Frankfurt/Wiesbaden - Kostenlose Theaterkarten, billige Tickets für teure Opernpremieren - während sich in der Wirtschaft längst strenge Regeln für die Annahme von Vergünstigungen durchgesetzt haben, genießen Politiker in Hessen an Schauspiel- und Opernhäusern noch immer zum Teil erhebliche finanzielle Vorteile.
Und die sind sorgsam abgesichert von einem Konvolut an Bestimmungen, internen Ordnungen und Geschäftsanweisungen. Allein schon der Ideenreichtum bei der Namensfindung macht neugierig: Denn es gibt an den drei Staatstheatern in Wiesbaden, Darmstadt und Kassel nicht nur Freikarten, sondern auch Dienst-, Steuer-, Ehren- oder Vorzugskarten. Am Stadttheater in Gießen existieren zusätzlich Marketing- und Einreichkarten. Personal- und Gebührenkarten vervollständigen die bunte Sammlung, die nur ein gemeinsames Merkmal hat: Sämtliche Tickets sind kostenlos oder deutlich verbilligt zu haben.
So gaben nach Angaben des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst die Staatstheater im vergangenen Jahr insgesamt 61 765 Tickets gratis oder zu Vorzugspreisen ab. Das sind rund 8,4 Prozent aller Karten - bei Premierenpreisen von bis zu 140,00 Euro. Wie viele dieser Tickets an Politiker gingen und welche Einnahmen dadurch den sonst unentwegt über Geldsorgen klagenden Häusern entgingen, teilt das Ministerium in Wiesbaden nicht mit. «Hauptbezieher dieser Karten war das Theaterpersonal», sagt ein Sprecher.
Auch die sonst so redseligen Presseabteilungen der Opernhäuser hüllen sich bei dem Thema in gemeinschaftliches Schweigen. Lediglich die Alte Oper Frankfurt und die Oper Frankfurt zeigen sich offen. Das Konzerthaus gab nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr gerade einmal 23 kostenlose Tickets an Politiker ab. «Mitglieder des Aufsichtsrates, des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung können laut unserer Regelung unentgeltliche Eintrittskarten für Veranstaltungen der Alten Oper erhalten», sagt Intendant Stephan Pauly.
Die Städtischen Bühnen Frankfurt (SBF) - zu denen auch die Oper Frankfurt zählt - gaben 2015 nach Angaben eines Sprechers rund fünf Prozent der 100 000 Karten günstiger oder gratis ab. Eingerechnet darin sind auch Tickets für Bühnenangehörige und Journalisten, denn diese erhalten an fast allen Häusern ebenfalls eine Freikarte. Anspruch darauf haben laut einer Geschäftsanweisung an den SBF zudem der Oberbürgermeister und der Stadtverordnetenvorsteher sowie alle haupt- und ehrenamtlichen Mitglieder des Magistrats.
An den hessischen Staatstheatern regelt ebenfalls eine interne Ordnung die Handhabung: Danach bekommen unter anderem sämtliche Mitglieder des Hessischen Landtags und der Landesregierung inklusive ihrer Begleitung eine Ermäßigung von 50 Prozent auf den Kassenpreis - selbst wenn «ein privater Gesichtspunkt des Theaterbesuches eine Rolle spielt», wie es in dem 2009 von dem damaligen Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Alexander Lorz (CDU), unterzeichneten Schriftstück heißt. Einen Antikorruptionsbeauftragten hat der Landtag bis heute nicht.
«Ein interessantes Thema», beurteilt ein Sprecher des Bundes der Steuerzahler Hessen die derzeitige Situation. Gleichwohl hat der sonst für seine Kritik an öffentlichen Ausgaben bekannte Verein die Vergabepraxis nach eigenen Angaben seit Jahrzehnten nicht mehr unter die Lupe genommen. Der Landesrechnungshof hat die Situation zuletzt 1998 gerügt. Damals vergaben die Staatstheater 7,4 Prozent ihres Kontingents gratis oder verbilligt - zu einem Gegenwert von ehemals 1,5 Millionen D-Mark. Zur Erinnerung: 2015 waren es 8,4 Prozent.
Dass es zumindest auch transparenter gehen kann, zeigen Beispiele aus Nordrhein-Westfalen. So stellt die Stadt Köln ihre 2013 erlassene «Geschäftsordnung über die Abgabe kostenloser bzw. ermäßigter Eintrittskarten» ins Internet. Und auch die «Frei- und Ermäßigungskartenordnung» der Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach aus dem Jahr 2004 sind online veröffentlicht und für jeden einsehbar.