Bemerkenswert ist, dass fast sämtlichen Berliner Orchestern ein Wechsel an der Spitze bevorsteht oder sie ihn gerade vollziehen: Sechs von acht Klangkörpern steht ein neuer Chefdirigent jetzt oder in absehbarer Zeit ins Haus; sollte Daniel Barenboim seinen Vertrag mit der Staatsoper Unter den Linden nicht verlängern, wären es gar sieben, und für drei der Konzertorchester wie für die Deutsche Oper Berlin sind zudem Intendantenwechsel angezeigt. Dennoch sind Ermüdungserscheinungen bei der Gestaltung der Spielzeit 2000/01 kaum zu erkennen, eher im Gegenteil – die noch immer virulente Diskussion darüber, ob die am Rande der Pleite entlangmanövrierende Hauptstadt sich eine derart opulente Orchestervielfalt leisten kann und soll, hat offenbar auch Kräfte auf den Plan gerufen, die über konzeptuelle Reformen, sprich: inhaltliche Alternativen zur konventionellen Programmgestaltung nachgedacht haben, teilweise bereits in Absprache mit oder sogar angestoßen von den designierten Chefs.
Üppig ist das Berliner Konzertangebot für die kommende Spielzeit schon in der Vorschau-Präsentation der Spitzenorchester: So viel Broschüre war nie, mit Kreuz- und Querübersichten, sämtlichen Dirigenten- und Solistenfotos (Rundfunk Sinfonieorchester), dazu alle Biografien (Deutsches Symphonie-Orchester) und gar Programmeinführungen sowie reiche themenbezogene Illustrationen im eleganten Layout (Konzerthaus Berlin/Berliner Sinfonie-Orches-ter). Mit einigem Aufwand werben die fünf Konzertorchester, dazu die drei Opernorchester, die ebenfalls je eine Konzertreihe anbieten, um die Gunst des Publikums. Bemerkenswert ist, dass fast sämtlichen Berliner Orchestern ein Wechsel an der Spitze bevorsteht oder sie ihn gerade vollziehen: Sechs von acht Klangkörpern steht ein neuer Chefdirigent jetzt oder in absehbarer Zeit ins Haus; sollte Daniel Barenboim seinen Vertrag mit der Staatsoper Unter den Linden nicht verlängern, wären es gar sieben, und für drei der Konzertorchester wie für die Deutsche Oper Berlin sind zudem Intendantenwechsel angezeigt. Dennoch sind Ermüdungserscheinungen bei der Gestaltung der Spielzeit 2000/01 kaum zu erkennen, eher im Gegenteil – die noch immer virulente Diskussion darüber, ob die am Rande der Pleite entlangmanövrierende Hauptstadt sich eine derart opulente Orchestervielfalt leisten kann und soll, hat offenbar auch Kräfte auf den Plan gerufen, die über konzeptuelle Reformen, sprich: inhaltliche Alternativen zur konventionellen Programmgestaltung nachgedacht haben, teilweise bereits in Absprache mit oder sogar angestoßen von den designierten Chefs. Was also ist im fülligen Angebot? Auffallend ist zunächst die große Zahl – insgesamt zirka 50 – von Programmen mit je nur einem Komponisten. Das hängt allerdings auch mit den Berliner Festwochen zusammen, die zum 50. Jubiläum im Jahre 2000 unter dem Motto „Jahrhundertklang“ im September allein schon eine lange Serie von monografisch konzipierten Porträtkonzerten – 24 an der Zahl, davon freilich zehn mit auswärtigen Orchestern – veranstalten, ergänzt durch ebensoviele Kammerkonzerte, die sämtlich und ausschließlich bedeutenden Komponis-ten des 20. Jahrhunderts, von Strauss und Schönberg bis zu Boulez, Takemitsu und Kagel, gewidmet sind. Aber auch im weiteren Verlauf der Saison wird man Ein-Komponisten-Programme erleben können, so bei den Philharmonikern zweimal mit Wagner, mit Verdi und mit Haydn, beim Deutschen Symphonie-Orchester (DSO) mit John Adams, Wolfgang Rihm, Isang Yun und ebenfalls mit dem auch in Berlin sonst vernachlässigten Haydn, bei den Berliner Symphonikern unter anderem mit Rachmaninoff, Paganini und Gershwin.Der Programmgestaltung des DSO, an dessen Spitze der Amerikaner Kent Nagano tritt, gebührt zuallererst das Attribut „kühn“. Da taucht Beethoven kein einziges Mal und Brahms nur mit dem Violinkonzert auf, es gibt Ur- und Erstaufführungen sowie ein Festival „UltraSchall“ mit einem „thematisch konzentrierten Überblick über die Musik der Gegenwart in den verschiedensten Besetzungen“ an einem langen Abend, an drei Abenden hingegen ein „Porträt in drei Kapiteln“ von György Kurtág zu dessen 75. Geburtstag, eine konzertante Aufführung von Schönbergs „Moses und Aron“ mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Sprecherrolle des Mose, und was des Ungewöhnlichen mehr ist. Auf der Dirigentenliste findet sich der ehrwürdige Kurt Sanderling, Jahrgang 1912, ebenso wie als Debütant Ferenc von Szita, Enkel des ersten, unvergessenen Chefs dieses Orchesters, Ferenc Fricsay.
Wer von den Aktivitäten der Orchesterszene in Berlin spricht, darf nicht darüber hinwegsehen und -hören, dass sich gerade die Spitzenorchester, vorneweg die Berliner Philharmoniker, das DSO und inzwischen auch die Staatskapelle, zugleich durch Kammerensembles beinahe jeder Art profilieren; die Philharmoniker präsentieren allein nicht weniger als 40 Programme, gestaltet überwiegend von Musikern aus den eigenen Reihen sowie von Stipendiaten der Orchester-Akademie, ebenfalls mit häufig außergewöhnlichen, apart kombinierten Programmen; DSO-Ensembles beschließen die Spielzeit mit einer Kammermusik-Serie im Botanischen Garten.
Kurz und bündig: Man darf in Berlin eine extraordinär farbige Konzertsaison erwarten. Wo das Angebot auf der Grenze zur Extravaganz manövriert, da möge der Mut zum Risiko vom Publikum honoriert werden. Was freilich am anderen Ende des Spektrums trotz einiger Kinder- und Familienveranstaltungen mit häufig „märchenhaftem“ Repertoire weitgehend fehlt, sind Konzerte, die durch Programm und Präsentation Jugendlichen wie Älteren, mit dem gesamten E-Musik-Gemisch unerfahrenen Leuten, also grob geschätzt 93 Prozent der Bevölkerung, einen Zugang zum Verständnis „guter Musik“ unterschiedlicher Genres weisen könnten, wenn auch ohne Zeigefinger. Die Komische Oper bemüht sich immerhin darum mit ihrer Reihe „Musik für jedes Alter“; dass die Philharmoniker ihre erst in der vergangenen Saison neu aufgelegte „Reihe“ unter dem Motto „Musik im Gespräch“ von zwei Abenden auf exakt die Hälfte reduzieren, ist, sehr höflich ausgedrückt, bedauerlich.