Bestandteil des Schulunterrichts zu verankern sowie jedem Kind die Möglichkeit zu geben, ein ensemblefähiges Musikinstrument zu erlernen“, andererseits könnte man hier aber auch die Ablösung des allgemein bildenden Faches Musik durch Instrumentalklassen und Ensemblearbeit befürchten.

Das sehr positive Vorhaben, den „Neuaufbau von Schulchören und -orchestern zu fördern“, muss ein frommer Wunsch bleiben, wenn der Ganztagsbetrieb wie in Hamburg oder NRW zurzeit zu einem Massensterben schulischer Ensembles führt, weil Jugendliche keine Zeit mehr haben, diese Angebote wahrzunehmen und die Lehrer/-innen für deren meist sehr arbeitsintensive Durchführung nicht mehr bezahlt werden.Uneingeschränkt zuzustimmen ist im Interesse einer Qualitätssteigerung kultureller Bildung der Forderung, die „Ausbildungsgänge stärker auf die berufliche Praxis auszurichten“, obligatorische Elemente der Kulturvermittlung für alle Altersstufen auch in künstlerische Ausbildungsgänge zu integrieren sowie die Förderung kultureller Erwachsenenbildung durch eine institutionelle Sockelfinanzierung zu sichern. Wenn man Ziele wie dieses erreichen könnte und die daraus resultierende Öffnung der Schule den allgemein bildenden Musikunterricht nicht ersetzen sondern ergänzen würde, wäre dem viel zitierten düsteren Verdikt von Bundestagspräsident Lammert, unsere kulturelle Bildung sei derzeit nicht in ihren Blüten, sondern in ihren Wurzeln bedroht, erste wirkmächtige Maßnahmen entgegengesetzt. Unsere wichtigste Aufgabe bleibt dabei der kritisch-skeptische Vergleich zwischen politischer Willensbekundung und tatsächlicher Entwicklung.

Dr. Jürgen Terhag, Bundesvorsitzender des Arbeitskreises für Schulmusik

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