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Für die Orchester ist Neue Musik überlebenswichtig

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Im Radiomagazin „taktlos“ diskutierten Experten über das Thema „Beruf Orchestermusiker“
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Theo Geißler: Orchestermusiker – ist das noch ein Beruf mit Zukunft?

Theo Geißler unterhielt sich in der ersten taktlos-Sendung im neuen Jahrtausend (7. Januar, Bayern2Radio) zum Thema „Beruf Orchestermusiker“ mit Alicia Mounk (Dirigentin), Rolf Becker (Cellist im Orchester der Deutschen Oper Berlin und Vorsitzender des Gesamtvorstandes der Deutschen Orchestervereinigung, DOV), Reinhard Flender (Komponist, New Classical Forschungsinstitut an der Hochschule für Musik Hamburg) und Karl-Heinz Steffens (Klarinettist im Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Professor an der Musikhochschule München). Theo Geißler: Orchestermusiker – ist das noch ein Beruf mit Zukunft? Alicia Mounk: Ja! Zwar ist es schwierig vorherzusagen, wie dieser Beruf in Zukunft aussehen wird, aber dass es ihn geben wird, davon bin ich überzeugt. Es gibt sehr viele gute Komponisten, und so lange gute Musik für diese Apparate geschrieben wird, werden diese Apparate auch notwendig sein.

Reinhard Flender: Ja, unbedingt! Die Frage ist nur: Wie flexibel wird der zukünftige Berufsmusiker sein müssen?

Herr Becker, als DOV-Vorsitzender müssen Sie diese Frage wohl schon aus Gründen der Mitgliederhygiene positiv beantworten?

Rolf Becker: Nein, ich beantworte diese Frage aus Begeisterung für meinen Beruf positiv!

Herr Steffens, macht Ihnen Ihre praktische Erfahrung an der Hochschule Hoffnung, und können Sie Ihren Studenten Hoffnung machen?

Ja, wenn man die Leidenschaft sieht, mit der die Studenten Musiker werden wollen. Da wir in Deutschland fast in jeder größeren Stadt ein sinfonisches Orchester haben, in dem man arbeiten kann, habe ich große Hoffnungen, dass es eine Zukunft für den Beruf Orchestermusiker geben wird. Das Potenzial an jungen Leuten ist da, und es sind hoffentlich noch lange die Institutionen da, um diesen dann auch Arbeitsmöglichkeiten zu bieten.

Streitpunkt Medienpauschale

In den letzten Wochen ist der Berufsstand des Orchestermusikers ein wenig ins Gerede gekommen. Es gab da so eine Art Arbeitsverweigerung beim Orchester der Deutschen Oper Berlin: Einige Aufführungen von Schönbergs „Moses und Aron“ wurden gekippt, weil die Musiker sich gegen die Abschaffung einer Medienpauschale wehren wollten, für die sie in letzter Zeit gar nicht mehr so viel getan hatten.

Sie haben das jetzt so dargestellt, wie man es seit Monaten lesen konnte. Die Wahrheit war sicher nicht attraktiv genug: Die Medienpauschale war ein fester Gehaltsteil in Höhe von jetzt 900 Mark, die jedes Orchestermitglied regelmäßig erhalten hat. Sie wird seit 1984 gezahlt (das erste Mal an die Kollegen des Bayerischen Staatsorchesters) und wurde eingeführt, um Konkurrenzfähigkeit zu den höher dotierten Rundfunkorchestern herzustellen. Weil man so etwas mit dem deutschen Bühnenverein, dem Arbeitgeberverband, nicht tariflich absegnen konnte, hat man zu dem Trick gegriffen, die Zahlung als Entgelt für pauschale Medienrechte zu deklarieren, aber man war schon damals fest davon überzeugt, dass man diese Rechte niemals würde in Anspruch nehmen können. In Berlin ist diese Zahlung für das Orchester der Deutschen Oper vorübergehend abgeschafft, an anderen Orten wird sie weiter gezahlt. Man wird eine Lösung finden, um das Orchester der Deutschen Oper Berlin weiterhin für den Nachwuchs attraktiv zu erhalten.

Aber ist die Verhinderung einer künstlerischen Darbietung – man sperrte ja gewissermaßen auch das Publikum aus – ein adäquates Mittel, Geldforderungen durchzusetzen?

Die Mitglieder der Deutschen Oper haben alle ihre Dienstkraft angeboten.

Ja, mit Attesten!

Da muss ich widersprechen. Es gab keinen anormalen Krankenstand. Bei der Premiere fehlten drei Kollegen, es war Grippezeit, das gibt es überall.

Und die 30 Kollegen, die sich angesteckt hatten?

Das waren Aushilfen, die herangezogen wurden, um diese Oper überhaupt spielen zu können. Hintergrund ist, dass das Orchester 143 Planstellen hatte; im Rahmen der Sparbemühungen des Senats und der Deutschen Oper ist die Kopfstärkenzahl im Augenblick aber bei 110. Damit können sie „Moses und Aron“ nicht machen, wenn parallel dazu „Frau ohne Schatten“ gespielt wird und ein Sinfoniekonzert ansteht.

Die Frage ist allgemeiner: Ist ein Streik ein geeignetes Mittel, im Kulturbereich materielle Forderungen durchzusetzen?

Ich habe nichts gegen Streik. Es ist dadurch eine Diskussion in Gang gekommen, und das finde ich sehr gut. Auf der anderen Seite ist klar, dass der Berufsstand der Orchestermusiker zu den privilegierten zählt. Ich gehöre zu dem der Komponisten – wir haben keine festen Stellen, wir müssen im freien Markt existieren, deswegen schauen wir etwas kritisch auf die Kollegen. Daher auch die Meldung im „Focus“, ich hätte dafür plädiert, Stellen zu streichen. Ich sagte aber lediglich auf die Feststellung, in Berlin gebe es zu viele Orchester, dass man an der Schließung eines Orchesters vorbeikommen könnte, wenn sich alle Orchester auf die Streichung von insgesamt vielleicht zehn Planstellen einigen würden.

Was man sich klar machen muss, ist folgendes: Diese Leute in Berlin haben irgendwann einen Vertrag unterschrieben, in dem Bedingungen stehen. Wenn so ein Vertrag geändert wird, dann ist es wie in jeder anderen Berufsgruppe auch: Man versucht, seine Rechte zu erhalten.

Mir wird mulmig, wenn solche Diskussionen in die Öffentlichkeit kommen, denn das nutzt den Orchestern nicht, sondern schadet ihnen und verlagert die Diskussion auf das rein Materielle. Auch ist es schlecht, wenn man gerade Projekte trifft, die vom ganzen Apparat Mut und eine Solidarität nach außen erfordern, wie es bei „Moses und Aron“ der Fall ist. Insofern finde ich die Vorgänge in Berlin fast tragisch. Wenn man 20 Aushilfen hat, und diese proben nicht permanent mit, und es müssen immer wieder neue geholt werden, dann können sie eine solch komplexe Oper nicht machen. In der zweiten und dritten Aufführung sollten Aushilfen sitzen, die gar keine Proben gemacht hatten, das geht nicht. Das ist eine orchesterinterne Situation; Betriebs- und Orchesterbüro müssen sich darum kümmern, dass solche Dinge nicht passieren. Das wollte ich hören: Nicht der Musiker, sondern der Veranstalter, das Haus, trägt die Verantwortung.

Wenn es um Neue Musik ging, kam es immer wieder zu einer Art inneren Verweigerungshaltung bei den Orchestermusikern. Was tut die Deutsche Orchestervereinigung dafür, um hier etwas im Bewusstsein ihrer Mitglieder zu ändern?

Glauben Sie, dass eine Gewerkschaft etwas tun kann, um das Bewusstein der Musiker zu ändern? Ich glaube, dass sind zehn oder fünfzehn Jahre alte Argumente. Früher gab es sicher noch das Problem, dass Musiker, die mit der Neuen Musik nichts anfangen konnten, in eine solche Verweigerungshaltung getreten sind. Doch die jüngere Generation ist davon überzeugt, dass die Ausrichtung auf die Neue Musik für die Orchester überlebenswichtig ist. Und sie werden beispielsweise beim Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks ein großes Interesse finden, eine Reihe wie die „Musica viva“ mitzutragen.

Man hat aber auch schon erlebt, dass bei Konzerten mit Neuer Musik praktisch prima vista gespielt wurde, weil sehr wenig Probenzeit zur Verfügung stand.

Wir haben für keine Projekte so viel Zeit wie für die „Musica viva“. Es hängt immer auch davon ab, wer am Pult steht und was für eine Musik gespielt wird. Wenn da ein Esprit dahinter steht und eine sinnvolle musikalische Arbeit, dann ist jeder Orchestermusiker hundertprozentig dabei. Leider müssen wir aber auch sehr oft erleben, dass wir – offen gesagt – mit Scharlatanerie und sehr viel Mist konfrontiert werden.

Herr Flender, Warum haben Sie Ihr Institut überhaupt gegründet, wenn die deutsche Orchesterlandschaft so heil ist?

Von 1980 bis 1990 wurden in den deutschen Sinfonieorchestern gerade mal 12 Prozent Zeitgenossen gespielt, davon nur sechs Prozent lebende Komponisten. Die Einfallslosigkeit der Programmgestaltungen ist wirklich vehement.

Daran sind aber nicht die Orchester schuld!

Ja, aber die Orchestermusiker sollten aktiver werden, mehr Verantwortung übernehmen.

Da bin ganz Ihrer Meinung!

Nachwuchsförderung

Herr Becker, was tut die DOV für die Nachwuchspflege, für eine gute Ausgangssituation ihrer neuen Mitglieder?

Der Deutsche Musikrat betreibt zum Beispiel eine Fördereinrichtung für junge Nachwuchsdirigenten, das „Dirigentenforum“. Über 40 Orchester nehmen daran teil, stellen sich für die Arbeit mit den jungen Dirigenten im Rahmen ihres Dienstbetriebes zur Verfügung und werden das in Zukunft auch noch steigern. Wir hoffen, dass die jungen Dirigenten dann auch in der Lage sein werden, zeitgenössische Musik gut in die Spielpläne einzubringen.

Sie verlagern jetzt die Verantwortung ein bisschen in Richtung Arbeitgeber. Ich denke, auch in den Musikhochschulen ist einiges zu tun. Man trifft ja häufig auf das Phänomen, dass jeder Studienanfänger sich zum Solisten berufen fühlt, worauf dann die große Frustration folgt.

Musiker zu werden ist eine Berufung. Sie können den jungen Menschen nicht verbieten, Solist werden zu wollen – Solist im Sinne von: gut werden, sich durchsetzen wollen. Als Lehrer muss man ihnen natürlich klar machen, dass etwa bei den Bläsern nur ein winziger Prozentsatz wirklich als Solist existieren kann. Aber die meisten wissen schon im ersten Semester, dass die solistischen Ambitionen Träume sind.

Ich kenne Kollegen von Ihnen, die verbieten ihren Studenten, im Hochschulorchester zu spielen, damit deren solistische Karrieren nicht Schaden nehmen.

Es gibt Situationen, wo ich einem Studenten rate, einige Zeit nicht im Orchester zu spielen, etwa weil er seinen Ansatz umstellt. Da muss man dem Lehrer vertrauen, dass er die Studenten so einsetzt, dass es auch zu ihrem Besten ist.

Was Bläser betrifft, erledigt sich diese Diskussion von alleine. Da gab es dieses Problem nie. Das Problem betrifft die Streicher.

Wo liegen die Defizite Ihrer Meinung nach?

Auch ich gehöre einer Hochschule an. Wenn ich da Projekte für neues Musiktheater mache und interessierte Musiker gesucht werden, dann ist die Luft sehr dünn. Besonders für Musiker als Darsteller, eine Form, die jetzt sehr stark im Kommen ist.

Ich appelliere an die Orchestermusiker, sich schon im Studium stärker mit lebenden Komponisten auseinander zu setzen. Ohne Komponisten gäbe es überhaupt keine Orchester. Ich denke auch, dass die Komponisten besser wären, wenn sie mehr Feedback von den Musikern hätten. Deswegen plädiere ich dafür, dass jedes Orchester eine Stelle für einen „Composer in Residence“ schafft und eine Spielzeit mit einem Komponisten seiner Wahl arbeitet, so dass dieser bei allen Proben dabei ist und mit der Orchesterrealität konfrontiert wird.

Wo fehlt es konkret in der Ausbildung von Orchestermusikern?

Das Studium sollte nicht ausschließlich damit verbracht werden, die ein oder zwei Mozart-Konzerte und die Orchesterstellen für das Probespiel zu üben. Wichtig wäre eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Kultur.

Wir sind auch viel zu eurozentrisch in unserer Repertoirekenntnis. Die Welt ist viel größer. In Lateinamerika, in China und anderswo wird wunderbare Musik geschrieben. Das wird gar nicht wahrgenommen. Man sitzt auf seinen fünf gediegenen Klassikern. Das kann nicht die Musikkultur der Zukunft sein.

Ist der Lehrbetrieb wirklich in Ordnung?

Was mich sehr nachdenklich stimmt, ist, dass innerhalb einer Generation kein Austausch stattfindet. Wenn ein Kompositionsschüler für sein Abschlussexamen andere Musiker braucht, rennt er durch die ganze Hochschule und findet niemand. Am Ende bringt er seine Freunde von anderswo mit.

Der Orchestermusiker denkt auch ökonomisch. Er wird nicht dafür honoriert, dass er sich beim Probespiel in zeitgenössischer Musik auskennt.

Es gibt ja auch Formationen, wie das Ensemble Modern, die sich mehr oder weniger unabhängig vom Musikbetrieb und mit demokratischen Strukturen organisiert haben. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Sehr viel. Das ist eine Form, die immer weiter wachsen wird, da es dort auf der einen Seite ausgezeichnete Musiker gibt und auf der anderen Seite Komponisten, die speziell für diese Ensembles schreiben. Da entsteht eine neue Kultur. Wenn der Markt das weiter so zulässt, ist das eine große Zukunftschance.

Aber das Geld ist knapp, und das macht auch das Leben für ein solches Ensemble gegenüber den etablierten Orchestern schwer. Das Ensemble Modern bekommt, glaube ich, nur kleine Zuschüsse von der Stadt Frankfurt und von der GEMA.

In solchen Ensembles kommen auch Ideen auf, die nicht mit den Vorstellungen der DOV konform gehen. Unterstützen Sie diese Musiker deswegen weniger?

Wir sollen jedem Musiker helfen. Die Kollegen, die diese Musik machen, sind mustergültig. Ich möchte aber nochmals etwas grundsätzlicher werden.Wenn man Musiker werden will, fragt man nicht danach, wie das einmal bezahlt wird. Eine Ausbildung beginnt heute im Kindesalter. In der Hochschulzeit muss man dann überprüfen, ob man mit dieser Ausbildung auch sein Leben gestalten kann. Es gibt folglich Musiker, die wollen in eines der 145 Kulturorchester und machen die Probespiele mit. Ich kann schon verstehen, wenn einige sagen: Ich muss in der Lage sein, mich so im Probespiel zu präsentieren, dass ich die Stelle auch bekomme.

Das Ensemble Modern, das Ensemble Resonanz und viele andere Orchester sind also Ensembles, die diese Probespiel-Mentalität umgehen?

Ja, die gehen daran vorbei. An den 24 Musikhochschulen sind etwa 7.000 Studenten im Fach Orchestermusik eingetragen, wir haben 145 Orchester und 9.000 aktive Musiker. Man kann sich ausrechnen, dass nicht jeder dort unterkommen kann, also muss man sich spezialisieren. Ich begrüße, dass viele diesen Weg gehen. Das ist eine Unterstellung! Die Musiker dieser Ensembles könnten jederzeit ins Orchester gehen. Machen sie keinen Antagonismus daraus.

Herr Flender, zum Schluss ein Argument für junge Leute, Orchestermusiker zu werden.

Musiker ist einer der schönsten Berufe der Welt. Aber wir müssen auch ein bisschen von den USA lernen: Dort gibt es ein sehr breites Sponsorenmodell. Wir können uns nicht nur an den Vater Staat wenden, das wird auch demokratisch nicht mehr legitimierbar sein.

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