Der Schließung des legendären Studios für Elektronische Musik des WDR Köln im Jahr 2000 folgten während zwanzig Jahren viele vergebliche Anläufe, die weltweit berühmte Einrichtung wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anfang 2022 beschloss der Rat der Stadt Köln endlich den Wiederaufbau als „lebendiges Museum“ mit Unterstützung von WDR und Land NRW im Rahmen des von der Kölner Gesellschaft für Alte Musik betriebenen Zentrums für Alte Musik (zamus) in Köln-Ehrenfeld samt Gerätelager, Werkstatt, Dokumentations-, Personal-, Arbeits- und Demonstrationsräumen.
Faszination des Analogen
Inzwischen hat die Stadt die Studio-Bestände in ihr Eigentum überführt und auch die Mietkosten für deren momentane Einlagerung in einem Kellerraum in Köln-Ossendorf übernommen. Jedoch existiert noch kein Vertrag mit dem Besitzer des Heliosgeländes und Investor Paul Bauwens-Adenauer über die Erweiterung zum zamus 2.0 mit Integration des Studios. Grund der Verzögerung sind die vom Grundstückseigentümer direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine höher kalkulierte Investitions- und Mietkosten. Parallel zu den noch laufenden Verhandlungen prüft die Stadt daher erneut alternative Standorte.
Abseits der Kölner Querelen war unterdessen in Bonn zu erleben, welche Faszination von den Pionierinstrumenten der elektronischen Musik ausgeht. Nachdem der Komponist und Cellist Michael Denhoff in der Bonner Gesellschaft für Kunst und Gestaltung bereits mehrere Ausstellungen kuratiert hatte, wollte er hier Teile des WDR-Studios zeigen. Da sich diese Idee zerschlug, setzte er sich mit dem Studio für Elektronische Musik der Hochschule für Musik und Tanz Köln in Verbindung. Denn WDR- und Hochschulstudio nutzten anfangs die gleichen Geräte und hatten denselben ersten Leiter. Nach seiner Pensionierung im WDR baute Herbert Eimert 1965 als Professor auch das Studio der Hochschule auf. Dessen historischer Fundus entspricht den Geräten, mit denen seit 1953 im WDR Komponierende aus aller Welt arbeiteten: Sinus-, Rausch- und Impulsgeneratoren, Filter, Entzerrer, Schwebungssummer, Mischpulte, Bandmaschinen. Die Bonner Ausstellung „Strom : Klänge“ zeigte zudem Analog-Synthesizer und die erste digitale Sampling-Technik des Fairlight CMI vom Anfang der 80er-Jahre im damaligen Wert eines Einfamilienhauses.
Zusammengestellt hat die Ausstellung Marcel Schmidt, der technische Leiter des Hochschulstudios von 1973 bis 2017. Mitgeholfen haben sein Nachfolger Simon Spillner und der seit 2007 amtierende künstlerische Studioleiter Michael Beil. Knapp zwei Monate lang ließen sich Material, Design und Praktikabilität der Geräte bewundern sowie über eine „Hörbar“ ausgewählte Produktionen des Hochschulstudios hören. Ferner gab es ein Podiumsgespräch mit Komponisten elektroakustischer Musik aus drei Generationen (York Höller, Michael Beil, Sergej Maingardt), einen Abend mit dem Dokumentarfilm „TON BAND MASCHINE“ über die Kölner und andere europäische Studios, sowie zwei von Denhoff moderierte Hörstunden mit Wiedergaben älterer Werke aus dem Hochschulstudio. Hinzu kamen schließlich noch zwei Konzerte mit Stücken gegenwärtiger Kölner Kompositionsstudierender.
Eduardo Lazcano beleuchtete in einer audio-visuellen Arbeit die spezifische Materialität, Bau- und Funktionsweise traditioneller Instrumente wie Cello oder Klarinette durch besondere Mikrophonierung und Makro-Videoaufnahmen. Tamara Miller versetzte mit Transducern zwei Glasplatten in Schwingungen, die mit Mikrophonen abgetastet wurden und je nach Abstand, Position, Dämpfen und Aufsetzen des Mikrophons verschiedene Töne, Mixturen oder perkussives Rattern hören ließen. Erstmalig außerhalb der Kölner Hochschule zum Einsatz kam der legendäre Synthesizer ARP 2500. Das zwischen 1970 und 1981 gebaute Gerät ersetzte seinerzeit die üblichen Steckfelder durch zweimal 24 Matrizen, deren jeweils zehn Regler sich bequem und schnell auf zwanzig unterschiedlichen Positionen zu individuellen Schaltungen verschieben lassen. Andrés León bespielte die mannshohe Apparatur mit noisigen Loops unter gänzlichem Verzicht der zwei integrierten Keyboards.
Heute ist die technologische Basis von Pop, Techno, Noise, Electronica, Ambient und vieler neuer Musik selbstverständlich digital. Doch auf der Suche nach besonderen Klängen jenseits handelsüblicher Hard- und Software greifen viele Musikschaffende wieder nach analoger Klanggenerierung. Historische Synthesizer der 1960er- und 70er-Jahre wie Moog, EMS und ARP genießen daher Kultstatus, werden teuer gehandelt und von der Düsseldorfer Firma Behringer als erschwingliche Einzelteile originalgetreu nachgebaut. Von Bands, Ensembles und Performenden werden sie nach Belieben zu individuellen Modularsynthesizern verknüpft.
Die Veranstaltungen im Rahmen der Bonner Ausstellung haben eindrücklich gezeigt: Es ist höchste Zeit, den reichhaltigen Geräteparcours des Kölner WDR-Studios aus fünfzig Jahren endlich wieder nutz- und hörbar zu machen.
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