Body
„Live von der Musikmesse Frankfurt“ hieß es am 6. März beim Musikmagazin „taktlos“, einer Koproduktion des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung. Zur Gesprächsrunde begrüßte Moderator Theo Geißler die neue Generalsekretärin des Deutschen Musikrates, Marlene Wartenberg, den Geschäftsführer von Schott International sowie Präsident des Deutschen Musikverlegerverbandes, Peter Hanser- Strecker, den Geschäftsführer des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie, Ludger Hünnekens, den Geschäftsführer der Frankfurter Messe GmbH, Michael Peters, sowie den Geschäftsführer von BMG Classics, Stefan Piendl. Die einstündige Diskussion ist hier stark gekürzt wiedergegeben.
Theo Geißler: Herr Peters, die Musikmesse platzt aus allen Nähten, es gibt Wartelisten für Aussteller. Was will die Messe eigentlich tun, um dem wachsenden Selbstdarstellungsbedarf der Musikbranche in Zukunft gerecht zu werden?
Michael Peters: Die Halle 8 mit Instrumenten und Verlagen ist das Herz der Musikmesse. Über die vielen Jahre sind die Aussteller mit dem Markt gewachsen. Man hat mehr Produkte, man hat mehr Kunden, die auf die Stände kommen. Wir haben zusätzlich das Publikumswochenende, an dem es auch sehr voll wird. Damit sind die Stände eigentlich gar nicht mehr zu nutzen. Dafür muß sich irgendwann die Branche bewegen, daran führt kein Weg vorbei.
Geißler: Herr Hanser-Strecker, bewegen sollen sich ja wohl zuerst mal die Musikverlage?
Peter Hanser-Strecker: Wir wollen na-türlich da bleiben, wo wir die Messe selbst mitbegründet haben, und die Idee, uns in einen „Friedhof“ zu befördern, findet keine große Anerkennung. Wir hatten auch einmal eine KlassikKomm und mußten sie beerdigen. Es ist hier nicht sinnvoll, wenn man uns von den Instrumenten trennt, zusätzlich Unattraktives ausstellt und das Publikum nicht länger bekommt.
Geißler: Eigentlich wäre nur eine kleine räumliche Trennung nötig. Was wäre, wenn neue Aussteller, die aber organisch zur verlegerischen Tätigkeit passen, dazukämen? Ich denke an die großen Schallplattenfirmen, ich denke an Kulturinitiativen, an Institutionen wie den Deutschen Musikrat. Alle könnten in so eine neue Messekonzeption, Ausstellungskonzeption mit eingebunden werden und damit echte Attraktivität schaffen. Wenn das gelänge, dann hätte ich als Kleinverleger auch keine Angst davor.
Hanser-Strecker: Unterschätzen Sie nicht die Unattraktivität von geduldigem Papier. Das Schöne an der Messe ist, daß die jungen Leute die Instrumente nicht nur sehen, sondern spielen können. Wenn dieser Spieltrieb in der einen Halle befriedigt wird und die Sehlust in der anderen Halle, dann wird hier etwas getrennt, was zusammengehört.
Geißler: Herr Piendl, wie ernsthaft sind denn die Absichten der Majors, sich an so einer Kultur-Ausstellung zu beteiligen?
Stefan Piendl: Ich bin der Meinung, daß man das sehr genau überprüfen müßte und daß es vielleicht für die Zukunft Sinn macht, wenn sich die Plattenfirmen hier sehr viel mehr engagieren würden. Aber: Die Präsentation von klassischer Livemusik im Umfeld des Messetrubels schließt sich eigentlich zunächst mal aus. Das war eine der Erfahrungen, die wir auf der KlassikKomm machten. Die Frage ist, was könnten wir tun, um als Schallplattenfirma uns so darzustellen, daß es ins Umfeld paßt. Im Vorfeld der Sendung gab es ein Gespräch mit Herrn Dr. Hanser-Strecker, in dem wir schon über ein gemeinsames Projekt ein bißchen sinniert haben. Vielleicht wird das im nächsten Jahr zu realisieren sein.
Geißler: Frau Wartenberg, wie sehen Sie denn das Spannungsfeld zwischen Kommerz und Kulturpräsentation jetzt aus Sicht eines übergeordneten Dachverbandes?
Marlene Wartenberg: Die Verbindung Kultur und Wirtschaft ist auch das Thema des Deutschen Musikrates. Der Musikrat hat einerseits die Funktion, die inzwischen 91 Verbände unterschiedlichster Provenienz mit dem gemeinsamen Thema Musik unter ei-nem Dach zu beherbergen. Musikausübung, musikalische Bildung, das sind dabei die kulturellen Aspekte. Es gibt aber auch einen Bundesfachausschuß „Musik und Wirtschaft“ sowie einen Fachausschuß „Musik und Medien“ .
Geißler: Und wie verträgt sich der Bildungsanspruch des Deutschen Musikrats mit den ökonomischen Herausforderungen einer Messe?
Wartenberg: Ein Beispiel: Ganz aktuell vor einem Jahr hat der Deutsche Musikrat ein neues Projekt ins Leben gerufen. Es war neben dem Jazz zum ersten Mal auch noch eine „neue“ Musiksparte, die Popularmusik. Es gibt seither den MusiContest, der weder Basisförderung noch Elitenförderung betreibt. Der MusiContest bewegt sich exakt in der Schnittstelle bereits bewährter Gruppen, die noch nicht den großen Schritt auf die wirtschaftlich interessante Ebene geschafft haben. Hier entwickelte der Musikrat ein Mentorensystem. Die Mentoren kommen aus den Bereichen der Wirtschaft, der Verwerter und der Veranstalter. Hier schaffen wir ein missing link. Denn Musiker bekommen normalerweise in der Ausbildung überhaupt keine Informationen über wirtschaftliche Zusammenhänge und wissen mit den Worten „Wertschöpfungskette“ und „Urheberrecht“ nichts anzufangen. Das ist zum Beispiel eine Art der Musikförderung, mit deren Hilfe man die Schere zwischen Kultur und Wirtschaft schließen könnte.
Peters: Wir müssen viel mehr Leute an das aktive Musizieren heranführen. Allein wenn ich mir vorstelle, in Deutschland machen acht Prozent der Bevölkerung aktiv Musik. In Amerika sind es zwölf Prozent. Allein wenn ich mir diese vier Prozent mehr auch in Deutschland vorstellen würde, wäre das eine irre Zahl. Vier Prozent mehr Menschen, die Noten brauchen, die Instrumente brauchen. Das sichert die Musikindustrie langfristig, das sichert die Verlage, das sichert natürlich auch die Musikmesse. Wie schaffen wir es, klarzumachen, wie faszinierend aktives Musizieren ist im Vergleich zu anderen Freizeitmöglichkeiten. Dafür ist die Musikmesse bestens geeignet.
Geißler: Kommen viele Schulklassen auf die Musikmesse?
Peters: Ich bin glücklich, daß so viele kommen, weil letztlich die Schule der Auslöser ist und die Möglichkeit bietet, jeden in der Bevölkerung zu erreichen.
Geißler: Das ist ein schwieriges musikpädagogisches Problem. Herr Hanser-Strecker, ich höre hier lauter Engelszungen, Sie auch?
Hanser-Strecker: Musik ist weit mehr als eben nur ein Hobby. Es ist ins allgemeine Bewußtsein gedrungen, daß die Beschäftigung mit Musik zahlreiche Transfereffekte bewirkt, beispielsweise eine Förderung der Intelligenz. Die alten Griechen wußten das schon und wählten ihre Politiker danach aus, ob sie Musicae studiert hatten. Das ist heute etwas anders. Unser Kanzler hat ja sehr zwiespältige Erfahrungen mit Musikunterricht gemacht und dann leider auch noch laut erklärt, daß er jeden versteht, der keinen Musikunterricht nimmt. Gleichzeitig müssen wir auch das Lehrerproblem lösen. Es gibt viele hunderte von arbeitslosen Musiklehrern, und fast die Hälfte der Grundschulen haben keinen Musikunterricht. Das sind die Fakten, und hier haben wir eine ideale Chance, aus der Messe mehr zu machen als nur eine Ausstellung von dem, was ist, sondern mehr eine Darstellung von dem, was sein soll.
Geißler: Herr Hünnekens, wie kommt Ihnen das vor, wenn Sie als Mann der Industrie diese Absichtserklärung hören?
Ludger Hünnekens: Zunächst einmal die Position dazu: Ohne Geld geht in der Kultur nichts. Das ist diese Schnittstelle. Andererseits ist Geld ohne Kultur nichts wert.
Geißler: Musiker müssen auch erst mal lernen, die müssen gebildet werden. Auch die deutsche Industrie müßte an gebildeten Managern, oder auch Mitarbeitern insgesamt, Interesse haben. Gibt es da Berührungspunkte zwischen Kultur und Wirtschaft?
Hünnekens: Der Kulturkreis selber, der seit fast 50 Jahren intensiv junge Nachwuchskünstler fördert in den Sparten Literatur, bildende Kunst, Architektur und natürlich Musik, der hat ein originäres Interesse daran, von der Kultur zu profitieren, den Dialog miteinander zu führen, um in der Tat auch sich selber auszubilden, um einen gesellschaftlichen Dialog zu entwickeln, der der Wirtschaft letztlich auch nutzt. Da gibt es eine gute Tradition. Aber ich sage auch deutlich, wir sind immer noch zu wenig. Die Wirtschaft in toto muß sich bewegen.
Geißler: Geht es aber nicht zunächst einmal darum, ein wirkliches Bildungsfundament zu legen?
Hünnekens: Wir müssen eine Klimaverbesserung bewirken. Das Leitmotiv: „Könner brauchen Gönner“ geht uns leicht von den Lippen. Einmal sind die Gönner die öffentliche Hand, das war jahrzehntelang so, damit haben wir gut gelebt. Nur reicht das nicht mehr aus. Wir müssen uns also aus der Kultur heraus stärker zur Öffentlichkeit hin öffnen, um ein privates Engagement zu generieren, weil wir es brauchen für die Kultur.
Geißler: Herr Piendl, Sie waren einer der Masterminds eines grundlegenden Anlaufes in dieser Richtung, der „Aktion Musik“. Worum geht es denn da?
Piendl: Ausgangspunkt war eigentlich die Überlegung, daß bisher die Beteiligten des Musiklebens in Deutschland in der Vergangenheit nicht an einem Strang zogen. Es gibt ganz tiefe Gräben, teilweise ideologischer Art, zwischen denen, die den Kulturauftrag haben und denen, die einen „Geldverdienauftrag“ haben. Würden sie endlich einmal bundesweit an einem Strang ziehen, dann würde so manchem Politiker, der Musikunterrichtsstunden streichen will, angst und bange werden.
Geißler: Ich sehe sehr viele Köpfe zustimmend nicken. Herr Dr. Peters, was wollen Sie dazu beitragen, daß so eine Aktion zustandekommt?
Peters: Unser Beitrag ist einmal, daß wir das größte Ereignis für die Öffentlichkeit hier einmal im Jahr haben. Das ist die beste Bühne, die beste Plattform, um alle diese vielen Einzeldinge, die laufen, der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Geißler: Aber drücken Sie sich da nicht um ein konkretes materielles Engagement in diesem Bereich herum?
Peters: Wenn man konkrete Anlässe und Projekte hat, die von unserer Seite gefördert werden können, will ich mich gar nicht davor verschließen.
Geißler: Herr Hünnekens, fast schon ein Schlußwort, bitte?
Hünnekens: Wir sind auf dem besten Wege, in Deutschland aktuell eine öffentliche Diskussion in Sachen Kultur zu führen. Das hat lange nicht stattgefunden. Ich erinnere ruhig einmal an den Bundestagswahlkampf. Diese Diskussion ist auch für die Kultur gut gewesen. Erstmals gibt es für uns einen Ansprechpartner im Kabinett. Wir müssen Stimmung machen, Position beziehen, uns auch zusammen an einen Tisch setzen – wie das beispielsweise heute stattfindet – und dazu brauchen wir die Medien.
Geißler: Frau Wartenberg...
Wartenberg: Für uns ist die Lobbyarbeit für die Musik nicht nur Interessenbündelung. Für uns ist Musik eine sehr wichtige und gute Investition in eine menschliche Zukunft.