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Höfisch reduzierte Anmutung: "Goldbergvariationen" von Jerome Robbins am Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl
Exodus der Tänzer beim Bayerischen Staatsballett. Foto: W. Hösl
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Exodus der Tänzer beim Bayerischen Staatsballett

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München - Dass in einem künstlerischen Betrieb ein neuer Chef seine eigene Entourage mitbringt und manch altgedienter Mitarbeiter schweren Herzens ziehen muss, ist völlig normal. Meist gelangen Informationen über solche Veränderungen nicht an die Öffentlichkeit. Doch was sich derzeit beim Bayerischen Staatsballett in München ereignet, einer der renommiertesten Balletttruppen Deutschlands, scheint den Rahmen des Üblichen zu sprengen.

Von 29 Tänzerinnen und Tänzern des 66-köpfigen Hauptensembles, so ist zu hören, will sich der neue russische Ballettdirektor Igor Zelensky trennen. Das wäre fast die Hälfte. Darunter sind auch die beiden Ersten Solisten Lucia Lacarra und Marlon Dino. Sie luden sogar, sehr ungewöhnlich, zu einer Pressekonferenz in ein Café in der Münchner Altstadt, um über den neuen Mann an der Spitze des Staatsballetts wenig Schmeichelhaftes zu Protokoll zu geben. «Herzloses Regime» titelte hernach das Feuilleton der «Süddeutschen Zeitung».

«Not amused» zeigte sich auch die Unternehmerin Irène Lejeune, eine der wichtigsten Sponsoren des Staatsballetts. «Herr Zelensky hat sicher eigene Visionen und Pläne, was ja auch richtig und legitim ist, nur hätte ich erwartet, dass das bestehende Staatsballett nicht schon vor seinem offiziellen Antritt so auseinandergerissen wird», sagte Lejeune der Deutschen Presse-Agentur. Sie zog bereits die Konsequenzen und strich ihre Zuwendungen. «Die Entscheidung, das Bayerische Staatsballett als Sponsorin nicht weiter zu unterstützen, ist endgültig.» Mit insgesamt 1,3 Millionen Euro hatte sie die Truppe innerhalb von acht Jahren gefördert.

Zelensky ist ein smarter, international erfahrener Ballettchef und ein begnadeter Tänzer. Der 46-jährige brillierte als führender Solist des St. Petersburger Mariinsky-Theaters und leitet derzeit das Ballett in Nowosibirsk und das Moskauer Stanislawski-Ballett. Den Moskauer Job will er auch nach seinem Amtsantritt in München nicht abgeben.

Zu der Kritik hält er sich zunächst noch bedeckt. Als bekannt wurde, wie viele Tänzer das Ballett verlassen, ließ er mitteilen: «Meine Aufgabe als neuer Direktor des Bayerischen Staatsballetts besteht darin, diese Entwicklung fortzusetzen und die Leistungen der Compagnie weiter zu steigern.» Darum habe er in den vergangenen Monaten «einige neue herausragende Tänzerinnen und Tänzer für das Bayerische Staatsballett gewinnen können.» Er sagte: «Ich bin zuversichtlich, dass unser Publikum diese neuen Mitglieder der Compagnie mit Freude und Neugier in München begrüßen und schnell in sein Herz aufnehmen wird.»

Wie Zelensky das Staatsballett inhaltlich-ästhetisch positioniert, bleibt abzuwarten. Seine erste Spielzeit jedenfalls scheint die bewährte Münchner Mischung aus Klassik und Moderne und historischer Aufarbeitung zunächst einmal fortzuführen. Vielleicht hat der neue Chef ja nur ein Kommunikationsproblem.

Fürchtet Liska jetzt um sein Erbe? Der scheidende Ballettdirektor hält sich im dpa-Interview bedeckt, verweist auf jene, die Zelesnky ins Amt gebracht hätten. Das ist, neben Toni Schmid, der grauen Eminenz im bayerischen Kulturministerium, natürlich Nikolaus Bachler, allmächtiger Intendant der Staatsoper. Er sagt aber auch, dass in einem Ballettensemble der Zusammenhalt wichtiger sei als etwa in einer Schauspieltruppe - das könnte als diskreter Hinweis darauf verstanden werden, dass er von Zelenskys Personalpolitik nicht begeistert ist. Ansonsten gibt sich Liska staatsmännisch: «Ich hoffe, dass das Bayerische Staatsballett weiter ein Leuchtturm sein wird wie in den letzten 25 Jahren. Und dass ich einmal sagen kann: mein Nachfolger macht es besser.»

Zudem sprach sich Liska für die Schaffung einer eigenen Ballett-Intendanz aus. «Das würde unsere Stellung deutlich stärken». Das Bayerische Staatsballett steht seit 1989 zwar finanziell und künstlerisch auf eigenen Beinen, muss sich aber unter anderem in organisatorischen Fragen mit dem jeweiligen Staatsopern-Intendanten einigen. «Mit einer eigenen Intendanz wären wir dann auf Augenhöhe, wenn es vielleicht mal Probleme gibt.»

 

Ergänzend dazu ein Interview mit dem scheidenden Ballettchef Ivan Liska:

Ballettchef Ivan Liska: «Wir haben seine sehr lebendige Tanzszene»

Interview: Georg Etscheit, dpa

Ivan Liska steht vor dem Abschied vom Bayerischen Staatsballett, bald gibt er die Führung ab. Vorher findet er aber noch einmal deutliche Worte.

München (dpa) - Der gebürtige Tscheche Ivan Liska (65) steht seit 18 Jahren an der Spitze des Bayerischen Staatsballetts, einer der großen deutschen und internationalen Tanz-Compagnien. Mit Beginn der neuen Spielzeit im Herbst übernimmt der Russe Igor Selenski das Ruder. Ein Gespräch zum Abschied eines bedeutenden Tänzers und Ballettdirektors, der bis heute manchmal noch selbst auf der Bühne steht.

Frage: Der Dachverband Tanz Deutschland hat das «Tanzjahr 2016» ausgerufen. Wie steht es um diese Form des Musiktheaters in Deutschland?

Antwort: Wir haben, ungeachtet von manchen drohenden Theaterschließungen, eine sehr lebendige Tanzszene. Es gibt mehr als 60 Ensembles vom kleinen Opernballett bis zu den großen Compagnien wie dem Bayerischen Staatsballett oder den Truppen in Hamburg, Berlin und Stuttgart. Auch die freie Szene ist sehr vielfältig. Allein in Berlin gibt es 80 derartige Ensembles.

Frage: Und ästhetisch?

Antwort: Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wirken viele internationale Einflüsse auf Deutschland. Die Traditionslinie des deutschen Ausdruckstanzes wurde ja leider während der Nazizeit unterbrochen. Nach dem Krieg kam es dann zu einem großen Aufbruch, geprägt von großartigen Choregraphen wie John Cranko, der das «Stuttgarter Ballettwunder» schuf, William Forsythe in Frankfurt am Main oder John Neumeier in Hamburg, dessen Ensemble ich mehr als zwanzig Jahre angehörte. Bis heute ist dieser Kreativitätsschub ungebrochen.

Frage: Was ist das Markenzeichen speziell des Bayerischen Staatsballetts?

Antwort: Die Qualität natürlich und die Breite des Repertoires, von der Klassik über die Neoklassik und Moderne bis zum zeitgenössischen Tanz. Wir können keine Nischen bedienen, weil wir ja in unseren 70 Vorstellungen ein Haus mit 2000 Plätzen füllen müssen. Da muss für jeden etwas dabei sein. Schließlich werden wir großenteils aus Steuergeldern finanziert.

Frage: Wie aufgeschlossen ist das Münchner Publikum für Zeitgenössisches?

Antwort: Wir haben unser Publikum allmählich herangeführt an die Avantgarde, mal durch freundliche, mal durch Schockaufführungen. Sie sollen ins Theater gehen, neugierig sein, vielleicht mit neuen Erlebnissen nach Hause gehen - und wiederkommen.

Frage: Personelle Veränderungen mit Antritt eines neuen Ballettdirektors sind ja nichts Ungewöhnliches. Aber diesmal gingen zwei Ihrer Solisten an die Presse und beklagten, der neue Chef, Igor Selenski, mache «tabula rasa».

Antwort: Sie haben Recht, solche Veränderungen sind im Theaterbetrieb normal. Allerdings darf man eine Ballettcompagnie nicht mit einem Schauspielensemble vergleichen. Ich kenne wenige Schauspielstücke, wo die Schauspieler im Chor sprechen.

Frage: Und jetzt ist mit Irène Lejeune auch eine ihrer wichtigsten Mäzene von Bord gegangen.

Antwort: Das ist natürlich sehr bedauerlich. Ich habe allerdings auch erst zehn Jahre ohne dieses Geld gearbeitet.

Frage: Herr Selenski will neben München weiterhin das Moskauer Stanislawsky-Ballett leiten. Kann solch eine Doppelfunktion funktionieren?

Antwort: Da ich meine Zeit und Kraft nur München gab, kann ich das nicht beurteilen.

Frage: Hat sich die finanzielle und künstlerische Eigenständigkeit des Staatsballetts von der Staatsoper, die Ihre Vorgängerin Konstanze Vernon erstritten hatte, bewährt?

Antwort: Unbedingt.

Frage: Sollte trotzdem das Amt des Ballettdirektors, das sie bislang inne hatten, zu einer echten Intendanz aufgewertet werden?

Antwort: Auch hierzu ein klares Ja. Dann wäre man auf Augenhöhe, wenn es mal Probleme gibt.

Frage: Würden Sie es begrüßen, wenn der Generalmusikdirektor der Staatsoper auch mal ein Ballett dirigieren würde? Zuletzt gab es das einmal unter Kent Nagano.

Antwort: Kirill Petrenko hat ungeheuer viel Arbeit, und seine Kräfte sind begrenzt. Vielleicht wird es mein Nachfolger mal wieder einrichten können. Ein Ballett zu dirigieren, ist aber nicht ganz leicht. Die Verständigung mit den Tänzern, das Abnehmen der Tempi ist ein ganz eigenes Kapitel.

Frage: Was machen Sie nach dem Ende Ihrer Amtszeit?

Antwort: Ich leite schon seit drei Jahren die Münchner Heinz-Bosl-Stiftung zur Förderung junger Tänzerinnen und Tänzer, außerdem die Juniorcompagnie des Staatsballetts. Das werde ich auch weiterhin tun. Manchmal stehe ich sogar mit meinen 65 Jahren noch selbst auf der Bühne. Wie jüngst mit zwei etwa gleichaltrigen Kollegen in «The Passengers» von Simone Sandroni. Es gibt Choreographen, die besonders gerne mit älteren Tänzern arbeiten. Ältere Körper strahlen etwas ganz besonderes aus. Ich nenne es: Körper mit Gedächtnis.

Zur Person: Ivan Liska, 1950 in Prag geboren, emigrierte 1969 und ging zum Ballett der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Als Erster Solist beim Hamburg Ballett tanzte er in zahlreichen Werken von John Neumeier. 1998 wurde er Direktor des Bayerischen Staatsballetts.

 

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